„Emmely III“ – die Abkehr des LAG Berlin von der Zulässigkeit der Bagatellkündigung

die Abkehr des LAG Berlin von der Zulässigkeit der Bagatellkündigung

Das Landesarbeitsgericht Berlin – dass ja den Fall „Emmely“ zu Lasten der Arbeitnehmerin entschieden hatte – zeigt sich nun in seiner neuesten Entscheidung geläutert und lässt eine außerordentliche Kündigung wegen Betruges einer Arbeitnehmerin mit einem Schaden von sogar € 150,00 nicht zu.

Landesarbeitsgericht Berlin – Urteil vom 16.09.2010

Die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg entschied am 16.09.2009 (Az 2 Sa 509/10) , dass zwar eine Vermögensstraftat eines Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ein außerordentlicher Kündigungsgrund (§ 626 BGB) ist, aber dass selbst bei einem Schaden von € 150,00 die langjährige Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers und die Tatsache, dass die Straftat (anders als bei Emmely) nicht im unmittelbaren Kernbereich der Tätigkeit des Arbeitnehmers begangen wurde, die außerordentliche Kündigung im Einzelfall unzulässig ist. Dabei nahm das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ausdrücklich Bezug auf die Grundsätze, die das Bundesarbeitsgericht im Fall Emmely aufstellte, nämlich die hohe Bewertung der langen Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers.

Bagatellkündigung dem Grunde nach ja – aber bei langer Betriebszugehörigkeit schwierig

Was war passiert?

Eine Arbeitnehmerin, die bei einem Unternehmen des Bahnverkehrs seit mehr als 40 Jahren beschäftigt war, feierte ihre 40-jährige Betriebszugehörigkeit. Nach einer Konzernrichtlinie hätte diese hierfür insgesamt € 250,00 an Dienstmitteln aufwenden dürfen. Für die Feierlichkeiten entstanden tatsächlich € 83,90 an Ausgaben, während die Arbeitnehmerin – die mittlerweile ordentlich unkündbar war – eine Quittung über € 250,00 an Ausgaben für die Feier vorlegte und behauptete, dass auch in dieser Höhe Ausgaben erfolgen. Die Quittung besorgte sich die Arbeitnehmerin von einer Bekannten, die in einem Schwesterunternehmen arbeitete . Der Betrag von € 250,00 wurde daraufhin ausgezahlt. Später stellte man bei einer Revision fest, dass die Quittung fingiert war.

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit der Arbeitnehmerin außerordentlich wegen des Betruges zu Lasten des Arbeitgebers.

Die Arbeitnehmerin erhob gegen die außerordentliche Kündigung die Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Berlin. Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage ab und meinte die Kündigung sei gerechtfertigt.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gab der Arbeitnehmerin in der zweiten Instanz Recht und hielt die Kündigung für unwirksam.

Dazu führte des LAG Berlin-Brandenburg aus:

Dabei ist weiter davon auszugehen, dass strafbare Handlungen zu Lasten des Arbeitgebers oder sonstige grobe Pflichtverletzungen grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen können. Ein Arbeitnehmer, der im Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung strafrechtlich relevante Handlungen gegen das Vermögen seines Arbeitgebers begeht, verletzt damit seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht schwerwiegend und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen in erheblicher Weise. Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts galt dies auch dann, wenn die rechtswidrige Verletzungshandlung nur Sachen von geringem Wert betroffen hat (BAG vom 11.12.2003 – 2 AZR 36/03 – NZA 2004, 486 : aussortierte Mini-Flaschen Alkohol ; BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 537/06 – NZA 2008, 1008 : Lippenstift ).

Liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich vor, so kann eine hierauf gestützte außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis allerdings nur dann wirksam beendeten, wenn bei einer umfassenden Interessenabwägung das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt. Dabei können in die Interessenabwägung einbezogen werden etwaige Unterhaltspflichten und der Familienstand des Arbeitnehmers, wobei dieser bei dem Vorwurf einer Straftat nur geringe Bedeutung hat (BAG vom 16.12.2004 – 2 ABR 7/04 – EzA Nr. 7 zu § 626 BGB 2002). Insbesondere der Dauer des Arbeitsverhältnisses und der beanstandungsfreien Bestandszeit kommt ein besonderes Gewicht zu. Weiter ist zu berücksichtigen, welche Nachteile und Auswirkungen die Vertragspflichtverletzung im Bereich des Arbeitgebers gehabt hat. Auch die Beurteilung der „Tat“ selbst und die Umstände von deren Begehung im Einzelnen spielen hier eine Rolle. Zu Lasten des Arbeitnehmers kann beispielsweise berücksichtigt werden, wenn der Pflichtverstoß einen sensiblen Bereich betrifft, eine fehlende Sanktion durch die Arbeitgeberseite die Gefahr der Nachahmung durch andere Arbeitnehmer verursachen kann und wenn der Arbeitnehmer seinen Pflichtenverstoß zunächst leugnet und dann mehrfach vorsätzlich die Unwahrheit sagt (so noch BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 39/05 – NZA 2006, 484; einschränkend für unwahre Angaben nach Ausspruch der Kündigung nunmehr wohl BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – PM).

Unter Beachtung und in Anwendung der vorgenannten Grundsätze war im Streitfall zunächst davon auszugehen, dass die Klägerin eine grobe und schwerwiegende Pflichtverletzung ihres Arbeitsverhältnisses dadurch begangen hat, dass sie der Beklagten eine „Gefälligkeitsquittung“ über einen Betrag von 250,00 € mit dem Hinweis vorgelegt hat, es handele sich dabei um die Kosten, die ihr für die Bewirtung der Kolleginnen und Kollegen aus Anlass der Feier ihres 40-jährigen Dienstjubiläums entstanden seien, während sich diese Kosten in Wirklichkeit nur auf 83,90 € belaufen haben. Sie hat sich den über 83,90 € hinausgehenden Betrag mithin durch eine Täuschungshandlung zu Unrecht seitens der Beklagten auszahlen lassen. Dies stellt sich als Betrug gegenüber der Beklagten dar. Die Klägerin war sich des Umstandes, dass sie von der Beklagten mehr Geld erhalten hat, als ihr an Kosten entstanden waren, auch sehr wohl bewusst. Sie hat damit in erheblicher und gröblicher Weise gegen ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten verstoßen. Es steht außer Frage, dass die Klägerin durch dieses Verhalten einen Kündigungsgrund „an sich“ im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gesetzt hat.

Im Rahmen der sodann anzustellenden Interessenabwägung im Einzelfall haben jedoch – letztlich – angesichts der mit einer Kündigung verbundenen schwerwiegenden Einbußen die zugunsten der Klägerin in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte überwogen.

Dabei ist die Kammer von denjenigen Grundsätzen ausgegangen, die der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 10.06.2010 (BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – PM) in die von ihm selbst vorgenommene Interessenabwägung eingestellt hat.

Zu berücksichtigen war danach zunächst die Beschäftigungszeit der Klägerin. Diese war zum Zeitpunkt des Vorfalles exakt 40 Jahre bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Sie hat damit ihr gesamtes Arbeitsleben bei der Beklagten bzw. den Rechtsvorgängerinnen verbracht.

