Einverstanden mit Ruinen

 

Wie hat man doch die Inszenierung der DDR-Eliten immer belächelt. War da die Nomenklatura versammelt, war es das reinste Geklatsche und Gewinke. Feierlichkeit lag in der Luft, einstudiertes Sendungsbewusstsein wurde abgehalten, Loblieder angestimmt. Nichts konnte die Festlichkeit trüben, alles war im Butter, die politischen Ziele schon jetzt oder bald erreicht, man war auf einem guten Weg, Es entwickelt sich, Genossen! Wie hat man doch diesen allgemeinen Zustand von Zufriedenheit belächelt. Keine schlechten Nachrichten, nur Erfolgsmeldungen. Man fand es komisch, wie da alte Kader mit jungen Wilden um Linientreue wetteiferten, sich mit Vorwärts immer, rückwärts nimmer!-Deklamationen überboten. Die Lächerlichkeit der Inszenierung, der ungelenke Pathos, die schrille Farbenpracht, lächelnde Menschen überall, die überbetonte Weihe des Augenblicks waren historische, ja gar historisch-materialistische Meisterwerke des Kitsches. Rückblickend kann man darüber nur lächeln. Damals mag es erbost haben.
Letzte Woche fand der Bundesparteitag der CDU statt.

Alte und junge Parteimitglieder lächelten um die Wette. Alle waren sich halbwegs einig. Man sei auf einem guten Weg. Es entwickelt sich, Kollegen! Gewinkt wurde auch. Geklatscht ohne Unterlass. Auf dem Parteitag keine schlechten Botschaften. Die Partei ist einig. Fast 98 Prozent für die neue und alte Parteivorsitzende und Kanzlerin. Fast wie bei der Wahl der Volkskammer. Nur noch 1,5 Prozent, dann hat man auch jene absolute Zustimmung mit Promilleabweichung. Es entwickelt sich, Kollegen! Heute lächelt man über 99,86 Prozent Ja-Stimmen von einst - gleichzeitig berichten die Medien im Überschwang von einer allseits beliebten Kanzlerin, die beim Volk gut ankomme und auch noch 98 Prozent Zustimmung unter ihren Kollegen erzielt. Da lächelt keiner hämisch. Das findet keiner komisch. Eher lobenswert. Man nimmt es als Zeichen allgemeiner Zufriedenheit und als Belohnung für den allseits bestätigten Wohlstand an.
Das Fernsehen ist dabei. Es zeigte Einigkeit, nur marginale Übereinstimmungslosigkeit. Grundsätzlich ließ man dieser Nomenklatura die Freiheit, in Objektive zu lächeln und zu verkünden, man sei trotzalledem sachlich und mit großem Respekt untereinander umgegangen. Im Zentrum die Kanzlerin als weihevolle Gestalt, als Gallionsfigur einer Veranstaltung von solch starker Geschlossenheit und Zuversicht, dass selbst die Reporter mitschunkelten zum Takt der Lobeshymnen und der Selbstbeweihräucherungen. Zeitungen lichteten nur lächelnde Unionspolitiker ab, lauter fröhliche Personen, alle gut drauf, alle hoffnungsfroh und auf verheißungsvollem Enthusiasmus kalibriert. Das Fieber ergriff selbst das Feuilleton. Dort strampelte sich mancher wie im Fieberwahn von Satz zu Satz.
Die politische Ostalgie lächelt noch immer und immer wieder spöttisch über den gellenden Narzissmus, über die Selbstüberhebung im anderen Deutschland. Scheindemokratie wolle man nie wieder haben. Der Bundespräsident mahnt beständig, denn er hat diese Diktatur des Selbstlobes mit eigenen Augen gesehen. Leitmedien stützen ihn dabei. Aber Parteitage mit Fast-100-Prozent-Bestätigungen und Bundesversammlungen mit nur einem Kandidaten werden nicht nur hingenommen, man bauscht sie in sicherer Regelmäßigkeit zu gewünschten Resultaten aus. Das sei sogar gewissermaßen Demokratie. Ein Allparteien-Bundespräsident mit einem Alibi-Gegenkandidaten ist Demokratie. Alternativlose Politik, die man dem Bundestag verordnet, ist Demokratie. Alles-im-Butter-Inszenierungen sind Demokratie.
Auferstanden aus Ruinen? Weil Parteitage heute Volkskammer-Resultate erzielen, könnte man das flapsig so ausdrücken. Es wäre aber falsch. Was da geschieht ist ganz sicher nicht Sozialismus. Der hat bei allen seinen Fehlern doch ein ganz anderes Menschen- und Gesellschaftsbild zur Grundlage gehabt. Auferstanden aus Ruinen trifft es nicht. Einverstanden mit Ruinen / Und in Zukunft abgebrannt... Neue Not gilt es zu schaffen / Und wir schaffen sie vereint / Tiefe Wunden sollen klaffen / Daß die Sonn' so gut wie nie / Über Europa scheint... ist es wohl, was hier weggelächelt wird. Mit Harmonie und Sonnenschein die neoliberalen Ruinen retuschieren. Aber die Bilder damaliger Tage belächeln sie noch immer.


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