Elchkopfstäbe - Sind sie die Vorläufer der Tierkopfszepter der Indogermanen?

Von Ingo Bading @ingo_34

Zur Geschichte der Zauber- und Herrschaftsstäbe

Elche gehörten - neben Rentieren - zu dem häufigsten Jagdwild in Nord- und Osteuropa vor der Einführung des Ackerbaus. Elche sind deshalb auch auf skandinavischen Felszeichnungen des Mesolithikums häufig dargestellt, ebenso Elchköpfe und - - - "Elchkopfstäbe". In einer Arbeit aus dem Jahr 2015 heißt es über Felsbilder in Alta in Norwegen (1, S. 16, 23):

In Alta finden wir auch häufig Elchkopfstäbe, die schon in Nämforsen aufgetaucht waren. Sie werden von maskierten Menschen getragen. Sie scheinen damit ein Ritual auszuführen, das, wie man aus ihrer Zuordnung zu anderen Motiven entnehmen kann, bei unterschiedlichen Gelegenheiten angewendet wird.

Es wird dann gefragt, ob dies etwas mit dem Schamanismus zu tun haben könnte, wie er sich in vielen Gegenden des nördlichsten Skandinavien noch bis in die Neuzeit gehalten hat. Sieht man sich eine Verbreitungskarte der archäologischen Funde von Elchkopfstäben an (2, Figure 1; auch: 6), wird ohne weiteres erkennbar, daß diese Elchkopfstäbe zur Kultur der Völkergruppe der osteuropäischen Jäger und Sammler ( Wiki) gehört haben müssen.


Wir heutigen Mittel- und Nordeuropäer tragen einen nicht geringen genetischen Anteil der vormaligen osteuropäischen Jäger und Sammler in uns. Nachdem die Völkergruppe der osteuropäischen Jäger und Sammler bis zum Mittelneolithikum von den Völkergruppen der anatolisch-neolithischen und der iranisch-neolithischen Bauern in Randbereiche Europas zurück gedrängt worden war, ist es in der Gegend der Mittleren Wolga dazu gekommen, daß sich Menschen der osteuropäischen Jäger und Sammler mit iranisch-neolithischen Bauern vermischt haben. Dadurch kam es um 4.700 v. Ztr. zur Ethnogenese der Indogermanen, die sich in der Folgezeit überraschend schnell in fast alle Richtungen ausgebreitet haben, ab 2.800 v. Ztr. dann sogar von Ostmitteleuropa aus über ganz Europa hinweg.


Eines der frühesten kulturellen Kennzeichen der Indogermanen waren nun die Tierkopfzepter (3, 4). Darauf haben wir schon in zwei früheren Beiträgen hier auf dem Blog hingewiesen (3-5). Nicht bekannt war uns in dem Zusammenhang allerdings bislang, daß es sehr naheliegend ist, daß diese indogermanischen Tierkopfszepter in einem irgendwie gearteten Zusammenhang stehen werden mit den eingangs genannten Elchkopf-Stäben der osteuropäischen Jäger und Sammler.

Ein Drittel der archäologischen Funde von Elchkopf-Stäben stammen aus Gräbern, die restlichen zwei Drittel stammen aus Siedlungen. In Gräbern sind die Elchkopfstäbe unzerstört niedergelegt worden, in Siedlungen hingegen sind sie in der Regel in zerbrochener Form auf heute überkommen (2, S. 4). Sie wurden mehrheitlich in Männer-Gräbern gefunden, insbesondere alle langen Elchkopfstäbe. Aber Funde aus der Gruppe kürzerer Elchkopfstäbe gibt es auch in Gräbern von älteren Frauen (2, S. 4).

Die Archäologen machen darauf aufmerksam, daß Elchkopfstäbe auf den Felszeichnungen fast immer größer dargestellt sind als die sie jeweils tragenden Menschen und damit auch als die archäologisch gefundenen Elchkopfstäbe (2, S. 5). Daran wird vielleicht erkennbar, daß die symbolische Bedeutung dieser Elchkopfstäbe sehr groß gewesen sein wird, daß sie "beeindruckend" war.

Im weiteren sei übernommen, was wir schon in einem früherenn Blogbeitrag ausführten (4): Es muß ja gar nicht so unwahrscheinlich sein, daß Zepter ( Wiki, engl), also Herrscherstäbe einerseits und Zauberstäbe ( Wiki, engl) andererseits ursprünglich ein und dasselbe gewesen sind. Immerhin waren ja religiöse und politische Funktionen in frühen Völkern oft in ein und derselben Person vereinigt.

