Das Positive zuerst: Beim Spiel von Spanien gegen Italien zum Gruppenauftakt gab es mehr Fussball zu sehen als in allen bisherigen Partien zusammen. Das lag auch und besonders daran, dass sich Italien erstmals nach dem 2. Weltkrieg entschlossen hatte, wirklich Fussball zu spielen, statt den Doppelstock-Bus vor die Tür zu stellen und auf einen Konter zu hoffen. So wurde es ein munterer Schlagabtausch ab der ersten Minute, der dem Zuschauer Freude machte. Das 1:1-Unentschieden wurde am Ende beiden gerecht. Den spanischen Sieg hatte Trainer Vicente Del Bosque rücksichtsvoll und erfolgreich verhindert.
Nach Wochen der Fan-Diskussionen “Torres oder Negredo” hatte der spanische Übungsleiter die Patentlösung parat: weder noch! Auch die dritte Option, den aktuell besonders spielstarken und erfolgreichen Torjäger Llorente von Bilbao, liess er ebenfalls auf der Bank. Wenn schon falsch, dann wenigstens konsequent. So begann Spanien also ohne Stürmer. Richten sollten es die offensiven Mittelfeldspieler Silva, Iniesta oder Cesc Fabregas. Das konnte nicht funktionieren, denn das Barça-Rezept war gegen Italien genau das falsche. Hacke-Spitze-und-nochmal-von-vorn. Vor allem hatte Del Bosque offensichtlich vergessen, dass ihm Messi nicht zur Verfügung stehen konnte, um die Barcelona-Struktur zu kopieren.
So gab es also ansehnlichen Fussball - bis zum Strafraum. Und dort fand sich niemand für den Abschluss. Wer denn auch? Querpass, Querpass, Querpass. Das kann man nach spätestens 20 Minuten merken, muss man nicht. Del Bosque musste nicht. Er schaute der chronisch-logischen Abschlussschwäche stoisch bis zur 64. Minute zu. Und dann? Endlich? – Aber nein: Jetzt musste der beste Mann des Spiels, David Silva, gehen und Flügelflitzer Jesús Navas kam. Der brachte auch sofort frischen Wind, aber wer sollte seine Flanken köpfen? Die Zwerge Iniesta, Xavi, Fabregas? – Dann also niemand.
Erst in der 74. Minute muss Del Bosque irgendein erpresserischer Anruf von Luis Aragones erreicht haben, und er brachte endlich Fernando Torres für Fabregas. Das machte sich sofort bemerkbar in den dann dynamischen Angriffen, kam aber zu spät, um das Unentschieden noch in einen Sieg verwandeln zu können. Del Bosque hat sich heute lange genug dagegen gewehrt: Listig wie ein Fuchs sorgte er dafür, dass die Gruppe spannend bleibt und Spanien nicht zu sehr unter der Favoritenrolle leidet. Das war super, muchas gracias, Don Vicente. Aber einmal reicht. Können wir dann bitte jetzt beim nächsten Spiel doch wieder mal einen Stürmer aufstellen? Bitte, bitte!