Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, bereiten sich Menschen auf den nächsten, vielleicht endgültigen Finanzcrash vor: Sie legen Gärten an, horten Konserven und kaufen Bücher über Selbstversorgung. Alles Spinner und Verrückte?
Alles begann mit kleinen Signalen, Zeichen, die sich zu verdichten schienen. Da war der Nordic-Walking-Partner eines Verwandten. Er gestand auf einer ihrer abendlichen Touren durch den Vorort, dass er im Supermarkt, wann immer seine Frau nicht dabei sei, einige Konservendosen zusätzlich in den Wagen lege. Er habe Angst, dass ein zweiter Finanzcrash kommen werde, der so schlimm sei, dass die Supermärkte leer wären – und dass seine Frau ihn auslachen würde, wenn sie von seiner Angst erführe. Die Ware lagere er im Keller unter der Werkbank.
Kurz darauf wurde in einer Fernsehsendung der Vorsitzende einer Schrebergartenkolonie bei München interviewt. Er sagte, dass sein Verein Auswahlverfahren habe einführen müssen. Die Kandidaten seien Schwabinger Yuppies, also Menschen, für die das Wort »Parzelle« vor Kurzem noch ein Synonym für Spießerhölle war.
Und dann gab es noch eine Osteopathin bei Nürnberg, die von einer Patientin wusste, einer sehr wohlhabenden Patientin, die ihre Garage mit Lebensmitteln vollgestellt habe. Die Reichen, sagte sie, seien ja bekanntermaßen immer besser informiert.
Eine Rundmail an Menschen in der Finanzwelt, mit der Frage, ob sie panische Banker kennen. Nach Tagen kam eine Rückmeldung, Betreffzeile: »Staatsbankrott«. »Um es gleich vorwegzunehmen«, stand da, »die meisten Leute in meinem direkten Umfeld haben den Glauben an Deutschland/Europa/eine bessere Zukunft verloren. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Banker in London sich Ackerland, Gold und Hard Assets zulegen und gleichzeitig hoffen, dass die jetzige Form der Geldvermehrung noch lange anhält. Doch jeder ist sich bewusst, dass wir in einer gekauften Zeit leben.« Er sei 35 Jahre alt, schrieb der Verfasser, und seit fünf Jahren in London im Investmentbanking tätig. »Vor vier Monaten habe ich mich mit Partnern selbstständig gemacht, in der Schweiz, nicht in D. – aus regulatorischen Gründen. Um auf Ihre Frage Bezug zu nehmen: Das Essen wurde bestellt und serviert, die Rechnung steht noch aus. Mit dieser Denkweise wissen wir, dass einiges an Turbulenzen auf uns zukommen wird.«“ in Thüringen übernommen – obwohl der Zweck der Internatsfamilie in Wickersdorf die Knabenliebe war, also der sexuelle Missbrauch.
Die Idee war, die bürgerliche Familie zu ersetzen durch einen Mann, der Knaben heranzieht zu einem geistigen und sexuellen Leben. Im Odenwald hat man sogar die Häuschen nach diesem Prinzip errichtet. Der Missbrauch wurde dort gewissermaßen ins Fundament miteinbetoniert.
Sie kritisieren die Aufklärungsbereitschaft der Reformpädagogen
FÜLLER: Ein Jahr, nachdem alles publik geworden ist, wird in reformpädagogischen Kreisen immer noch die Frage gestellt: Kann man das denn wirklich alles glauben? Ein sehr wichtiger Reformpädagoge sagte mir, es sei wichtig, auch die Täter zu verstehen. So ein Pädophiler sei ja richtig arm dran.
Warum sperren sich Menschen, die nicht unmittelbar etwas mit den Missbrauchsfällen zu tun haben, gegen die Aufklärung?
FÜLLER: Die Reformpädagogen leben seit jeher in dem Glauben, das bessere Konzept zu haben. Sie erklären die Staatsschule zu einer Lernfabrik, die Seelenmorde betreibt. Das stimmt – als Karikatur.
Aber die Reformpädagogen glauben ganz fest an dieses Zerrbild. Zudem müssten diese Menschen sich jetzt komplett hinterfragen, weil sie ihr ganzes Leben lang Reformpädagogik gepredigt haben.
