Im Dharma werden Emotionen als geistige Regungen gesehen, die die Klarheit der Natur des Geistes verschleiern. Sie machen den Geist schwer und träge, und werden öfters auch als Störgefühle betrachtet.
Diese Emotionen befallen Körper und Geist und machen sie ruhelos. Jedes dieser Störgefühle ist im Grunde fehlerhaft, weil wir dadurch eine Situation eingeschränkt wahrnehmen. Und wenn sie nicht zu uns passt, dann lassen wir einiges draußen und orientieren uns an jenen Aspekten, die uns bestätigen. Weil dadurch fühlen wir uns wieder gut. Aber was sich wirklich gut fühlt, ist einfach eine oberflächliche, vergängliche Stimmigkeit von Identität. Da diese eben nicht von Dauer ist, versuchen wir weiterhin durch Abwehren von unangenehmen und Ergreifen von angenehmen Emotionen eine möglichst dauerhafte und glückliche Identität zu konstruieren.
Doch dieses Abwehren und Ergreifen führt zu einer beständigen Qual, deren eigentliche Ursache uns so lange verborgen bleibt, bis wir den Grund dafür erkennen. Da wir für uns eine eigenständige Identität wie auch für unsere Umwelt eine fixe Eigennatur konstruieren, unterliegen wir einer Täuschung. Diese Täuschung gilt es jedoch aufzuklären.
Ent-Täuschung
Gewöhnlich sind wir in einem Spiel von laufender ent-Täuschung und Täuschung gefangen. Wir täuschen uns über die wahre Bestehensweise von uns selbst wie auch der Phänomene und erleiden jedesmal wieder eine Enttäuschung, wenn eben dieses erschaffene Bild nicht mehr funktioniert. Es ist wie ein Griff ins Leere, wo wir gerade noch etwas Substanz vermutet hatten. Ertragen wir also diese Leere nicht? Macht uns dieses fluidale Nicht-Sein von Substanz so Angst? Wie können wir nun mit diesem Ereignis umgehen?
Ent-Wöhnung
Um mit den Störgefühlen konstruktiv zu arbeiten, gibt es mehrere verschiedene Ansätze. Einerseits bieten die Lehren des Buddha die Möglichkeit, durch die Praxis des geistigen Ruhens sich zu entspannen und einen Raum zu schaffen, sodass wir in der Lage sind, sie aus einer gewissen Distanz zu betrachten. Aus einer gewissen Entfernung betrachtet sind dann die an der Situation beteiligten Aspekte schon etwas leichter zu erkennen. Die eigene Identität fühlt sich schon nicht mehr so unter Druck gesetzt, etwas Raum ist entstanden und die Ursache für den Druck wird vielleicht auch klarer erkannt.
Vier Aktivitäten
Auf diese Weise kann man dann damit arbeiten, indem man eine von vier Handlungweisen – befrieden, vermehren, verwandeln und schließlich auflösen – anwendet.
Zunächst kann man ein Störgefühl dadurch befrieden, indem man die Ursache dafür aufgibt oder die auslösende Situation dafür meidet. Dies stellt eine sehr einfache Methode bereit. Man kann das Problem betrachten und das Zusammentreffen von Zeit und Ort erkennen. D.h. Dinge manifestieren sich eben nur durch das Zusammenkommen bestimmter Ursachen mit für sie förderlichen Bedingungen. Also ist es auch hin und wieder hilfreich, bestimmten Dingen einfach aus dem Weg zu gehen. Man ändert also Ort und Zeit. Auf diese Weise kann man zumindest einen vorübergehenden Frieden schaffen, Vermeidung als Strategie ist nicht immer die schlechteste Lösung.
Störgefühle können aber auch aus einem Mangel erscheinen und somit kann man eben diesen allfälligen Mangel beheben, indem man etwas Heilsames vermehrt. Betrachtet man beispielsweise Störgefühle wie Stolz, Eifersucht, Habgier, Zweifelsucht etc., dann findet man in der Praxis mit dem Gebet der Sieben Zweige ein probates Mittel, diese Störgefühle im Laufe der Zeit aufzulösen. Indem man sich eben vor anderen verneigt – und in der buddhistischen Praxis eben zunächst imaginär – mindert sich Überheblichkeit. Indem man sich am Heilsamen anderer erfreut, verringert sich Eifersucht. Durch das Darbringen von Gaben, wird Habgier gemindert usw. Diese Störgefühle sind einfach aus einer falschen Sichtweise über einen selbst entstanden und so wurde ein mangelhaftes Selbstbild geschaffen. Grundsätzlich ist ja bereits das Festhalten an einem Selbstbild schon das Kernproblem, aber wenn man noch nicht fähig ist, das Leersein von einem Selbst zu meditieren, dann ist die Anwendung von Gegenmitteln bei Störgefühlen sehr hilfreich. Damit schafft man zumindest eine emotionale Linderung und kann von einem positiven Zustand aus dann dieses Leersein kultivieren.
Im Falle sehr intensiver emotionaler Beeinträchtigungen kann man sie auch verwandeln. Wenn man auf den Pfaden der persönlichen Befreiung und der Bodhisattvas auf den Aspekt des Leerseins fokussiert, so liegt der Schwerpunkt der Betrachtung im Vajrayana auch im klar-deutlichen Erscheinen von Energie. Ja, im Vajrayana wird tatsächlich oft von Energie gesprochen und damit ist einfach das klar-deutliche Manifestieren aus der Natur des Geistes gemeint. Da Mahayana spricht auch oft von einem „Darüber-Hinaus-Gehen“ (para), während im Vajrayana die vorhandenen Phänomene im Vordergrund stehen und eben in eine reine Sicht verwandelt werden. Man betrachtet die Phänomene als reiner Ausdruck von Energie bar einer Eigennatur. Sie werden so als spielerische Manifestation der Natur des Geistes wahrgenommen.
Und schließlich gibt es auch noch besonders hartnäckige Störgefühle, die aus einer rigiden Geisteshaltung herrühren. Dafür gilt es einfach diese Rigidität zu befreien. Wie das geschehen kann? Man betrachtet ganz genau das betreffende Störgefühl und ergründet seine Substanz, sein Wesen. Da besonders hartnäckige Störgefühle immer in der Täuschung über die eigene Identität bestehen, versucht man am besten mal diese Identität – das Ich – zu finden. Falls man es nicht findet, kein Problem. D.h. es besteht kein Problem mehr.
Welche Methoden und Praktiken im Einzelnen dafür verwendet werden, kann man von der Chagdud Khadro erlernen, die vom 9. – 11. Dezember 2016 Belehrungen zu Longchenpas Text „Emotionen als Hindernisse oder Weisheit“ gibt. >mehr lesen