Eins, zwei, drei

Erstellt am 11. August 2014 von Michael

ONE, TWO, THREE
USA 1961
Regie: Billy Wilder
Darsteller: James Cagney, Horst Buchholz, Pamela Tiffin, Hanns Lothar, Lilo Pulver, Arlene Francis, Howard St. John, Leon Askin, Ralf Wolter u.a.
Drehbuch: Billy Wilder und I. A. L. Diamond nach einem Bühnenstück von Ferenc Molnár
Studio: Mirish
Deutschsprachige Kino-Auswertung 1961 unter dem Titel Eins, zwei, drei
Dauer: 108 min

DER FILM:
Eine Satire auf den kalten Krieg sollte es werden, das Projekt, das Billy Wilder nach seinem Grosserfolg The Apartement in Angriff nahm – auf den kalten Krieg und dessen Protagonisten. Herausgekommen ist ein Film, der sich mit Chaplins Great Dictator und Lubitschs To Be or not to Be vergleichen lässt. Beides waren Filme, die sich satirisch mit der Zeitgeschichte auseinandersetzten und Protagonisten des damaligen politischen Lebens ins Lächerliche zogen, indem sie deren Gebahren und deren Ideologie überspitzten und damit deren Unzulänglichkeiten aufdeckten. One, Two, Three hält dem Vergleich stand: Der Film ist ein leuchtendes Beispiel für eine gelungene Filmsatire. Und wie die vorgenannten beiden Werke wurde One, Two, Three von der Realität eingeholt. Das hat ihm auf lange Sicht aber weniger geschadet als etwa Chaplins Hitler-Satire; zur Zeit seiner Erstaufführung wurde One, Two, Three nicht verstanden und floppte an der Kinokasse. Mit der Perestrojka und deren Konsequenz, dem Fall der Berliner Mauer, wurde deutlich, wie klar Wilders Blick auf die Verhältnisse war.
Dem Film zugrunde liegt der Einakter Egy, kettő, három (dt.: Eins, zwei, drei) aus dem Jahr 1929 des unarischen Dramatikers Ferenc Molnár. Das Grundgerüst des Films ist darin bereits enthalten (ein französischer Banker ist zeitweilig für die Tochter eines skandinavischen Millonärs verantwortlich, die sich mit einem kommunistischen Taxifahrer einlässt, der vor Einteffen der Millionärseltern in einen Kapitalisten umgemodelt werden muss, um Ärger zu vermeiden). Wilder wohnte 1929 einer Aufführung des Stücks in Berlin bei; 1961 sah er die Zeit für eine Adaption für gekommen.
Wilder und seine Crew konnten den Film nicht wie geplant vollständig in West- und Ostberlin drehen. Während der Drehabeiten wurde mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen, die Grenze am Brandenburger Tor, die im Film eine entscheidende Rolle spielt, war nicht mehr passierbar. Eine Replika des Tors musste in München nachgebaut werden, die Crew wurde dorthin ausgelagert.

DIE HANDLUNG:
Der französische Bankier aus Molnárs Stück wurde zu einem typisch amerikanischen Vertreter des Kapitalismus umgemodelt: zu C.R. MacNamara (Cagney), dem Coca Cola-Vertreter in West-Berlin. MacNamaras Traum ist seine Versetzung nach London, und der rückt in greifbare Nähe, als ihn sein Chef drum bittet, seine Tocher Scarlett für eine Woche bei sich unterzubringen. Ohne zu überlegen sagt “Mac” zu – er wird es noch bitter bereuen. Denn Scarlett ist ein naives Dummchen, das plötzlich verschwindet und dann mit einem martialischen jungen Ossi namens Otto Ludwig Piffl (Buchholz) im Schlepptau wieder auftaucht.
MacNamara sorgt listig dafür, dass Piffl im Osten eingebuchtet wird. Kurz darauf erfährt er, dass Scarletts Eltern am nächsten Tag nach Berlin kommen – und dass Piffl Scarlett geschwängert hat. Also muss er wieder ‘raus aus dem Knast, was mit Hilfe dreier russischer Funktionäre erreicht wird. Nun muss Piffl “nur” noch in einen Kapitalisten umfunktioniert werden. Die dafür verbleibende Zeit: Vier Stunden.

