Einsteiger Buchtipps Türkei für Auswanderer, Geschäftsleute, Rentner

Erstellt am 16. Juni 2011 von Lynxxx

Ich habe zwar schon im obigen Reiter angefangen die Basisliteratur aufzuzählen, aus denen ich die Kenntnisse für dieses Blog hernehme, und dort sind und werden auch einführende Bücher empfohlen, gleichsam für Leser die über keinerlei Kenntnisse verfügen. Doch während obige Buchtipps sämtlich wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, selbst wenn sie in einfachen Worten verfasst und knapp gehalten sind, möchte ich hier eine spezielle Leserschaft ansprechen, denen auch Bücher empfohlen werden können die gegebenenfalls eher subjektiv und weniger empirisch fundiert geschrieben wurden.

Ich wurde vor einiger Zeit mal gefragt, ob ich denn Bücher für eine deutsche Auswanderin in die Türkei empfehlen könne. Sie wisse zwar durch das Internet schon eine Menge über die Türkei und die Türken, jedoch ist bei im Netz gefundenen Informationen nicht immer klar, ob diese Informationen vielleicht nur einen kleinen Teil der türkischen Wirklichkeit darstellen. Bei Büchern ist dieses mitunter auch nicht besser, jedoch durchlaufen Bücher meist einen längeren Prozess des Entstehens, so dass vielleicht ein gewisses Niveau erreicht werden kann, welches bei im Internet schnell hingeklatschten Behauptungen seltener der Fall sein kann.

Kleiner Exkurs: Sind die Deutschtürken repräsentativ für die Türken der Türkei?

Es zeigt sich mitunter (!) doch ein Unterschied bei den nach Deutschland eingewanderten Türken und deren Nachkommen, und den Türken in der Türkei, wobei erstere das hiesige Bild der Türken dominieren, statt die Türken in der Türkei selber, die wesentlich weniger in den Medien den Deutschen präsent sind oder im Internet uns ihre Sicht der Dinge direkt darlegen. Bei den "Diaspora-Türken" in Deutschland zeigt sich denn auch ein zwiespältiges Bild:

1. Einerseits eine große Gruppe, deren Verhaltensweisen denen ihrer Umgebung weitgehend angepasst sind, spießig, kleinbürgerlich, konservativ, alternativ, progressiv, liberal, temperamentvoll oder nordisch kühler, und so weiter. Will sagen: Der Unterschied ihres Verhaltens zu anderen Deutschen oder "Deutsch-Türken" in anderen benachbarten Bundesländern ist unter Umständen größer, als der Unterschied der Türkischstämmigen zu ihren direkten autochthon deutschen Nachbarn.

2. Daneben gibt es eine nicht geringe Anzahl Türkischstämmiger in Deutschland, deren Weltsicht, deren Ethik, deren Moral, deren Verhalten, teilweise noch in der Diaspora konserviert worden ist, und zwar zu dem Zeitpunkt, wie in der Türkei diese Verhaltensweisen ihrer Eltern oder Großeltern geprägt wurden. Also stammen viele Vorstellungen über das moralisch, ethisch, usw. "richtige" Leben und die Verhaltensweisen noch aus den 1950er Jahren oder früher, als eben die jetzigen Eltern/Großeltern in der Türkei sozialisiert und erzogen wurden. Währenddessen haben sich aber viele Aspekte des Lebens in der Türkei weiter entwickelt, auch auf den Dörfern, so dass hiesige Türkischstämmige, auch in zweiter und dritter Generation unter Umständen konservativere, traditionellere, strengere, vermeintlich "muslimischere", etc. Verhaltensweisen, ethische Normen, usw. an den Tag legen, wie ihre Cousins und Cousinen in der Türkei selber.
Letztere Gruppe (2.) ist natürlich in den Massenmedien auch überproportional oft vertreten und prägen maßgeblich das Bild "des" Türken sowohl in der Türkei mit, als auch das der Deutschtürken und zusätzlich das aller südländischen oder muslimischen Migranten und Migrantinnen in Deutschland. Differenzierte Sicht? Oft Fehlanzeige in den Massenmedien.

Insofern kann dieses durch hiesige Türkeistämmige geprägte Bild der Türkei-Türken dann für den Reisenden verwirrend werden, wenn er durch diese Deutsch-Türken Informationen im Internet erhielt, die so in der Türkei vielleicht in den 1950-1970er Jahren noch galten, aber heute nicht mehr sehr stark verbreitet sind oder sich längst abgewandelt haben.

