Zehn Jahre 9/11. Heute in allen Zeitungen und auf allen Radio- und TV-Kanälen zu sehen und hören. Als ich mich vorhin am Haus der Berliner Festspiele für die Lesung der saudischen Schriftstellerin Raja Alem einfand, hatte ich bin dahin ans Datum noch gar nicht gedacht. Als es mir dann beim Blick aufs Programm doch einfällt, folgt der unweigerliche Gedanke, ob die Veranstalter für die Dame aus dem Fernen Königreich diesen bestimmten Termin mit Absicht gewählt haben? Herrje. Und die Befürchtung, es könne sich gleich bei dem Gespräch nur um dieses Thema drehen ... Doppel-Herrje. Dafür bin ich nun wirklich nicht hier!Aber - ich bin angenehm überrascht - zunächst mal läuft die Veranstaltung angenehm unorientalistisch. Es sind nirgendwo Kamele oder fliegende Teppiche zu sehen, der Moderator (sehr souverän, gut vorbereitet und mit angenehmer Gesprächskultur: Arno Widman von der FR) beginnt die Veranstaltung nicht mit einer 1001-Nacht-Referenz. Raja Alem ist ganz schön beeindruckend - schöne Frau mit starker Aura. Noch beeindruckender: als sie aus dem arabischen Text ihres Romanes (das mit dem diesjährigen "Arab Booker" ausgezeichnete "Das Halsband der Taube") vorlesen soll, schließt sie kurz die Augen, und beginnt dann, eine ganze Passage auswendig aufzusagen. Wenn ihr ein Anschluss verloren geht, genügt ein kurzer Blick ins Buch, dann wieder - Augen wach ins Publikum gerichtet, weiter rezitiert. Auch Moderator Widman zeigt sich beeindruckt - "Sowas habe ich noch nie erlebt, dass ein Prosaautor seinen Roman auswendig vortragen kann." Ja, sie könne tatsächlich auch fast den ganzen Roman auswendig, sagt Alem.In ihrem Roman geht es um ihre Heimatstadt Mekka, um das alte Mekka. Die beiden Hauptfiguren sind aufgewachsen in den 50er und 60er Jahren dort, und sehen sich nun, zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit den Veränderungen in der Stadt, in der Gesellschaft, im Wertesystem konfrontiert. Das alte Mekkah kenne sie, geboren 1970, nur aus den Erzählungen ihres Großvaters und ihrer Eltern, aber sie findet es wichtig, dieser magischen alten Stadt einen Platz in der Geschichte und in der Erinnerung zu geben, sagt sie, und diesen Platz will sie in ihren Büchern schaffen.Es geht außerdem um einen Mordfall, eine psychisch kranke Frau und einen deutschen Arzt - viel mehr kann man aus der kurzen Lesung nicht erahnen. Dann fragt Widman (verdammt, es war doch bisher auch so gut gegangen!) doch nach dem 11. September, versucht aber, die Frage ein bisschen ironisch zu brechen. Alem reagiert ganz gut, federt ab, gibt wieder, was wohl alle Araber, alle Moslems, vor allem Saudis nach 9/11 empfunden haben - "Mein erster Reflex war es, bei Reisen meinen Pass möglichst versteckt zu halten - plötzlich ist dir bewusst, dass das, was du immer als deine Privatangelegenheit betrachtet hast, nämlich deine Religion und deine Nationalität - öffentlich geworden und von anderen als Bedrohung aufgefasst wird."Viel interessanter - zumindest für mich, als Übersetzerin - war, was sie über die englische Übersetzung einer ihrer Romane sagt; der Übersetzer hat scheinbar viel an dem Buch verändert - er hat Passagen verschoben, Dinge umgeschrieben, Zusammenhänge verändert. Alles zwar in Zusammenarbeit mit der Autorin, aber die sagt nun, sie sei ehrlich überrascht gewesen von dem englischen Buch. "Der Übersetzer hat Passagen, die ich völlig ernst meinte, Passagen, in denen es um Magie und Mystik geht, als ironisch, als lustige INterpretation von Aladdin und 1001 Nacht gelesen, er hat den Geist des Buches völlig verändert. Es gibt Dinge, die man mit einer wissenschaftlichen Herangehensweise an die Sprache nicht verstehen und auch nicht übersetzen kann."Ha! Mein Reden! Und vor allem bei Sprachen, die sich vom Kulturraum so sehr von uns unterscheiden wie Arabisch, Chinesisch, Urdu - auch völlig klar! Wer die Länder und die Menschen, deren Literatur er übersetzt, nur aus der Theorie kennt, wird nie ein guter Übersetzer! Am Ende ist die Veranstaltung dann gerade mal eine Stunde lang, schade, ich hätte gern noch ein paar Dinge gefragt, zum Beispiel, ob das Buch nun auch auf Deutsch erscheint (das vorgelesene Exzerpt war grandios übersetzt vom Gottvater der arabischen Literaturübersetzung, Hartmut Fähndrich), und ob Alem auch in Saudi Arabien gelesen wird (bzw. ob ihre Bücher überhaupt erhältlich sind.) Aber, immerhin erfahren wir auch noch, dass Alem zusammen mit ihrer Schwester Shadia in diesem Jahr den Pavilion für Saudi Arabien bei der Biennale in Venedig verantwortet. Und in diesem Zusammenhang hab ich dann diese wunderschöne Fotoserie in der Italienischen Vogue gefunden. Jawoll, brecht sie mit allen Mitteln, die Klischees über uns Frauen aus dem Fernen Königreich!