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Ein Gastbeitrag von Hinnerk Willenbrink, FH Münster, Fachbereich Energie · Gebäude · Umwelt im Forschungsschwerpunkt Energie- und Klimaschutzkonzepte
Wie die Zeitung Algemeen Dagblad aus Rotterdam berichtet, will die mit gut 630.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt der Niederlande Erdgas vollständig aus dem Stadtgebiet verbannen. Im Jahr 2050 soll kein Haus mehr mit Erdgas beheizt werden dürfen. Auch kochen mit Gas soll dann tabu sein. Zur Verdeutlichung der Dimensionen: der Anschlussgrad der Haushalte ans Erdgasnetz liegt in den Niederlanden heute bei nahezu 100%. Zum Vergleich, in NRW liegt er bei ca. 60%.
Bis 2050 müssten demnach alle der momentan 263.000 mit Erdgas versorgten Häuser über eine alternative, umweltschonende Energiequelle versorgt werden. Unklar ist, wie das passieren wird, geschweige denn, wer das bezahlen wird: „Es ist eine Ambition, kein konkreter Handlungsplan“, zitiert das Algemeen Dagblad einen Sprecher der Stadt.
Erdgasfreie Stadtteile in den Niederlanden
Wie die Zeitung weiter berichtet, schloss die Stadt Rotterdam bereits im März 2017 mit dem niederländischen Wirtschaftsminister Henk Kamp den „Green Deal Erdgasfreie Stadtteile“ ab. Darin versprechen 30 niederländische Städte und Gemeinden, zwölf Provinzen und fünf Netzbetreiber, den Heizbedarf künftig anders zu decken, als mit Erdgas. Insgesamt betrifft dieser Deal 7.000.000 Häuser.
Die Ziele Rotterdams stehen damit als Synonym für einen Umbruch im niederländischen Energiesystem: Der ehemalige Gaslieferant wendet sich – zumindest auf politischer Ebene – zunehmend vom jenem Rohstoff ab, der seit den 1960er Jahren im eigenen Land gewonnen wird. Auch, um sich nach dem Ausstieg aus der Förderung nicht in eine Abhängigkeit zu Lieferanten aus dem Osten oder Westen abhängig zu machen. Und das hat auch deutliche Auswirkungen auf deutsche Gaskunden. Wie die Rheinische Post am 22.05.2017 berichtet („Gasmarkt vor radikalem Umbruch“), wird spätestens 2030 die Lieferung von niederländischem L-Gas nach Deutschland eingestellt.
Als Alternative muss ein neues Transportsystem von der belgischen Grenze bis ins Münsterland gebaut werden, um H-Gas ins System zu bringen (das beispielsweise aus LNG-Gas aus den USA und aus den Golfstaaten stammt) und die Abhängigkeit vom russischen Gas wird wohl ebenfalls – mangels Alternativen am Weltmarkt – weiter steigen. Für die Umstellung der Technik (Leitungen, Verdichter, etc.) rechnen die Netzbetreiber laut Rheinischer Post mit 760 Millionen Euro. Die notwendige Umstellung der Endgeräte bei den Kunden ist dabei noch nicht berücksichtigt. Eine Übersicht über die Gebiete, die in den nächsten 5 Jahren umgestellt werden und weitere Infos zum Thema bietet die Bundesnetzagentur.
Lokale Wärmenetze für den Wärmemarkt der Zukunft
Diese Diskussion zeigt einmal mehr, dass auch die Versorgung mit Erdgas nicht der Weisheit letzter Schluss ist, wenn es darum geht, unser Energiesystem nachhaltig und klimafreundlich zu gestalten. Lokale, dezentrale Lösungen können schon heute helfen, den Wärmemarkt der Zukunft aufzubauen. Und wer wissen will, wie solche Lösungen aussehen kann, der braucht nur nach Dänemark zu fahren.
Wie EUROHEAT&POWER darstellt, werden schon heute 63% des Wärmebedarfs des Landes über Wärmenetze gedeckt, die zunehmend mit erneuerbaren Energien gespeist werden. Im Großraum Kopenhagen sind sogar 98% der Gebäude an das Wärmenetz angeschlossen. Dass dies aber nicht nur in den städtischen Ballungsräumen funktioniert, zeigen eine Vielzahl von Beispielen. In der kleinen Stadt Vojens liefert z.B. der örtliche kommunale Wärmenetzbetreiber 60.000 MWh Nahwärme aus netzdienlichen BHKWs und Power-to-Heat-Anlagen und im Sommer aus einem 200.000 m³, solarbeheiztem Saisonalspeicher. Ein System, dass auch in Deutschland – und natürlich in den Niederlanden – technisch jederzeit übertragbar wäre. Was fehlt ist der politische Wille die Rahmenbedingungen dergestalt anzupassen, dass eine konsequente Wärmewende nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich umsetzbar ist.
Über den Autor
Hinnerk Willenbrink arbeitet am Forschungsbereich von Prof. Dr.-Ing. Christof Wetter an der FH Münster, Fachbereich Energie · Gebäude · Umwelt im Forschungsschwerpunkt Energie- und Klimaschutzkonzepte
Derzeit leitet er unter anderem das deutsch/niederländische INTERREG-Projekt „Wärme in der EUREGIO – WiEfm“. Das Projekt hat das Ziel eine nachhaltige Wärmeversorgung zu fördern, die ökonomischen Potenziale der Projektregion zu heben und zum Erreichen der Klimaschutzziele beizutragen.
Gute Beispiele, wie die Wärmewende mit Hilfe von Wärmenetzen im Münsterland und den angrenzenden Niederlanden bereits umgesetzt wurde, werden in mittlerweile zwei Broschüren von WiEfm dargestellt. „Mit diesen Broschüren wollen wir zeigen, wie der Weg hin zu einer zukunftsfähigen Wärmeversorgung aussehen kann. An konkreten Beispielen aus verschieden Bereichen stellen wir dar, was und wie die jeweiligen Interessierten mit einer guten Idee im puncto Wärmeversorgung in ihrer Region erreichen können und welche Schritte gegangen werden müssen,“ erklärt Projektleiter Prof. Dr.-Ing. Christof Wetter vom Fachbereich Energie · Gebäude · Umwelt an der FH Münster.
Die Broschüren können auf der Projektseite unter wiefm.eu kostenfrei heruntergeladen werden. Dort finden sich auch viele weitere Informationen und Veranstaltungshinweise rund um eine zukunftsfähige Wärmeversorgung.