Das Elsass existiert administrativ-rechtlich im französischen Staat nicht als Einheit. Elsass ist eine historische Bezeichnung für die Region zwischen Vogesen und Oberrhein. Administrativ ist die Region in zwei Departements aufgeteilt: Bas-Rhin (Niederrhein) und Haut-Rhin (Oberrhein). Die Elsässer fühlen sich aber zumindest folkloristisch einer Region Elsass zugehörig.
Dieser Zustand hätte sich jetzt ändern sollen. Die Elsässer stimmten am Sonntag darüber ab, ob die beiden Departements administrativ zu einer Region zusammengelegt werden sollen. Daraus sollte dann ein einheitlicher Regionalrat für das Elsass entstehen. Eigentlich eine wenig weltbewegende Angelegenheit, wenn nicht damit in die vor sich hin tümpelnde elsässische Identitätsfindung neuen Schwung gekommen wäre. Wie schon lange nicht mehr wird die Stellung des Elsass in Frankreichs diskutiert. Bisher überwog das Bedürfnis einer bedingungslosen Anpassung an die französische Sprache und Kultur, obwohl das Elsass historisch gesehen deutschsprachig war und in der deutschen Kultur eine wichtige Rolle spielte.
Jean Egen hat in seinem Roman „Die Linden von Lautenbach“ die berührende Schilderung einer Generation junger Elsässer, die die Wurzeln ihrer Geschichte verloren hat und Sie jetzt mühsam wieder suchen muss, verfasst. Was dem Elsass durch die leidvolle Geschichte als Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich an Möglichkeiten der Selbstfindung verwehrt blieb, sollte jetzt mit der Volksabstimmung einen neuen Start bekommen.
Für die elsässische Partei "Unser Land" wäre das endlich der Beginn einer Absage an den Pariser Zentralismus. Auch viele Elsässer hoffen unter anderem in Richtung auf das Beispiel Baden-Württemberg blickend für mehr Spielraum für eine einheitliche Region Elsass. Wobei vor allem auch die Sprachenfrage auf dem Weg über die Möglichkeit einer eigenen Kulturpolitik eine Rolle spielt. Laut dürfen die Elsässer nicht sagen, dass sie nicht nur Französisch können, sondern dass auch die Mehrheit der Vorfahren Deutsch gesprochen hat. Zaghaft spricht man von "Elsässisch" als einer Regionalsprache.
Es gibt natürlich auch heftige Gegner einer einheitlichen Region Elsass. Zu Recht vermuten sie, dass damit der deutsche Anteil des elsässischen Volkes wieder gestärkt würde und damit die Bemühungen der französischen Regierung zur Ausmerzung auch der letzten Identitätsmöglichkeit der Elsässer mit ihren alemannisch-deutschen Wurzeln einen Kratzer bekommen könnten. Eine Vertreterin dieser Gattung ist Yvonne Bollmann, ein französische Germanistin, deren Spezialität die Deutschen-Phobie ist. Auf jeden Fall hat sie ein paar Bücher geschrieben, in denen der drohende Griff Deutschlands auf Frankreich vorrangiges Thema ist. Auch diesmal hat die drohende Gründung einer einheitlichen Region Elsass sie veranlasst, Frankreich vor der schlimmen Gefahr der Unterwanderung des Elsass durch die Deutschen zu warnen. Für sie würde ein einheitliches Elsass nur den Deutschen dienen, denn dann hätten sie einen einheitlichen Ansprechpartner auf der anderen Seite des Rheines statt sich mit zwei elsässischen Regionalräten, vielen Städten und Gemeinden herumschlagen zu müssen.
Die elsässischen Stimmbürger hatten also erstmals die Wahl über ihre eigene Situation zu entscheiden. Die Ergebnisse zeigen allerdings, dass den Elsässern das Thema scheinbar ziemlich egal ist. Denn höchstens ein Drittel der Wahlberechtigten ging zu den Wahlurnen. Während vom Bas Rhin mit Straßburg als Hauptort ein "ja" gekommen ist, hat der "Haut Rhin" mit Mülhausen als Hauptort mehrheitlich dagegen gestimmt. Nach den Regeln der Abstimmung gilt das Vorhaben damit als abgelehnt, da beide Departements zustimmen müssten.
"Unser Land", die Elsässer-Partei, schreibt dazu: "Diesen Sonntag, den 7. April 2013, hätte das elsässische Volk die administrativen Mauern, die vom Jakobiner-Staat errichtet wurden, um das Land zu teilen und zu unterjochen, niederreißen können. Die Geschichte bot zum erstenmal den Elässern die einmalige Gelegenheit, über die Zukunft ihrer Institutionen zu entscheiden. Die Einwohner des Unter-Elsass haben eine klare Antwort auf die Frage gegeben, die ihnen gestellt wurde: Wir wollen ein starkes und vereintes Elsass. Im Ober-Elsass hat sich das Nein durchgesetzt. Dieses Resultat ist zu einem großen Teil dem niedrigen Intelligenzgrad gewisser Würdenträger zu verdanken. Aus politischem Interesse haben diese alles daran gesetzt das Projekt zu torpedieren, vor allem indem sie einen kindischen Streit über den Sitz der zukünftigen Regionalregierung geschürt haben."
So bleibt es halt so wie es das Nationalgedicht der Elsässer "Dr Hans im Schnokeloch" so trefflich schildert:
"Dr Hàns ìm Schnokeloch hàt àlles wàs er wìll,
Un wàs er hàt, dàs wìll er nìt,
Un wàs er wìll, dàs hàt er nìt,
Dr Hàns ìm Schnokeloch hàt àlles wàs er wìll."
Oder nehmen wir die Schilderung des elsässischen Schriftstellers und Kabarettisten Martin Graff in seinem Roman "Grenzvagabund": "Das Elsaß? Ich habe die Nase voll, Elsässer zu sein. Bilder fliegen durch meinen Kopf herum wie Nebelschwaden, die nach einem Sommerregen durchs Tal ziehen. Mademoiselle Becker klebt mir den Mund zu, weil ich im Schulhof Elsässisch rede......Mir wird schwindlig, Georgier, Baske, Tibeter, Tscherkesse, Uigure, Zulu, Gagause, Indianer? Egal was, aber nicht Elsässer! ...." Und auch das stammt von Graff: ”Wenn deutsche Touristen, angefüllt mit Sauerkraut und aufgeweicht in Riesling, in ihr elsässisches Hotelbett sinken, fragen sie sich: Wo bin ich? In Deutschland oder in Frankreich?”
Eins von beiden, nur nicht im Elsass.