Um oben nur mal zwei Gruppen von Deutschtürken aufzuzählen, die ein Bild von den Türkei-Türken den Deutschen durch direkte Kontakte oder das Internet und die Medien vermitteln. Es gibt natürlich noch viele weitere Gruppierungen, die ebenfalls auch in der Türkei eine faszinierende Vielfalt zwischen Orient und Okzident ergeben.

Ich denke, diese Buchtipps sind auch für andere Leute von Interesse, also auch welche, die geschäftlich für mehr als nur einen Urlaub in die Türkei fahren müssen, oder für die immer zahlreicher werdenden Senioren, die ihren Lebensabend teilweise im doch milderen Winter der Türkei verleben möchten.
Außerdem muss ich bemerken, dass ich diesbezüglich nicht mehr so den aktuellen Überblick habe, das was ich selber las ist leider schon etwas älter. Trotzdem stieß ich meist auf positive Rezensionen bei diesen Werken.

Viele der unten erwähnten Bücher würde ich auch als gebrauchte Bücher mal erwerben, oder noch besser, in einer Bibliothek ausleihen. Ich denke, 2-5 Euro ist jedes mind. wert, selbst wenn es einen Tag älter ist, denn das alltägliche Verhalten der Türken bei bestimmten Anlässen ändert sich ja nicht sooo schnell, trotz rasant fortschreitender Individualisierung und Hinwendung zum Materialismus der türkischen Gesellschaft. Zudem die Entwicklung der türkischen Gesellschaft unterschiedlich schnell läuft, also Geschlechterrollen können in Städten heute schon teilweise lockerer sein, als vor 20 Jahren, andererseits können in bestimmten gebildeten Milieus durchaus auch konservativere islamisch geprägte Rollenverständnisse ausgebreitet sein, was vor 40 Jahren noch undenkbar schien.

Aber hier geht es ja in erster Linie um Einstiegslektüre, und da vor allem um recht kurze Bücher, die man mal an einem Wochenende durchlesen könnte.
Und da ist ein älteres Buch zur ersten Orientierung m.M.n. durchaus ebenfalls zu empfehlen, wenn es denn gut und leicht lesbar ist.

    Lonely Planet Reiseführer gehören ja zu den besten Reiseführern, und in dem Türkei (oder Istanbul)-Reiseführer steht schon ziemlich viel Hintergründiges und Wissenswertes drin, neben praktischen Tipps zu Nachtleben, Sehenswürdigkeiten, Kultur, Restaurants, Ausflugstipps, usw.
    Türkei - Google Bücher

    Typisch für Lonely Planet ist ja die Zielgruppe des Rucksacktouristen, also manchmal leicht "alternativ", auf jeden Fall für mindestens links angehauchte Personen, was sich auch im Text und den behandelten Themen widerspiegelt. (Z.B. wird das Militär fast durchweg negativ dargestellt - andere Autoren sahen oder sehen es differenzierter oder nicht nur schwarz-weiß, beispielsweise mit der Betonung als Volksschule des Landes, usw.)
    An deutschen Verlagen habe ich gute Erinnerungen an die Rucksack-Reiseführer vom
    Müller Verlag
    .
    Kürzer ist dieses wohl nur als ebook erhältliche Leitfaden (und ob es wirklich was taugt, weiß ich nicht so genau, da ich noch keine Zeit hatte es durchzulesen):
    Reiseknigge Türkei
    Aktualisierung: Oh, ich hab's mal runtergeladen, und drin geblättert, und würde etwas zur "Vorsicht" bei den Tipps raten, denn die Autorin empfiehlt, "zur Einstimmung auf die Türkei" den Film "Gegen die Wand". Ist zwar ein Superfilm, aber "zur Einstimmung" auf die Türkei nun gar nicht geeignet. Wäre so, als würde ich zur Einstimmung für den nächsten Deutschland-Urlaub einem Amerikaner "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", oder "Strassenstrich XYZ" von SAT1 empfehlen. Und dann soll er "die" Deutschen anhand dieser Problemfilme einschätzen können und sich auf eine Reise freuen? Nein, da gibt es bessere Filme mit Einblicke in den türkischen Alltag, die Menschen und die Kultur.

