„Hanni und Nanni“, das war eine der verbotenen Sehnsüchte meiner Kindheit, so verboten wie Schnapspralinen, Fernsehen und Barbie. Nun ja, eigentlich noch verbotener. Bei den Schnapspralinen war nur das Gesetz dagegen, das Fernsehverbot wurde alle vier Jahre, wenn Fussball WM war und mein Vater einen Fernseher mietete, umgangen und das Barbie-Verbot – das strengste der drei – war ein mütterliches Verbot. Also wirklich ziemlich streng, aber eben, nicht so streng wie das „Hanni und Nanni“-Verbot. Dieses war nämlich nicht nur ein schwesterliches Verbot, sondern ein grossschwesterliches und damit drohte jeder kleinen Schwester, die auch nur zum Scherz einen „Hanni und Nanni“-Band zur Hand genommen hätte, die Höchststrafe: grosschwesterliche Verachtung, Hohn und Spott. Schlimmer geht’s nicht, wenn man zehn Jahre alt und darum bemüht ist, so zu werden wie die grossen Schwestern. Dass diese „Hanni und Nanni“ nur deshalb doof finden konnten, weil sie es selbst einmal mit Begeisterung gelesen hatten und nun über den Leidenschaften ihrer Kindheit zu stehen glaubten, daran dachte ich natürlich nie und deswegen verbat ich es mir, den einzigen Band, der in unserem Bücherregal stand, auch nur anzurühren. Gewollt hätte ich ja schon, aber eben, wenn sie mich erwischt hätten…
Jetzt endlich darf ich, denn jetzt will Luise und mag die dicken Schmöker, die sie beim Ausmisten der Schulbibliothek entdeckt hat, noch nicht alle selber lesen. Also darf ich vorlesen. Oder muss. Denn bereits nach den ersten paar Seiten war mir klar, dass sich bei „Hanni und Nanni“, wie bei so vielen Dingen in diesem Leben, das Sehnen nicht gelohnt hat. Okay, mag sein, dass mein hartes Urteil etwas verfrüht kommt, immerhin haben wir noch 5 3/4 Sammelbände vor uns. Aber nach dem ersten „O Mami, lass uns doch mit Mary und Fränzi in die Ringmeer-Schule gehen“ und den ersten zwei „Streichen“ – Hanni, die sich als Nanni ausgibt, um trotz Verbot in die Stadt zu gehen und die Sache mit dem Aufsatz, der erst nach der Schlafenszeit abgegeben wird – dämmerte mir, dass das Vorlesen ein ziemlicher Kampf werden könnte. Ein Kampf gegen den Schlaf.
Was ich denn erwartet hätte, fragt ihr? Nun, bestimmt keine grosse Literatur. Und schon gar kein spritziges Kinderbuch wie „Karlsson vom Dach“. Ich hatte nur erwartet, was man von verbotenen Früchten eben so erwartet: Nervenkitzel, Spannung, den einen oder anderen bissigen Seitenhieb zwischen den Zeilen, Spass eben. Hier aber stehen die zwei Möchtegern-Missetäterinnen bereits reuig vor der Oberlehrerin, bevor überhaupt ein Anflug von Spannung aufgekommen ist und vor weiteren 2000 Seiten in dieser Manier graut mir. Deshalb eine Frage an all jene Leserinnen, die in ihrer Kindheit keinem „Hanni und Nanni“-Verbot unterworfen waren: Wird das noch besser oder habe ich jetzt ein gutes Mittel gegen Schlaflosigkeit im Haus?
Nun ja, vollkommen schlecht reden muss ich die Sache ja nicht. Immerhin habe ich so endlich wieder mal die Gelegenheit, mich mit meiner stets grösser werdenden Luise zum Vorlesen aufs Bett zu kuscheln. Und wenn dann noch die Jungs dazu kommen, umso schöner...