Was müsste sich ändern?
FÜLLER: Der Sündenfall war sowohl in den katholischen Schulen als auch im Odenwald so groß, dass man nicht allein auf Selbstreinigungskräfte hoffen darf. Es braucht eine Instanz, die den Schulen auf die Finger guckt. Im Odenwald lehnten die Lehrer noch in den 2000er Jahren die Position eines Heimleiters ab! Jeder konnte also in seiner Internatsfamilie machen, was er wollte.
Können Sie der Reformpädagogik trotz allem noch etwas abgewinnen?
FÜLLER: Ja, es gibt viele wichtige Impulse. Ich habe im letzten Jahr ein Buch über Privatschulen geschrieben. Da erkennen Sie: Überall, wo eine Schule wirklich gut ist, speist sich das aus zwei Impulsen: Die Schulen haben den Anspruch, sich gezielt um jedes einzelne Kind zu kümmern. Und es wird nicht mehr im 45-Minuten-Takt unterrichtet. Beides ist gleichermaßen sinnvoll und wichtig.
War die Arbeit belastend?
FÜLLER: Ich war mehrfach kurz davor aufzugeben. Weil ich nicht mehr konnte vor diesem Abgrund und vor den widerlichen Vorwürfen, die man den Nachfragenden macht. Einer der besten Journalisten des Landes hat sein Buch über die Odenwaldschule wohl deswegen nicht zu Ende geschrieben.
Wurden Sie angefeindet?
FÜLLER: Teilweise bin ich mir bei der Recherche vorgekommen wie bei der Mafia. Ich will nicht übertreiben, niemand hat mich mit der Waffe bedroht. Aber es ging bei der Recherche stets um Sex, Gewalt, Drogen, Korruption – und viele Beteiligte haben gelogen und sogar subtil gedroht.
Sie können sich nicht vorstellen, was bei der späteren Autorisierung an Zitaten alles rausgestrichen wurde – selbst anonyme Passagen. Das eigentlich Belastende aber ist, dass man ständig angefeindet wird. Man wird zum Täter erklärt. Die Leute verbreiten Gerüchte, dass man selbst missbraucht habe oder Opfer von Missbrauch gewesen sei. Gleichzeitig ist eine solche Recherche wahnsinnig intensiv. Ich habe über Monate hinweg jeden Tag mit Menschen geredet, die von sexueller Gewalt betroffen waren. Und da ging es nicht mehr um Recherche.
Es sind persönliche Beziehungen zu den Betroffenen entstanden?
FÜLLER: Ja, ich habe ganz wunderbare Menschen kennengelernt, die ich mag und deren Mut ich beeindruckend finde. Wenn Sie mit jemandem über vier, sechs, acht Stunden ein Gespräch führen, das immer wieder unterbrochen werden muss, weil der Gesprächspartner nicht mehr kann, kommen sie in eine quasi-therapeutische Situation. Wenn Sie mit jemandem so etwas durchlebt haben, dann haben sie immer Zeit für ihn. Alles andere wäre Betrug.
Wie geht die Schule heute mit den Opfern um?
FÜLLER: Schlecht. Die betroffenen Odenwaldschüler werden aus der Schule heraus beschimpft, dass sie diejenigen sind, die den Schmutz bringen.
Ein Vorstand des Trägervereins etwa sagte, es brauche jetzt eine „Normalisierung des Dialogs“ mit den Opfern.
Mit anderen Worten: Die Opfer sind nicht normal, die sind nicht ganz richtig im Kopf, weil sie ständig Aufklärung und Wiedergutmachung wollen. Der Mann hat nichts kapiert!
