Endgültig.

Endgültig.
Das war es also. Carla betrachtete ihr Gesicht, das nur wenige Zentimeter von dem Spiegel entfernt war. Sie sah jede Pore und jede ach so kleine Falte in ihrem Gesicht. Auch die Tränen konnte sie ganz genau sehen, die langsam über ihre Wangen liefen. Ihre Augen waren schon ganz rot und geschwollen, doch anstatt ihr Gesicht in einem Kissen zu vergraben, schaute sie sich selbst beim weinen zu. Immer wieder zog sich ihr Gesicht von neuem zusammen und ein Schwall neuer, bitterer Tränen floss über ihr Gesicht, wenn ihre Gefühle sie wie ein Blitz trafen. Das Zimmer füllte sich mit Schatten und sie wusste, dass sie bald im Dunkeln stehen würde. Anstatt das Licht anzumachen, empfand sie die nähernde Dunkelheit als tröstend. Die Nacht bedeutete das Ende dieses schrecklichen Tages, denn sie am liebsten schon jetzt vergessen würde. Wer hätte denn gedacht, dass dieser Tag so viel unheil mit sich brachte. Sie wusste, dass jeder Mensch einmal diese Welt verlassen musste, aber es war trotz allem kein Trost. Ihre kleine Schwester Lena war gerade einmal 17 Jahre alt. So jung und so unschuldig – und doch war sie so verzweifelt, dass sie sich ihr Leben nahm. Wieder bekam sie einen Heulkrampf und ihr Gesicht zog sich zu einer hässlichen Grimasse zusammen. Doch dieses Mal blieben ihre Wangen trocken. Sie hatte keine Tränen mehr, was das weinen nur noch unangenehmer machte. Nach wenigen Momenten konnte sie wieder durchatmen und sah sich wieder penibel genau in ihrem Spiegelbild an. Bis auf die Augen und den Mund ähnelte sie ihrer Schwester nicht. Ihre Schwester war kleiner als sie, hatte kreidebleiche Haut und dünnes aschblondes Haar, welches sie fast immer zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden hatte. Ihre Augen leuchteten immer beim Anblick von Süßigkeiten aller Art, wobei sie jedoch spindeldürr war. Carla hatte sie meist darum beneidet. Sie war zwar nicht dick und auch nicht gerade mollig, aber einige Problemzonen hatte sie dennoch zu bemängeln. Bei dem Gedanken, dass die meisten ihrer Probleme sich um ihr Aussehen drehten, ließ sie erschaudern. Ihre Schwester hatte größere Probleme gehabt und sie hatte es nicht bemerkt. Auch jetzt wusste sie noch nicht warum sie sich das Leben nahm. Carla senkte den Blick und starrte nun auf den Brief, der auf ihrer Kommode vor dem Spiegel lag. Es war Lenas Abschiedsbrief. Carla traute sich jedoch nicht ihn zu öffnen. Anfangs tat sie es nicht, weil es noch einen Funken Hoffnung gab, dass Lena den Cocktail aus Alkohol und starken Schmerzmitteln überleben würde. Als es nicht so war, war Carla im ersten Moment zu wütend auf die Ärzte, auf Lena, auf ihre Eltern und auf sich selber gewesen, um nur daran zu denken den Brief zu lesen. Mittlerweile hatte sie Angst den Brief zu lesen. Sie hatte Angst vor dem Inhalt. Angst vor den Begründungen. Angst vor dem Abschied. Angst vor den letzten Worten, die ihr ihre Schwester jemals mitteilen würde. Danach wäre sie weg. Endgültig.
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