DIE REGIE:
Wie bei einer Bühnenverfilmung zu erwarten, wird in diesem Film sehr viel gesprochen. Trotzdem lässt Billy Wilder auch die Bilder sprechen – zusätzlich. Das ergibt bisweilen eine wahre Informationslawine, die bei der ersten Sichtung unmöglich vollständig aufgenommen werden kann. Der Plot wird in bisweilen rasenden Stakkato-Gesprächen vorangetrieben, zusätzlich gibt die Bildebene Informationen zu inneren Zuständen der Charaktere und der Stadt, in der sich diese wie Flipperkugeln in einem Kasten bewegen, während Plakate als zusätzliche Informationsträger eingesetzt werden. Obwohl einem bisweilen der Kopf schwirrt, bleibt man gebannt und fasziniert, denn was da gesprochen wird, ist von derartig frechem Witz und im besten Fall von abgründigem Sarkasmus, dass einem zusätzlich auch noch die Ohren schlackern: Der Wilder hat Ost und West damals schon absolut klar gesehen – seine Kritik wird durch den weiteren Verlauf der Geschichte bis ins Heute bestätigt. Damals goutierte die Welt das (Zerr-)Spiegelbild nicht, das Wilder da entwarf – die Deutschen lamentierten, das Leiden ennet dem Vorhang sei nichts, worüber man sich mockieren dürfe, und in den USA fand man die Spitzen gegen den US-Imperialismus nicht lustig. Dazu Wilder: “Wenn es etwas gibt, das ich noch mehr hasse als nicht ernst genommen zu werden, dann ist es zu ernst genommen zu werden.” One, Two, Three floppte an den Kinokassen. Er wurde zur Zeit der Perestrojka wiederentdeckt – und dann zu recht als Meisterwerk der Filmkomik gefeiert.
Eine Drehbuchnotiz Wilders lautet: Das Stück (von Molnár) muss molto furioso gespielt werden – auf heisser Flamme, in halsbrecherischem Tempo. Empfohlene Geschwindigkeit: 100 Meilen pro Stunde in den Kurven, 140 auf gerader Strecke.
Genauso inszenierte er den Film. One, Two, Three ist die wohl schnellste Screwball-Comedy aller Zeiten – wenn nicht sogar der schnellste Film überhaupt. Da beginnt nichts gemächlich, man wird in den Film hineingeworfen und von dessen Tempo sogleich mitgerissen – ein Tempo, das sich kontinuierlich steigert bis zur Verwandlungssequenz am Schluss, als der Arbeiter Piffl zum Kapitalisten mutiert (wird). Da dreht Wilder das Tempo derart auf, dass man fast erwartet, die Figuren flögen wie in Tex Averys berühmten Droopy-Cartoon Dumb Hounded plötzlich aus der Filmspur und liefen neben der Perforation her.
Und pausenlos werden verbale Spitzen abgefeuert: Gegen Amerika (Politik, Imperialismus, Konsumhaltung), gegen die Scheinheiligkeit der russischen Funktionäre und den ausbeuterischen Charakter des Kommunismus, gegen die Deutschen und ihre plötzlich inexistente Nazivergangenheit. Nicht weniger als drei totalitäre Systeme stehen im Zentrum des sarkastischen Sperrfeuers: der Nazionalsozialismus, der Kommunismus und der Konsumterror des Kapitalismus.
Es ist unmöglich, alle Bonmots beim ersten Schauen aufzunehmen. Und dann sind da ja noch die ganzen Filmzitate und Anspielungen! Von Public Enemy über Chruschtschews “Schuh-Nummer bis zu Lubitschs Ninotschka und To Be or not to Be - man kommt aus dem Lachen und Staunen buchstäblich nicht mehr heraus. So ist One, Two, Three ein Film mit langer Haltbarkeit: Einerseits lässt er sich mehrmals hintereinander anschauen, wobei sich viele Schichten enthüllen, andererseits wirkt er noch heute taufrisch und frech.
Wilders Inszenierung ist nicht nur schnell, sie ist auch exaltiert und burlesk. Der Slapstick hat ebenso Platz wie das dick aufgetragene Klischee. Leise ist hier gar nichts, subtil immerhin die Pointen, aber nicht das Spiel. Er lässt seine beiden Hauptcharaktere MacNamara und Piffl – der eine scheint das ideologisch umgekehrte Spiegelbild des anderen zu sein – permanent brüllen, gestikuleren, toben. Cagney und Buchholz absolvieren eine Parforcetour, die im Kino seinesgleichen sucht – Cagney souverän, Buchholz etwas weniger.
Das ergibt einen Grand-Guignol, der mit seiner Lärmigkeit und Vordergründigkeit enthüllt, wie die Ideologien sind, die hier aufeinanderprallen: lärmig und vordergründig. Und somit im Grunde lächerlich.

