EINLADUNG NACH MELBOURNE

Der erfolgreiche Krimi-Autor Klaus hat Ilonas Herz gewonnen, doch in letzter Zeit benimmt er sich merkwürdig. Da kommt der smarte Oliver mit einer verlockenden Einladung nach Australien gerade recht …
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“Klaus, sieh’ mal!” Ilona Jochim schwenkte einen Luftpostbrief in der Hand. Er warf einen Blick auf den Absender. “Aus Australien? Von diesem Oliver? Was will er?” fragte er knapp. Er erinnerte sich allzu gut an den blendend aussehenden Oliver Bertram, der im Sommer geschäftlich in der Maschinenfabrik zu tun hatte, in der Ilona als Sekretärin arbeitete. Er hatte ihn ein paarmal gesehen, das hatte ihm genügt.
Sie lächelte Klaus an, zog den Bogen heraus und las: “Liebe Ilona. Ich denke oft an den letzten Sommer in Bremen zurück. Sie haben sich reizend und kompetent um mich gekümmert. Hätten Sie Lust, heute mein Gast in Melbourne zu sein? Selbstverständlich gilt diese Einladung auch für Ihren Freund Klaus Hardege. In aufrichtiger Freundschaft, Ihr Oliver Bertram.”
Sie sah ihn an: “Wie findest du das?” fragte sie aufgeregt.
Klaus machte ein abweisendes Gesicht: “Du weisst, dass ich an meinem neuen Krimi arbeite.” In Wirklichkeit hatte er eine Schreibblockade, die ihm seit nun schon über drei Wochen schwer zu schaffen machte. Trotzdem verbrachte er Stunden an seinem Computer – um hinterher die paar Seiten, die er zustande gebracht hatte, zu löschen.
“Du bist erst 33, und du lebst nur noch, um zu schreiben. Du musst doch auch etwas erleben, um schreiben zu können, und hier ergibt sich eine Gelegenheit. Bitte, komm mit!”
“Oliver würde enttäuscht sein”, brummte Klaus.
Sie sah ihn verständnislos an.
“Loni”, erklärte er ihr, “er hat schon im Sommer nur daran gedacht, wie er dich in sein Bett bekommt.”
“Wie kannst du so etwas sagen?” funkelte sie ihn empört an. “Oliver ist ein Gentleman!”
Jedes Wort tat ihm weh, und wieder einmal wurde ihm schmerzlich bewusst, wie sehr er Ilona liebte und wie schön sie war. Er hatte nie begriffen, was sie an ihm fand. Er war zwar kräftig, aber nur mittelgross, weit davon entfernt, so gut auszusehen wie dieser verdammte Oliver, und zu allem Überfluss bekam er schon Geheimratsecken. Sie hatten sich vor sechs Monaten kennengelernt. Er musste zu seinem Verleger nach Hamburg und hatte angehalten, weil er ein Auto im Strassengraben sah. Ilona hatte unversehrt, aber geschockt, danebengestanden. Ein Raser hatte sie bei einem riskanten Überholmanöver von der Strasse abgedrängt.
Er hatte ihr geholfen und sich dabei in sie verliebt. Verliebt wie noch nie in seinem Leben. Und irgendein Wunder hatte gewirkt, dass sie seine Gefühle erwiderte. Er traute immer noch nicht seinem Glück, selbst wenn sie es war, die vor zwei Monaten vorgeschlagen hatte, dass sie doch zusammenziehen sollten.
Jetzt war Ilona zornig: “Klaus Hardege. Wir sind nie auch nur einmal miteinander verreist, seit wir uns kennen. Nicht einmal für ein Wochenende! Ich habe nicht die Absicht, mich für den Rest meines Lebens hier in Bremen zu vergraben. Ich werde fahren. Auch ohne dich!”
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Oliver Bertram lächelte sie mit blitzenden Zähnen in seinem braungebrannten Gesicht an: “Willkommen in Melbourne, schöne Ilona. Sie sehen bezaubernd aus. Wie schade, dass Ihr Freund nicht mitkommen konnte!”
Sie wünschte, Klaus hätte das gehört.
Olivers Geländewagen stand auf dem Parkplatz. Mit gekonntem Schwung warf er ihren Koffer hinein und lächelte ihr zu, als er sich neben sie ans Steuer setzte. “Los geht’s!”
Ihre Müdigkeit war schlagartig verflogen, als sie durch die Innenstadt von Melbourne fuhren. Sie bestaunte die alten Tramways und die gepflegten Grünanlagen. Der absolute Höhepunkt war jedoch Olivers Haus: eine zauberhafte viktorianische Villa mit Blick auf die Bucht.
Oliver riss sie aus ihrer versunkenen Betrachtung: “Möchten Sie Ihr Reich sehen?” fragte er liebenswürdig.
Ihr “Reich” entpuppte sich als ein hübsch eingerichtetes Gastzimmer mit eigenem Bad. Sie konnte es sogar abschliessen. Das war doch ein Beweiss, dass Oliver ein Gentleman war?
