Mutter Christine (Christiane Paul) wird von Tochter Emma (Emilia Pieske) ganz schön gefordert.
Familienchaos gibt es zu genüge im Kino. Oftmals natürlich nicht aus dem klassisch-normalen Familienbild heraus, sondern durch Konstellationen verschiedenster Natur: Die Patchwork Familie gibt es Im Dutzend Billiger, Ben Stiller sieht sich in Meine Braut, ihr Vater und ich samt Fortsetzungen der Neufamilie, später auch der eigenen Chaotentruppe gegenüber. Das alles ist Hollywood. Das alles geht auch noch etwas feiner. Dann, wenn Regisseur Robert Thalheim die Zügel in der Hand hat und das moderne Bild einer Familie zeichnet, die nicht etwa zusammen gewürfelt oder gänzlich Banane ist, sondern die das klassische Bild vom Mann, der das Geld nach Hause bringt und von der Frau, die sich mütterlich um die Kinder und den Haushalt sorgt, anfangs umdreht. Dann aber kehrt auch Eltern wieder zur gegebenen Normalität zurück und schon entsteht das angestrebte Familienchaos.
Das funktioniert so herausragend, da sich die vier Darsteller so ungemein wie eine wirkliche Familie geben. Selbst mit Charly Hübners aus dem Polizeiruf 110 bekannten Gesicht und Christiane Paul, viel zu selten im Kino zu bewundern, fühlt sich die anfängliche Familienidylle, aber auch der spätere Streit, so ehrlich und authentisch an, dass man gerne mal das Spiel vergisst und sich dem Format der vormittäglichen Doku-Soap aussetzt. Gott sei Dank weit über der dort vorherrschenden Qualität. Hübner und Paul sind Konrad und Christine, ein sich liebende Ehepaar mit zwei Kindern, zehn und sechs Jahre jung. Sie präsentieren sich als moderne Familie, weil Konrad zuhause bleibt und sich um Käthe und Emma kümmert, während seine Frau als Oberärztin das nötige Kleingeld verdient.
Konrad (Charly Hübner) fühlt sich im Theater wohl, in der Familie irgendwann nicht mehr so sehr.
Aber Konrad hat von einem alten Kollegen ein Angebot erhalten. Er soll zurück auf die Theaterbühne, wieder Regie führen. Er wittert eine zweite Chance seine Leidenschaft auszuleben und nimmt das Angebot an. Dadurch entsteht jedoch etwas Chaos in den heimischen vier Wänden, wo ein argentinisches Au-pair-Mädchen (Clara Lago) angeheuert wird um sich um die beiden Kinder zu kümmern, während Mama und Papa nun beide berufstätig sind. Dumm nur, dass das Au-pair schwanger ist und dringend Ruhe braucht. Da kommen zwei beschäftigungssüchtige Kids natürlich gänzlich ungelegen. Für Konrad wird es zu chaotisch, er nimmt sich eine Auszeit von der Familie. Für Christine heißt das dann, dass sie sich um Job, Kinder und Haushalt kümmern muss. Klar ist, dass sich hier gründlich etwas am Familienmanagement ändern muss.
Allzu leicht hätte man dieses Familienleben zum überspitzt dargestellten Klamauk machen können, dann aber hätte ein anderer Regisseur, andere Darsteller sich dem Drehbuch annehmen müssen, das wiederum von Thalheim selbst in Zusammenarbeit mit Jane Ainscough (Die Wolke, Wo ist Fred?) geschrieben wurde. Die moderne Familie wird nicht plakativ in den Vordergrund gerückt, sie ist einfach da. Kein „wir sind aber modern“, kein „wir machen alles anders“, es ist ein normales Lebenskonzept, welches nur in sehr seltenen Fällen bewusst thematisiert wird – wenn zum Beispiel auf einem Kindergeburtstag die anderen Mütter von Konrad schwärmen, weil er im Haushalt nicht nur mit anfasst, sondern ihn gleich selbst schmeißt.
Christiane Paul mit Filmtochter Käthe (Paraschiva Dragus).
Diese Moderne wird ebenso schnell wie man sie erkennt dann auch wieder gebrochen. Zwar bleibt Christine vorerst ihrer Arbeit treu, aber in dem Moment, in dem Konrad den Duft der Arbeitswelt schnuppert, werden auch seine klassisch-männlichen Familienernährer-Gene wiedererweckt. Das ist dann nicht besser oder schlechter, sondern einfach anders. Robert Thalheim hat keine Lösung parat für das perfekte Familienzusammensein, er zeigt mehrere Vorgehensweisen, die allesamt scheitern, weil Perfektion angestrebt wird. Im Grunde sagt Eltern aber aus, dass – ganz gleich welchen Weg man wählt – das Elternsein, das Familienleben eine Herausforderung ist, die Spaß machen kann und soll, aber eben auch Opferbereitschaft und Hartnäckigkeit erforderlich sind.
Etwas was das Au-pair-Mädchen Isabel nicht zu haben braucht. In ihrer Person liegt ein fast noch größeres Bild der Moderne verborgen, vielleicht sogar ein Kommentar auf weltliche Ansichten verstreckt. Als gläubige römisch-katholische Argentinierin lässt sie ihre Schwangerschaft abbrechen, treibt das kleine Kind in ihrem Bauch ab und stellt sich damit gegen die scheinbare Notwendigkeit der Familiengründung, ebenso wie gegen die Ansicht der römisch-katholischen Kirche, die eine extreme Anti-Haltung gegen die Abtreibung pflegt. Damit wird ein Kontrast zur Familie geschaffen, bei der die moderne junge Frau auch sehr gut ohne einen Mann an ihrer Seite auskommt, erst gar nicht den Willen hegt, ein Kind aufzuziehen.
Familienzwist und Abtreibung also, zwei Themen die sich vorzüglich für ein tragisches Drama eignen würden. Gerade im deutschen Kino scheint es gar keinen anderen Weg zu geben von solchen Dingen zu erzählen. Was aber Herr Thalheim hier abliefert ist weder das tränenreiche Drama, noch die überkandierte Komödie. Es ist das pure Leben. Es ist zum Lachen und zum Weinen, zum nachdenken und zum schmunzeln, vor allem aber ist es wahrheitsgemäß erzählt. „Willkommen in unserer verrückten Familie“ begrüßt Christine das Au-pair in Deutschland. Da erwartet man dann sofort einen abgedrehten Alltag, merkt dann aber schnell, dass eigentlich alles ganz normal – oder im Umkehrschluss – jede Familie so ein wenig verrückt ist.
“Eltern“
Originaltitel: Eltern
Altersfreigabe: ohne Altersbeschränkung
Produktionsland, Jahr: D, 2013
Länge: ca. 99 Minuten
Regie: Robert Thalheim
Darsteller: Charly Hübner, Christiane Paul, Paraschiva Dragus, Emilia Pieske
Kinostart: 14. November 2013
Im Netz: eltern-derfilm.de