Observation Action (c) jl-tanghe
Der Titel des letzten Ballettabends an der Opéra national du Rhin verwies, wie es der Ballettchef des Hauses Bertrand d´At im Programmheft klar machte, auf den Ort, an welchem getanzt wird. Den Ballettsaal, die Bühne, die sich immer wieder leeren und füllen und jeweils von Neuem erobert werden müssen. Mit zwei Choreografien wurde über die Ortsbestimmung allein darüber hinaus gezeigt, was zeitgenössischer Tanz heute kann und auch ist.
Emanuel Gat, dem der Vortritt vorbehalten war, hat mit dem Ballet du Rhin ein neues Stück erarbeitet das, und das ist das Faszinierende daran, gänzlich ohne Erzählstrang auskommt. Was in „Observation Action“ in 25 Minuten präsentiert wird, ist zeitgenössischer Tanz, der zwar gänzlich ohne Klassizismen auskommt, sich aber in der Raumbearbeitung und Aufteilung dennoch an diesem orientiert. Vielleicht sogar orientieren muss, denn ein begrenzter Bühnenraum, auf welchem Menschen tanzen, ändert sich nicht, auch wenn sich die Form des Tanzes, die darauf exerziert wird, verändert. Bei Gats Choreografie wechseln sich beständig kleine Gruppen mit Soloeinlagen ab. Er zeigt exakte Schrittfolgen und präzise Übergänge und nützt den Raum bestmöglich. Die in kurzen oder auch langen Trainingsoutfits gekleideten Tänzerinnen und Tänzer spüren ihren eigenen Choreografien nach und dennoch ergibt die Zusammenschau eine in sich stimmige, geschlossene Ästhetik, ein übergeordnetes Ganzes, das ständig im Fluss bleibt. Gat, der betont, dass er nicht als Tänzer ausgebildet ist und dennoch als Choreograf schon nach immens kurzer Zeit für Furore sorgte, schuf zu dem Stück selbst die sehr stimmige Musik. Eine an Bach angelehnte Fuge, durch Elektronik verfremdet, wird von einem lauten Rhythmusrauschen abgelöst, das schließlich wieder von den verfremdeten, historisch angelehnten Harmonien umrahmt wird. Die Tänzer warten, bis ihre Kollegen mit ihren kleinen Einlagen fertig sind, sehen ihnen dabei zu, um das eine oder andere davon aufzunehmen und in eine eigene, persönliche Sprache zu integrieren oder auch um sich davon gänzlich zu lösen und andere Wege zu erproben. Die fließenden Übergänge und die starke Konzentration auf das, was man eigene Persönlichkeit nennt, ohne die anderen dabei zu ignorieren, machen Gats Stück zum Erlebnis. Dass er dabei gänzlich ohne Bühnenbild auskommt und nur mit sparsamem Lichtwechsel arbeitet, ist logisch und wohltuend.
Empty house (c) jl-tanghe
Mit Johan Ingers „Empty House“ präsentierte sich ein von der Idee her ähnliches Stück, wenngleich es in seiner Choreografie anders angelegt ist. Inger, der gemeinsam mit Jiri Kilyán am Nederlands Dance Theater gearbeitet hatte, verarbeitete darin dessen Fortgang von der Truppe. Das, was Kilyán zurückließ, die Verstörung, die Wut, die Betroffenheit, aber auch die Leere ist es, die Inger mit seiner Choreografie ausdrückt. Hier ist es aber auch nicht ein Erzählung die das Publikum zum Nachdenken anhält, sondern eigentlich mehrere parallele Erzählstränge. Sein Tanz ist kein reines Abstraktum, dessen eigene Schönheit sich selbst genügt. Félix Lajkó, der ungarische Komponist und Violinist sorgte für die Musik, die zwischen Folklore, Jazz und Klassik angesiedelt ist und durch den kraftvollen Vortrag des Komponisten selbst auch noch vom Band eine unglaubliche Präsenz erhält. Inger arbeitet mit wenigen bühnenbestimmenden Requisiten, wie zwei nach und nach herabgelassenen weißen Leinwänden, welche die Bühne einmal quer und einmal frontal zum Publikum hin abtrennen. Die Räume, die dadurch entstehen, verstärken noch seine gleichzeitige Bespielung der Bühne, auf der sich mehrere Tänzer ihren eigenen Tanzuniversen gleichzeitig hingeben. Das Auge hat Mühe, sich für eine Performance zu entscheiden, auch hier ist der Wechsel fließend, oftmals aber von aggressiven Gesten begleitet. Die junge Frau, die zu Beginn ganz selbstvergessen am rechten Bühnenrand tanzt, mit sich selbst beschäftigt und doch mit einer bewussten Bühnenattitüde ausgestattet, verliert sich zum Schluss, scheint ohne Halt, strauchelt mehrmals und bleibt schließlich in einer eingefrorenen Position die ihr von einem Tänzer/Choreografen aufoktruiert wird, stehen. Die Dramen, die sich während dieser beiden exponierten Stellen ereignen und die viel von Gruppendynamik, von Auflösungserscheinungen, von Dominanz und Ohnmacht erzählen, können von allen Menschen nachempfunden werden, die sich von etwas verabschieden müssen, das unerwartet kommt und lebensbestimmend wirkt.
Ein Ballettabend, der Neues und bereits Bewährtes klug zu verbinden wusste und nicht zuletzt aufgrund der tänzerisch hervorragenden Leistungen vom Publikum laut akklamiert wurde.