Kinderärzte können ein Lied davon singen, aber auch Erzieherinnen im Kindergarten oder die Verkäuferin hinter der Wursttheke: Es gibt Kinder, die sprechen keinen Ton. Sie verstecken sich hinter dem Rockzipfel der Mutter oder den Ruderoberschenkeln des Vaters. Im Bösen sind sie unerzogen, im Zweifelsfall schüchtern, in Realität aber mitunter wirklich erkrankt.
Selektiver Mutismus ist kein Charakterzug, kein wirkliches Erziehungsproblem, sondern eine Form von Angst. Die Kinder haben eine Urfurcht vor dem Kontakt mit anderen, was sie umgibt, ist nicht klar, die Angst vor dem Versagen, die Angst vor der Nähe oder die Angst, durch den Kontakt den Kitt zur Mutter, zum Vater auslösen zu müssen.
Nicht jedes stilles Kind ist automatisch mutistisch, es gibt auch genug Kinder, die die Sprachlosigkeit zur Routine erheben, Stille kann so provozieren und Aufmerksamkeit erheischen wie die Hansdämpfe des Kindergartens. Letztendlich sind die Stillen aber die Braveren, sie machen schon alles mit in der Gruppe, aber eben ohne Stimme.
Anne Gauß – selbst betroffene Mutter – hat ein hübsches Bilderbuch geschrieben und illustriert, um diesen ängstlichen Kindern ihren Mut zurückzugeben und fand im Verlag iskopress einen Miteinander, der bereits vieler Therapie- und Mutmachbücher in seinen Reihen finden lässt. Emil ist in seiner Nussschale (ich liebe dreimal-s) gefangen und die Zaubererin hilft ihm heraus, in dem sie ihm den Zauber seiner Erlösung verspricht. Dazu nur fehlen ihr diverse Zutaten, die der arme Emil nun auf dem Markt und im Geschäft holen muß. Wir ahnen, wohin das führt: Durch stete Übung, vertrauensvolles Zumuten und behutsame Konfrontation mit der Angst verschwindet die Schale und der Zauber ist erfüllt.
Die Geschichte ist einfach, sie soll ja auch vorgelesen werden, die Bilder sind bewußt einfach, wenn auch bunt und wie von einem Kind gemalt – das macht sympathisch, auch wenn das Buch so beim ersten Durchblättern in seiner Schlichtheit auch befremden kann.
Ich habe Kinder in meiner Praxis, die Nussschalen mit sich tragen, und Eltern, die darunter leiden und sich nicht mit der Floskel “Er/Sie ist halt so” begnügen wollen – ihnen werde ich das Buch empfehlen.
Der Junge in der Nussschale: Eine Geschichte, die schweigenden, stotternden und schüchternen Kindern Mut macht
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