Das Arbeitsverhältnis war bis zu diesem Zeitpunkt ohne rechtlich relevante Störungen verlaufen. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seiner Entscheidung vom 10.6.2010 (BAG vom 10.6.2010 -2 AZR 541/09) ausweislich der Pressemitteilung diesbezüglich herausgestellt, dass sich die – dortige – Arbeitnehmerin ein hohes Maß an Vertrauen erworben habe, das durch den atypischen und einmaligen Kündigungssachverhalt nicht vollständig zerstört worden sei. Im hiesigen Streitfalle war die Beschäftigungszeit der Klägerin noch erheblich länger als diejenige der dortigen Kassiererin. Mithin musste nach der Entscheidung des BAG vom 10.6.2010 davon ausgegangen werden, dass auch im hiesigen Streitfalle die Klägerin sich durch ihre 40-jährige Betriebszugehörigkeit ein solch hohes Maß an Vertrauen erworben hatte, das durch den Kündigungssachverhalt nicht sofort und vollständig verbraucht worden ist. Der hiesige Kündigungsvorfall ist von der Situation her tatsächlich „einmalig“: Es ist nämlich festzustellen, dass die Pflichtwidrigkeit der Klägerin sich nicht auf die von ihr auszuführenden „alltäglichen“ Handlungen bezogen hatte, sondern eine ganz seltene Ausnahmesituation betrafen. Die Feier zum 40-jährigen Dienstjubiläum war ein – im Wortsinne – einmaliger Vorgang und stellte für die Klägerin einen Ausnahmefall dar. Anders als die Kassiererin im Falle der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 10.06.2010 hat die hiesige Klägerin ihr Fehlverhalten mithin nicht im „Kernbereich“ ihrer Tätigkeit begangen, sondern weit außerhalb von diesem. Die Klägerin ist als Zugansagerin beschäftigt und hat – soweit ersichtlich – mit Geldangelegenheiten nichts zu tun. Eine Gefährdung des Vermögens der Beklagten durch ähnliche Handlungen ist mithin im Streitfalle sehr unwahrscheinlich; denn der hier in Rede stehende Vorgang wiederholt sich – anders als bei einer Kassiererin im Supermarkt die Vorgänge an der Kasse – nicht. Er bleibt – wenigstens in der Ausgangssituation – „einmalig“.

Weiterhin war zugunsten der Klägerin in die Interessenabwägung einzustellen, dass sie sogar – anders als die Kassiererin in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10.06.2010 – den Vorfall bei ihrer Befragung durch den Arbeitgeber unumwunden eingeräumt und somit die Ermittlungsarbeit und Aufklärungsarbeit des Arbeitgebers nicht behindert hat. Es mag sein, dass der Arbeitgeber sie in dem Personalgespräch mit eindeutigen, belastenden Tatsachen konfrontiert hat; dessen ungeachtet bleibt es dabei, dass die Klägerin den Vorgang ohne zu zögern eingeräumt hat. Auch dies ist ein Gesichtspunkt, der jedenfalls nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen und der für die prognostische Betrachtung des Vertrauensverhältnisses und der zukünftigen Entwicklung des Arbeitsverhältnisses von Bedeutung ist. Denn gerade das Verhalten des Arbeitnehmers nach begangener Pflichtwidrigkeit kann diese in unterschiedlichem Licht erscheinen lassen. Geht der Arbeitnehmer offen mit der Pflichtwidrigkeit um, lässt er bei der Befragung durch den Arbeitgeber erkennen, dass er diese bedauert oder dass er diese möglicherweise unbedacht begangen hat, so kann das für die Frage einer möglichen Zusammenarbeit in der Zukunft durchaus eine positivere Prognose zulassen, als wenn der Arbeitnehmer seine Tat beharrlich leugnet, diese zu vertuschen versucht oder gar versucht, andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Anlass in seine eigene Pflichtwidrigkeit „mit hereinzuziehen“. Gerade in letzterem Fall wird die Prognose eher negativ ausfallen, während im ersteren Falle immerhin eine weitere Zusammenarbeit nicht ohne Weiteres als unmöglich erscheinen muss.“

Letztendlich ging hier die Interessenabwägung zu Gunsten der Arbeitnehmerin aus, was aber nicht heißt, dass per se, der Arbeitnehmer bis zum Vermögensschaden von € 150,00 Straftaten gegen den Arbeitgeber begehen darf. Entscheidend waren hier:

  • die lange Betriebszugehörigkeit
  • die Einmaligkeit des Vorfalles/ seltene Ausnahmesituation
  • keine Straftat im Kernbereich (z.B. Diebstahl bei der Kassierin)
  • das Verhalten der Arbeitnehmerin nach der Tag (zugeben der Straftat)

Die Entscheidung ist aber trotzdem erstaunlich, da das LAG Berlin-Brandenburg in Sachen „Emmely“ anders entschieden hatte.

Rechtsanwalt Arbeitsrecht Berlin – RA A. Martin



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