Dann war er weg. Aber der Gedanke blieb: dass es da draußen Menschen gibt, sogar Finanzmenschen, die sich auf ein Leben im ökonomischen Jenseits vorbereiten. Doch sobald man sich ihnen näherte, verschwanden sie wieder. Und wenn einer redete, drängte sich die Frage auf, ob seine Angst nicht am Ende mehr über ihn erzählte als über die Welt da draußen – waren diese Menschen vielleicht einfach verrückt? Man liest nichts über sie, das Thema ist abseitig und passt nicht zu den Meldungen von der höchsten Wachstumsrate seit der Wiedervereinigung, den niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit 1992. Trotzdem: Es gibt diese Ängste, laut Umfragen fürchten sich die Deutschen in diesen Tagen vor nichts mehr als vor einer »galoppierenden Staatsverschuldung«. Aber nur Blogs und ein gewisser Kopp-Verlag aus Rottenburg bei Tübingen (bei dem auch Ufologen publizieren) nehmen sich ihrer an. Und so kommt es, dass Kopp im letzten Jahr mit Titeln wie Der Staatsbankrott kommt, Die letzten Jahre des Euro und Finanzcrash: die umfassende Krisenvorsorge auf der Bestsellerliste beziehungsweise unter den Wirtschafts-Spitzentiteln landete. Eigentlich irre: Autoren aus der Provinz, Autodidakten die meisten von ihnen, schreiben Bücher über das Leben in einem Bankrottstaat, und die Leute reißen sie ihnen aus der Hand.
Auf der Schwäbischen Alb hat einer von ihnen seinen großen Auftritt. Kahl rasiert wie ein Einzelkämpfer, mit der breiten Brust eines Mannes, der sein Hab und Gut auch persönlich verteidigen könnte, steht Michael Grandt vor siebzig Zuhörern in einer Buchhandlung in Balingen. Sie alle sehen rührend normal aus, Rentnerinnen, Ehepaare mittleren Alters in Trekkingjacken, keine wild umherblickenden Una-Bomber-Typen. »Die Sozialversicherungssysteme stehen vor dem Kollaps«, ruft Grandt, »die Renten werden drastisch sinken! Lebensversicherungen könnten bald nichts mehr wert sein. Die versteckten Schulden sind viel höher als offiziell angegeben – weil künftige Verbindlichkeiten nicht mitgerechnet werden. Statt 1,7 Billionen sind es sieben Billionen.«
Er sagt Oufschwung, Gehürnwäsche, Süschtem, das gibt ihm etwas Geerdetes, Vertrauenerweckendes. So als würden ihm die Leute schon deshalb die extremsten Dinge abnehmen, weil er redet wie sie. Früher war der 47-Jährige Vertriebsleiter in einem mittelständischen Unternehmen, dann gab er seinem Drang, Gegebenheiten infrage zu stellen, nach und wurde freier, investigativer Journalist. Zuerst nahm er es mit der Schwarzwälder Weltuntergangssekte Fiat Lux auf. Für sein Buch über Konzentrationslager auf der Schwäbischen Alb bekam er Ärger mit den Nachfahren örtlicher Nazis und die Verdienstmedaille des Landes. Sein Schwarzbuch Anthroposophie erregte erstmals überregionale Aufmerksamkeit, mit dem Staatsbankrott, der im März 2010 erschien, landete er schließlich auf Platz sieben der Spiegel- Bestsellerliste. Seine These: Die Schulden der Industrienationen sind so hoch, dass sie bei der geringsten Störung außer Kontrolle geraten könnten, etwa wenn Staatsanleihen keine Käufer mehr finden. Dann bestehe die Gefahr eines Bankrotts, womöglich über Nacht, vor dem sich die Länder durch eine Inflation mit anschließender Währungsreform retten würden. Es sind Überlegungen, wie sie seit einiger Zeit auch in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen vorkommen; was Grandt von den Kommentatoren unterscheidet, ist sein Fatalismus. Und die Erzählperspektive. »Staatsbankrotte hat es in der Geschichte oft gegeben«, ruft er an diesem Abend in Balingen. »Aber die Erfahrung zeigt: Keiner nahm dabei Rücksicht auf den kleinen Mann!«
via Endzeitstimmung: Rette sich, wer kann! | Gesellschaft | ZEIT ONLINE.
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Er sagt nicht etwa, das Problem ist der ehemalige Schulleiter Gerold Becker, der 86 Jungs – nach jetziger Zählung – missbraucht hat. Schuld seien vielmehr die Opfer, weil sie keine Ruhe geben. Das ist ungeheuerlich.
Das Gespräch führte Kerstin Meier
Quelle: Kölner Stadtanzeiger Online 18.03.2011http://www.ksta.de/html/artikel/1300359398196.shtml
Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt