Nach Feierabend sofort mit der S-Bahn zum Schloss Bellevue. Wo geht's zum Schloßgarten, der liegt ja hinter dem Schloss, ist von der Straße, wo wir das letzte mal protestiert haben, nicht einzusehen. Den Weg zu finden ist einfach, einfach der Menge nach. Westausgang. Durch die alten Glastüren dann links halten. Ein kurzer Weg. Der Park, der den Schlossgarten umgibt, ist nicht beleuchtet, es ist pechschwarz. Nur die Frontscheinwerfer der Polizei leuchten frontal entgegen, als wollten sie einen durchleuchten. Doch wir haben nur friedliches Equipment: Trillerpfeifen, Vuvuzeelas, Smartphones und Digitalkameras. Es sind auch diesmal wieder mehr Demonstranten als erwartet. Und zwar nicht nur, wie SPON schreibt, die Facebookgeneration zwischen 20 und 40. Nein, auffallend viele ältere, auch in Pelzmänteln, sind darunter. Eine Gemeinschaft quer durch alle Schichten und durchs politische Spektrum. Dieser Bundespräsident hat sie alle auf die Palme gebracht.
Die Vuvuzeelas proben, und es klingt als kündige sich Hannibal mit seinen Elefanten an, der gleich den Gartenzaun einreißen wird. Und wirklich, es sind immer einige dabei, die die Grenzen austesten, die die Polizei setzt. Auf die Parkbank darf man, an den Zaun nicht. Blendende LED-Taschenlampen schwenken immer wieder über die Büsche. Die Vuvuzeels tröten, einer hat ein Megaphon mit Feuersirene dabei. Es klingt wie Fliegeralarm. Die Polizei greift ein, aber nichts eskaliert. Einer ruft in ihre Richtung: "Hupen Sie doch auch mal." Antwort: "Nein, die würden uns erkennen." Aha, die sind heute mal auf unserer Seite :-)
Dann marchieren plötzlich die Fackeln vorbei. Hinter Büschen. Zum ersten mal erlebe ich solche eine Atmosphäre: Soldaten mit Stahlhelmen, wie wir auf dem iPhone mitlesen, und Fackel. Unwillkürlich denkt man an alte Aufnahmen von Reichsparteitagen. Was törnt einen Politiker daran so an? Oder anders: Welche Art Politiker törnt das so an, dass sie unbedingt darauf bestehen? Der zweite Gedanke: Für was alles werden junge Soldaten in diesem Lande immer noch missbraucht.
Wir hören nichts von der Musik, die Vuvuzeelas übertönen hier alles. "Buuuh" und "Pfui"-Rufe darunter. Aber wir sehen nichts von der Zeremonie. Wulff und Merkel halten uns draußen. Ihr Selbstverständnis ist nicht so viel anders als das was wir über Putin im Fernsehen gesehen haben. Später lesen wir, Merkel habe den Lärm pikiert vernommen und nach hinten gefragt: "Was war das denn?" Im WELT Forum kommentiert einer: "Das war der 40. Jahrestag der DDR."
Wulff geht mit keinem Satz auf uns ein. Natürlich nicht. Kohl hat seinen Widersachern immer einen mitgegeben. Weil er innerlich stark war. Wulff ist es nicht. Nur wer schwach ist, betont zu sein was er nicht ist: "Ich freue mich auf das, was vor mir liegt." Eine Negation seines Traumas. Denn ab heute ist er für uns niemand mehr, nur die Staatsanwaltschaft interessiert sich noch für ihn. Viele würden nach einer Verurteilung Abbitte leisten müssen. Z.B. Peter Altmaier. Er warf den Mitgliedern von SPD und Grünen, die ihre Einladung mit einer Absage beantworten, im DRadio Interview "fehlende staatsmännische Größe" vor. Leute wie Altmaier, Guttenberg und Konsorten argumentieren gerne von oben über "Kinderstube" und "Anstand". Aber unter Merkel ist die Partei eine Organisation anstandsloser Gesellen geworden (Althaus, Guttenberg, Hintze, Wulff). Raffiniert stellte der Moderator danach deshalb fest, dass das dann auch für die Altbundespräsidenten gelten müsse, die allesamt auch abgesagt hatten. Tja, so wollte der Parteifunktionär das nicht platziert haben, aber so ist es zu platzieren.
Das ZDF zeigt hier einen unkommentierten Mitschnitt des Zapfenstreiches. Da wir rund um Bellevue platziert waren, muss es sich angehört haben wie auf dem Rasen des Olympiastadions, wenn gegen Hertha ein unberechtigter Elfmeter gegeben wird. Laut. Und böse. Und auch Steffen Seibert, der @regsprecher durfte die Proteste auf sich beziehen, für seine unglaublich dreiste Kommunikation über alles, was mit Wulff und Gauck zusammenhing in den vergangenen Wochen.