EM 2012: Auf ein Wort, Don Vicente …

Von Uhupardo

Das sage ich Ihnen jetzt, Señor Del Bosque, damit es später nicht heisst “Wieder einer, der sich nur meldet, wenn etwas schief geht”. Damit die Sache klarer wird, werde ich Ihnen den Vortrag in klar abgegrenzten Teilen halten. Beide sind richtig, widersprechen sich kein bisschen, auch wenn das so klingen könnte. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Keine Frage, welche Nationalmannschaft die Beste ist! Die Frage ist nur noch, wie sehr der Trainer den Erfolg verhindern kann, wenn er sich nur genügend anstrengt.

Teil 1
Das muss ich Ihnen nicht erklären, Don Vicente, Sie wissen es selbst: Nachdem die spanische Nationalmannschaft über Jahrzehnte ansehnlichen Fussball gespielt hatte und damit maximal ins Viertelfinale kam, hatte sich das ganze Land so sehnlich einen Erfolg gewünscht. Wir waren alle schon sehr sarkastisch angehaucht, als die EM 2008 begann: “Wir werden wieder grossartig spielend vorzeitig die Koffer packen – no pasa nada” – so oder ähnlich klang es überall. Ihrem Kollegen Luis Aragones hatten wir zu verdanken, dass es dann ganz anders kam.

Er setzte konsequent auf “Los Bajitos”, die kleingewachsenen wendigen Spieler wie Silva, Iniesta, Xavi Hernández, die den Ball so virtuos beherrschen und spielte die Gegner mit ständigem Ballbesitz schwindlig und müde. Das Tiki-Taka funktionierte perfekt, Villa machte die Tore, Spanien wurde Europameister. Damals habe ich geschworen: “Das wollte ich einmal erleben! Nur einmal. Die Gerechtigkeit hat gesiegt, es ist vollbracht, es reicht. Nie mehr werde ich mich aufregen, wenn es mal nicht so funktioniert.” – Danach wurde Spanien 2010 Weltmeister. Wie es danach im Land aussah, wissen Sie selbst, Don Vicente. Ich habe noch nie im Leben so laut gebrüllt wie beim Tor von Iniesta im Endspiel gegen Holland – und Tränen hatte ich in den Augen. Das ganze verdammte Adrenalin eines leidensgeprüften Fussball-Fans brach sich Bahn.

Das war mehr, als ich jemals gehofft hatte. Europa- und Weltmeister gleichzeitig, was für ein Wahnsinn nach all den Jahrzehnten der langen Gesichter. Was ich mit all dem sagen will? Nun, ganz einfach: Ich bin einfach zufrieden, innerlich komplett ruhig. Es braucht jetzt keinen Titel mehr, ich fordere nichts, bin sehr dankbar für das Erreichte. Wenn Spanien es nicht ins Finale der EM schafft – kein Problem. Wenn hoffentlich Brasilien statt Spanien Weltmeister wird in zwei Jahren – alles in Ordnung, ich brauche erstmal keine Trophäe mehr. Nur noch ein bisschen schönen Fussball würde ich gern sehen. Und mit eben diesem Satz sind wir beim anderen Teil des Monologs.

Teil 2
Keine einzige Mannschaft hat berauschenden Fussball geboten in der Gruppenphase. Kommt hoffentlich noch. Spanien hat ganz ansehnlich gespielt gegen Irland, gekämpft gegen Italien und eine schrecklich nervige und ermüdende Partie gegen Kroatien gerade noch in letzter Minute gewonnen. Hunderte von sinnlosen Kurzpässen, ohne jedes Steilspiel in den Raum, praktisch ohne Torschüsse. Immer nur durch die Mitte, die von zwei Viererketten blockiert war. Damit es dann auch garantiert keine Tormöglichkeit mehr gab, haben Sie Fernando Torres rausgenommen. Danach kam Flügelflitzer Jesús Navas, der endlich Bewegung brachte. Nur: Wer sollte denn dessen Flanken köpfen gegen die im Durchschnitt grössten Spieler der EM im kroatischen Team, nachdem sogar Torres weg war? Die Zwerge Iniesta, Silva oder Xavi vielleicht?

Sie wurden in den vergangenen Tagen von vielen Seiten heftig kritisiert, Don Vicente. Weil Sie offensichtlich vergessen haben, dass es keinen David Villa in diesem Team gibt, der die Tore macht. Nervendes Kreiseldrehen schiesst keine Tore, Señor Del Bosque, auch Ballbesitz garantiert keine Siege. Im Viertelfinale werden sie wieder einen Gegner erleben, der sich einmauert gegen unsere Ballkünstler. Wollen Sie dann wieder in Tiki-Taka-Schönheit sterben und die Fans auf den Nägeln kauen lassen, die schon gegen Kroatien besorgt waren?

Wirklich ärgerlich war ich aber erst vor ein paar Stunden, als Sie im Interview mit der Sport-Zeitschrift MARCA wörtlich sagten: “Wir haben die Spieler, die wir haben, und wir können nicht anders spielen.” Das war genau einer zu viel, Don Vicente! Mit diesem Satz könnte man ganze Talk-Runden füllen, aber ich will es kurz machen:

- Die Spieler sind nicht die, die sie sind, sondern die, die Sie ausgesucht haben. Spanien hat glücklicherweise so viele hervorragende Fussballer, dass Sie sogar mit zwei Mannschaften ins Finale kommen könnten. Und nicht alle dieser Spieler exerzieren schwindelerregend-sinnloses Kreiseldrehen als Lebenszweck.

- Wenn der Nationaltrainer die Kreiseldreher aussucht, von denen einige nach einer langen Saison erkennbar ausgelaugt sind, und nicht solche, die das direkte Steilspiel in den Raum vorziehen, dann ist er allein dafür verantwortlich und nicht etwa diejenigen, die jetzt spüren, dass es einiger Änderungen bedarf.

- Wenn das Tiki-Taka ohne Torabschluss unverhandelbar ist, wofür haben Sie dann Jesús Navas, Pedro, Torres, Llorente, Negredo oder Javi Martínez mitgenommen, die ganz andere Charakteristika haben?

- Wenn es also Spieler in der Nationalmannschaft gibt, die nicht immer auf Kreiseldrehen setzen, ist der Nationaltrainer dann unfähig, auf eine andere Formel zu setzen, wenn die Lage es verlangt? Oder ist es die Message an diese Spieler, dass sie sich entweder dem ewigen Tiki-Taka anpassen oder EM-Zuschauer bleiben?

Ihr Problem, Don Vicente, ist Ihre fehlende gedankliche Beweglichkeit. Ich werde sicher nicht an den Kenntnissen eines Trainers zweifeln, der zweimal mit Real Madrid die Champions League gewonnen hat. Aber dieses sturköpfige “nicht ändern, was funktioniert hat” ist Ihr Problem. Verschiedene Situationen erfordern verschiedene Lösungen – Spanien hat genug Variationsmöglichkeiten für alle. Man muss sie nur einsetzen (wollen). Wenn Sie also gerade von vielen Seiten kritisiert werden, ist das weder böse Absicht noch gegen Sie persönlich gerichtet. Wir würden nur gerne noch – möglichst drei weitere Spiele lang – attraktiven spanischen Fussball sehen bei dieser Europameisterschaft. Geben Sie sich einen Ruck, Don Vicente! Wir sind doch sonst so zufrieden – nur ein bisschen müde vom unproduktiven Kreiseldrehen.