Einmal Menschenwürde, macht acht Euro fuffzich. Pro Stunde – brutto. Ungefähr so lesen sich die wohlwollenden Kommentare zum Thema Mindestlohn. Und die weniger wohlwollenden sehen den Untergang des Abendlandes – zumindest des deutschen Teils und seiner Wirtschaft – endgültig heraufdämmern. Andererseits schon interessant, dass der Standort Deutschland nur noch funktioniert, weil eine relevante Anzahl von Arbeitskräften derzeit für noch deutlich weniger Lohn ranklotzen muss. Liebe Arbeitgeberlobby: Wie verträgt sich das eigentlich mit eurer „Weniger-Staat-Ideologie“, wenn sich eure Arbeitskräfte noch Geld beim Staat abholen müssen, um zu überleben?! Und wie sollen Steuern gesenkt werden, wenn ihr mit euren vom Staat subventionierten Niedriglohn- und Leiharbeitsmodellen die Sozialausgaben hochtreibt?!
Wenn ich das Gegeifer in den einschlägigen Wirtschaftsblättern lese, wie die große Koalition ein Füllhorn sozialer Wohltaten in großzügigster Weise über Deutschland ausschütten wolle, könnte man fast meinen, die Revolution klopfe bereits an die Tür. Tatsächlich kann ich aber weder Großzügigkeit noch soziale Wohltaten entdecken. Und keine Spur von Revolution. Der Mindestlohn ist keine Wohltat, sondern schlicht notwendig, damit Menschen von einem Vollzeitjob bei den heutigen Lebenshaltungskosten noch irgendwie überleben können. Und bis der mal flächendeckend gilt, also irgendwann ab 2017 sofern die GroKo bis dahin nicht geplatzt ist, sind die 8,50 auch schon wieder weniger wert als heute.
Die paar Euro Mütterrente sind sowieso nicht mehr als eine symbolische Anerkennung von Erziehungsarbeit, denn davon kann keine Frau, die der Kinder wegen zuhause geblieben ist, leben. Und die solidarische Lebensleistungsrente von 850 Euro monatlich für Geringverdiener, die ein ganzes langes Arbeitsleben Beiträge gezahlt haben, drückt schon aus, wie gering eine Lebensleistung in diesem Land geschätzt wird.
Wie weit wird man denn in ein paar Jahren mit 850 Euro pro Monat kommen? Das reicht dann vielleicht gerade noch für die Stromrechnung und die Miete! Womit wir bei der nächsten Wohltat sind, der Mietpreisbremse – die eh nur denen nützt, die so viel verdienen, dass sie sich die schönsten Wohnungen aussuchen können. Für diejenigen, die sich jetzt schon keine angemessene Wohnung mehr leisten können, bringt eine Bremse auf hohem Niveau nämlich gar nichts. Nicht eine einzige bezahlbare Wohnung wird damit geschaffen.
Das Betreuungsgeld, an dem offenbar nicht gerüttelt wird, ist ohnehin ein schlechter Witz, der Kinder, die eine Förderungen außerhalb des Elternhauses besondern nötig hätten, von den dafür zuständigen Einrichtungen fern hält. Nicht dass ich unterstelle, dass arme Eltern automatisch schlechte Eltern sein müssen – aber es zeigt sich ja immer wieder, dass Kinder, die im Kindergarten waren, bei der Einschulung im Durchschnitt mehr drauf haben, als Kinder, die bisher zuhause waren. Schon der sozialen Kompetenzen wegen, die sie im Umgang mit Gleichaltrigen erwerben. Wobei beim derzeit betriebenen Kita-Ausbau die Qualität der Einrichtungen leider der miserablen finanziellen Ausstattung entspricht. Ich bin wirklich froh, dass meine Kinder noch von den gut ausgestatteten Kitas in Ostberlin profitiert haben, bevor das Personal auf heutiges Niveau zusammengespart wurde. Inzwischen muss ja schon wieder ein „Qualitätsgesetz“ dafür sorgen, dass die armen Kinder nicht nur kostengünstig verwahrt werden, damit beide Eltern zum Mindestlohn schuften gehen können, sondern noch ein Mindestmaß an artgerechter Haltung erfahren.
Wenn die Kinder ins Schulalter kommen, wird es aber auch nicht besser – denn an Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen wird seit Jahren gespart, dass es quietscht und an der sozialen Ausgrenzung potenzieller Minderleister durch das Schulsystem wird auch nichts ändern. Die Idee, dass alle Kinder eine gleichwertige Schulbildung erhalten sollten, ist der neuen Regierung genauso fremd wie die Idee, dass jeder von seiner Arbeit anständig leben können sollte. Das ist auch sachgerecht, denn weder Bildung, noch Arbeit ist Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltung, die sich freiheitlich-demokratischer Nationalstaat nennt. Bildung und Arbeit müssen sich rechnen – ein gewisses Bildungsniveau ist für einen gewissen Anteil qualifizierter Arbeitskräfte erforderlich, also muss das hergestellt werden, damit der Laden läuft, und die anderen sollen halt sehen, wo sie bleiben. Wer für 4 Euro pro Stunde anderen die Haare schneidet oder Pakete ausliefert, braucht dafür ja kein Abitur, diese Schulmittel können also eingespart werden.
Genauso ist es bei der Krankenversicherung: Der medizinische Fortschritt wird genau von denen bezahlt, die von den teuren Behandlungen ausgeschlossen werden, weil die Krankenkassen den Pflichtversicherten zwar immer mehr Kosten aufbürden, dafür aber immer weniger Leistungen übernehmen. Inzwischen ist es ja so, dass die Leute eh schon so lange leben, dass es für die Rentenkasse ein Problem ist, warum dann also dafür sorgen, dass jeder Mensch so lange leben kann, wie medizinisch möglich wäre? Es reicht ja, wenn ein paar Leute, die es sich leisten können, von den Segnungen moderner Hochleistungsmedizin profitieren – die anderen sollen froh sein, dass sie dem System nicht länger als nötig auf der Tasche liegen müssen.
Dem System auf der Tasche liegen dürfen nur systemrelevante Institutionen, also Großbanken und Großunternehmen. Staaten samt ihrer Insassen sollen lieber kaputt gespart werden, bevor dem Euro was passiert. Auch hier ist weder von der GroKo, noch von sonstigen Regierungen irgendwas zu erwarten, was irgendwie mit sozialen Wohltaten zu tun haben könnte. Das ist etwas, was mir bei den ganzen GroKo-Analysen, die heute überall präsentiert werden, völlig fehlt – der Hinweis darauf, dass auch jede andere Regierung so regiert, wie sie es für den Wirtschaftsstandort Deutschland am Besten hält. Ob das jetzt mit ein paar Prozent mehr Ökostrom oder ein paar Prozent weniger Rente durchgezogen wird, ist angesichts der Tatsache, dass die arbeitende Bevölkerung am Ende sowieso immer für alles bezahlen muss, doch wirklich scheißegal.