Zum Beispiel ist diese Doku viel besser als Einstimmung einer Türkei-Reise, oder gar für Auswander geeignet: Abenteuer Istanbul: Boomtown am Bosporus - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - SPIEGEL TV

Dort erzählen viele Auswanderer, wie sie so in Istanbul leben, was sie blöd und toll finden, usw. Dort wird auch ein Istanbul des 21. Jahrhunderts gezeigt, warum diese Stadt in aller Welt als so "in" gilt, und nicht immer nur das Istanbul der Kaiser und Sultane gezeigt wird, wie in den meisten Dokus - was natürlich auch seine Berechtigung hat. Nur eben das Istanbul von heute, z.B. mit einigen der größten Shopping-Tempeln in Europa, usw., das sieht man doch eher weniger im TV.

Der beste Dokumentarfilm mit dem Schwerpunkt auf die atemberaubende Natur der Türkei ist dieser Zweiteiler:

Wilde Türkei

Ein wenig mehr detailliert geht es in den folgenden Büchern zur Sache:

    Etwas ausführlicher auf die Geschichte der türkischen Republik, aber auch ausführlicher als obiges Buch über die Kultur, die Gesellschaft, usw., ist dieses von einem langjährigen Auslandskorrespondenten verfasste Buch, der als studierter (Islamwissenschaft) Türkei-Kenner gilt:
    Die Türkei: Politik, Geschichte, Kultur - Google Bücher
    Dieses Buch ist schon älter, aber ich finde es sehr gut. Zumal viele Kapitel zeitlos sind, wie das über die Geschichte von 8000 v. Chr. bis jetzt. Kompakte Geschichte, lebendig, und doch meist richtig. Es richtet sich besonders an Auswanderer, inkl. Geschäftsleute, die sich in der Türkei eine Existenz aufbauen möchten oder dorthin expandieren möchten, mit Tipps zum Umgang mit Behörden, Anlaufstellen für Infos, usw. die alle wohl veraltet sind. Aber die ersten zwei Drittel des Buches sind immer noch nützlich, so dass ich wohl 2 Euro dafür ausgeben würde, wie z.B. bei Amazon im Gebraucht-Angebot - oder in einer Bibliothek ausleihen:
    Nachbar Türkei. Wo sich Europa und Asien verbinden: Amazon.de: Akif Ekin, Axel Singler, Armin Anwander: Bücher
    Etwas länger braucht man schon, um dieses Buch zu lesen, welches eher Einblicke in die Welt Istanbuls bietet, und zwar aus einem ganz bestimmten (melancholisch-intellektuell-kemalistischen) Blickwinkel heraus, dafür aber literarisch sehr wertvoll:
    Istanbul: Erinnerungen an eine Stadt: Amazon.de: Orhan Pamuk, Gerhard Meier: Bücher
    Also dieses Buch würde ich vielleicht nicht als erste Lektüre zum Verständnis der Türken lesen, sondern als zweites oder drittes oder ... Buch.
    Dieses Buch eines taz-Autoren, der mit einer Türkin als Frau in Istanbul lebt(e) erhielt auch gute Kritiken:
    Türkei: ein Land jenseits der Klischees - Google Bücher
    Einige Auszüge aus Kritiken zu letzterem Buch:
    Mit Klischeebildern über die Türken und die Türkei als homogenem Staat Atatürks räumt der erfahrene Journalist und Türkei-Kenner Jürgen Gottschlich in seinem flott zu lesenden Buch gründlich auf. (...) Den Leser erwartet hier ein knapp, aber übersichtlich gehaltener, reportageartig verfasster Länderquerschnitt mit praktischen Informationen über Geschichte, Politik, Gesellschaft, Familie und Alltag, in dem insbesondere auch die wechselseitigen Beziehungen der Deutschen zur Türkei und umgekehrt nachgezeichnet werden.
    Wolfgang Taus, Rheinischer Merkur
    Die Bücher dieser Reihe lesen sich wie der lange Brief eines guten Freundes aus einer anderen Kultur. Erfreulich, dass Jürgen Gottschlich ein Porträt des Landes gelungen ist, das es in all seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit zeigt. Sein Buch bietet viele Informationen und Hintergründe zu Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik der Türkei. Die Analysen sind profund. Es ist ihnen anzumerken, dass Gottschlich das Land ausgezeichnet kennt und sich mit ihm intensiv auseinandergesetzt hat. Dem westeuropäischen Leser macht der Autor vieles als unbegreiflich Erscheinende verstehbar, ohne Missstände zu verschweigen oder sie kleinzureden.
    Annemarie Rösch, Badische Zeitung
    Gottschlich schreibt verständlich und interessant, stellt Zusammenhänge und Überblick her, ohne Details zu vernachlässigen. Aktuell und nützlich für jeden, der sich mit der Türkei beschäftigt.
    ekz - Einkaufszentrale der Bibliotheken