DIE SCHAUSPIELER/-INNEN:
One, Two, Three beweist: James Cagney liess sich bestens als Komödiant einsetzen – seine Parforce-Performance macht den halben Film aus. Horst Buchholz, der als sein Gegenpart genauso aufdrehen muss, fällt daneben deutlich ab – es mangelt ihm an Leichtigkeit. Er ist aber der einzige (kleine) Makel des Films. Alle anderen Akteure und Aktricen sind grossartig – bis in die kleinste Nebenrolle. Lilo Pulver als Teutonen-Marylin etwa, oder Hanns Lothar als serviler Privatsekretär mit Nazi-Vergangenheit. Leon Askin als russischer Funktionär mit Überlauf-Ambitionen. Arlene Francis als sarkastische amerikanische Ehefrau… Sie bringen sich mit vollem Einsatz in diese Wahnsinns-Komödie ein und tragen dazu bei, dass sie zwei Stunden auf der richtigen Spur bleibt.

FAZIT:
One, Two, Three ist einer der irrsten, bissigsten, treffsichersten und haltbarsten Filmkomödien, die ich kenne. Ihr Personal besteht zwar ausschliesslich aus satirisch überzeichneten Klischeefiguren, die aber den Beweis erbringen, dass hinter jeden Klischee eine Wahrheit steckt. Und zwar nicht nur ein Körnchen! Die Klischees von damals wurden vom Lauf der Zeiten als Realität entlarvt.
10/10

DIE DEUTSCHE DVD:
Leute, die einfach gern mal einen guten Film sehen möchten, mögen sich ja mit DVD-Ausgaben begnügen, die keinerlei Extras bieten. Wenn es sich aber um ein hochkarätiges Werk wie Billy Wilders One, Two, Three handelt, das auch noch derart stark in der damaligen Zeitgeschichte eingebettet ist, dann wäre schon ein wenig mehr angebracht als einfach nur nichts! Vor allem, wenn man die Klassiker einem interessierten heutigen Publikum nahebringen will.
Aber das will Warner wohl nicht – Warner will verkaufen. Und so kursiert im deutschsprachigen Raum seit Jahren dieselbe magere Ausgabe dieses grandiosen Films – sie wurde zwar immer mal wieder mit neuen Coverdesigns versehen, allerdings ohne dass auch nur ein Extra beigefügt wurde. Nicht mal eine deutsche Untertitelung hat Warner in all den Jahren fertiggebracht! Zeit für eine würdige Neu-Edition!
Audio: Englische Orginalfassung; Synchronfassungen: deutsch, französisch
Untertitel: Englisch für Hörgeschädigte, Französisch, Niederländisch, Schwedisch, Finnisch, Griechisch
Extras: keine

VORHER-NACHHER:
Billy Wilder und sein Co-Drehbuchautor I.A.L. Diamond waren beide zuvor an The Apartement (dt.: Das Apartement, 1960) beteiligt; nach One, Two, Three arbeiteten sie zusammen an Irma la Douce (1963).
James Cagney dreht zuvor unter der Regie des Schauspielers / Regisseurs Robert Montgomery den Film The Gallant Hours (dt.: Der Admiral, 1960); nach One, Two, Three kehrte er dem Filmbusiness den Rücken. 1966 trat er noch in einem TV-Film als Erzähler auf (The Ballad of Smokey the Bear, Regie: Larry Roemer), 1968 war seine Stimme als Off-Erzähler im Western Arizona Bushwreckers (dt:: Die Wegelagerer; Regie: Lesley Selander)  zu hören – und dann war Schluss. Bis ihn Milos Foreman 1981 nochmals auf die Leinwand zurückholte – für Ragtime.
Horst Buchholz spielte im Vorgängerfilm, der amerikanischen Pagnol-Verfilung Fanny (Regie: Joshua Logan, 1961) den Marius, danach im englischen Drama Nine Hours to Rama (dt.: Neun Stunden zur Ewigkeit; Mark Robson, 1963) den Gandhi-Mörder Naturam Godse.
Lilo Pulver trat zuvor im französischen Historienfilm La Fayette (dt.: Der junge General; Jean Dréville, 1961) als Marie Antoinette auf, danach war sie im franzésischen Thriller Maléfices (dt.: Das Haus der Sünde; Henri Decoin, 1962) zu sehen.