Vielleicht liegt darin auch die große Bedeutung, die die indogermanische Schnurkeramische Kultur ( Wiki) ihren Streitäxten zugemessen hat. Deshalb ist sie ja ursprünglich auch oft Streitaxt-Kultur benannt worden. Dieses Volk hat sich knapp 2000 Jahre nach Entstehung des Urvolkes der Indogermanen an der Mittleren Wolga, also ab 2.800 v. Ztr. aus dem Weichselraum heraus in sehr kurzer Zeit über weite Teile Europas verbreitet (und es hat sich dabei auch mit einheimischen Bauertöchtern vermischt, siehe einer der letzten Beiträge hier auf dem Blog). Ihre oft gefundenen "Streitäxte" sollen ja - nach Meinung der Forschung - gar nicht für den Kampf nützlich gewesen sein. Sie hatten also ebenfalls symbolische Bedeutung. Und diese könnte natürlich ebenfalls abgeleitet sein von solchen Tierkopfzeptern. Brachten sie "Heil"? Konnte das, was durch sie berührt wurde, "verwandelt" werden? Zum Beispiel: Zum Besitz dessen werden, der die Berührung ausführte?

Selbst noch die Funktion einer bestimmten Form von bronzenen Vollgriff-Schwertern im Nordseeraum der Bronzezeit, wiederum tausend oder 1.500 Jahre später soll mehr repräsentativer Art gewesen sein. Auch diese seien nicht für den Kampf verwendet worden. Diesen Gedanken jedenfalls ventilierte der dänische Archäologe Kristian Kristiansen in seiner wegleitenden Arbeit aus dem Jahr 2015, auf die wir hier auf dem Blog jüngst hingewiesen hatten.

Um 800 v. Ztr. hat das Szepter, der Herrscherstab jedenfalls noch seine große Bedeutung, wie aus der "Ilias" von Homer hervorgeht, auf die in diesem Zusammenhang auch hingewiesen wird (5). In ihrem zweiten Gesang heißt es an einer Stelle ( Gutenberg):

Da erhub sich der Held Agamemnon,

Haltend den Herrscherstab, den mit Kunst Hephästos gebildet.

Diesen gab Hephästos dem wartenden Zeus Kronion;

Hierauf gab ihn Zeus dem bestellenden Argoserwürger;

Hermes gab ihn, der Herrscher, dem Rossebändiger Pelops;

Wieder gab ihn Pelops dem völkerweidenden Atreus;

Dann ließ Atreus ihn sterbend dem lämmerreichen Thyestes;

Aber ihn ließ Thyestes dem Held Agamemnon zu tragen,

Viel' Eilande damit und Argos reich zu beherrschen.

Der Herrscherstab wurde also - nach Meinung der homerischen Griechen - den Königen von den Göttern verliehen.

  1. Kniep, Klaus: Gedanken in Stein. Felsbilder der Jäger und frühen Bauern in Skandinavien. Pro Business, Berlin 2015 (GB)
  2. Mantere, V. N., & Kashina, E. A. (2020). Elk-Head Staffs in prehistoric north-eastern Europe and Nord-Western Russia - Signs of power and prestige? Oxford Journal of Archaeology. 9.1.2020, doi:10.1111/ojoa.12185
  3. Bading, Ingo: Es ist "amtlich" - Das Urvolk der Indogermanen war die Chwalynsk-Kultur um 4.500 v. Ztr. an der Mittleren Wolga - Der US-amerikanische Archäologe David Anthony hat am 1. August über den neuesten Forschungsstand informiert, 4. August 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/08/es-ist-amtlich-das-urvolk-der.html
  4. Bading, Ingo: "Tierkopfzepter" der Indogermanen - Ursprünglich abgeleitet aus menschlichen Oberschenkelknochen? Und was haben sie mit "Zauberstäben" gemeinsam? 28. Oktober 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/10/tierkopfszepter-der-indogermanen.html
  5. Dergachev, V. A.: On sceptres, on horses, on war: Studies in defence of M. Gimbutas' migration concepts, Institute of Cultural Heritage of the Moldavian Republic 2007, behandelt von Carlos Quiles, 1.7.2018, https://indo-european.eu/2018/07/about-scepters-horses-and-war-on-khvalynsk-migrants-in-the-caucasus-and-the-danube/
  6. E. A. Kashina, A. Zhulnikov: Rods with elk heads: symbol in ritual context. Estonian Journal of Archaeology 15(1):18, January 2011, DOI: 10.3176/arch.2011.1.02 (Researchgate)