Ihr Koffer stand schon da, und Oliver entschuldigte sich: “Ich muss nochmal kurz in die Firma, aber Sie möchten sich sicher frisch machen und etwas ausruhen. In einer Stunde bin ich zurück, dann gehen wir essen.”
Der Abend in einem französischen Restaurant wurde zu einem vollen Erfolg. Der Wein stimmte Ilona fröhlich, was ihr gut tat nach der angespannten Atmosphäre zu Hause. Aber Oliver nutzte ihren Schwips in keiner Weise aus, nicht einmal, als sie in seinem Haus zurück waren. Er wünschte ihr eine gute Nacht und machte eigenhändig die Tür ihres Zimmers hinter ihr zu.
Am nächsten Tag besichtigten sie Polly Woodside, das Kunstzentrum des Staates Victoria. An diesem Abend führte Oliver sie in ein chinesisches Restaurant aus, und diesmal hauchte er ihr vor ihrem Zimmer einen zärtlichen Gutenachkuss auf die Stirn.
Am nächsten Morgen war sie etwas befangen. Hatte Oliver womöglich ernste Absichten? Es war Sonntag. Sie frühstückten auf der Terrasse und fuhren anschliessend mit dem Geländewagen aus Melbourne hinaus. In einem lichtgrünen Eukalyptuswald gingen sie spazieren. Sein Arm, der manchmal den ihren streifte, liess sie nicht gleichgültig. Zumal sie, wenn sie an Klaus dachte, nur das verschlossene, fast grimmige Gesicht vor sich sah, das er in letzter Zeit machte. Liebte er sie denn überhaupt noch? Im Augenblick gefiel ihr ein Leben an Olivers Seite hier in Australien gefährlich gut.
Endlich waren sie in der Villa zurück. Inzwischen klopfte Ilonas Herz zum Zerspringen. Oliver sah ihr mit leisem Lächeln in die Augen und zog sie dann langsam in die Arme, um einen langen, leidenschaftlichen Kuss mit ihr auszutauschen. Schliesslich raunte er: “Darf ich nachher zu dir kommen, bezaubernde Ilona?”
Sie war so benommen, dass sie nur stumm nicken konnte.
Während sie auf ihn wartete, zog sie die Nachtischschublade auf. Ein in rotes Leder gebundenes Adressbüchlein lag darin. Auf dem Deckblatt stand ein Frauenname: Phyllis Brown, gefolgt von einer Telefonnummer. Wie unter Zwang nahm Ilona den Telefonhörer ab und tippte die angegebene Nummer ein.
Eine Stimme fragte leise schluchzend: “Bist du es, Oliver?”
Ilona entschuldigte sich und legte auf. Es war wie eine kalte Dusche gewesen …
Oliver Bertram war dagegen zufrieden mit sich selbst. Er war offenbar am Ziel: Ilona gehörte ihm. Er wollte gerade anklopfen, als die Tür aufgerissen wurde. Ilona starrte ihn an.
“Wer ist Phyllis Brown?” fragte sie. “Ist sie deine Freundin?”
“Wie kommst du auf Phyllis Brown?”
Sie zeigte ihm das rote Adressbüchlein. “Ich habe es im Nachttisch gefunden. Ist sie es, ja oder nein?”
“Sie ist es, aber mit Unterbrechungen.”
“Die Unterbrechungen, das bedeutet, wenn Sie mit einer anderen Frau schlafen wollen?”
“Was ist dabei?” verteidigte er sich gereizt. “Phylis und ich sind nicht verheiratet. Ich bin frei. Sie ist es auch.”
Oliver wollte sie in die Arme ziehen, aber sie wich zurück. Sie hörte wieder das unterdrückte Schluchzen am Telefon. Der Gedanke, dass eine Frau ihretwegen unglücklich war, war ihr unerträglich. Und sie hatte geglaubt, dass Oliver sie liebte, dass er ernste Absichten hatte!
Sie lief ins Zimmer zurück und begann, ihren Koffer zu packen.
“Was machen Sie denn da?” fragte er irritiert und wurde dann laut: “Jetzt hören Sie mir mal zu. Sie besuchen mich ohne Ihren Freund und wundern sich, dass ich mir gewisse Hoffnungen mache?”
“Sie haben recht, verzeihen Sie mir.”
Er besann sich: “Schon gut, lassen Sie doch das Packen. Wo wollen Sie denn hin mitten in der Nacht? Warten Sie bis morgen früh. Ich werde Sie nicht mehr belästigen. Falls wir uns nicht mehr sehen sollten, denn ich muss zeitig in die Firma, werfen Sie bitte die Schlüssel unten in der Briefkasten. Gute Nacht, Ilona!”
Sie schloss das Zimmer ab, legte sich in’s Bett und zog die Decke über sich. Sehnsucht nach Klaus überflutete sie. Sie dachte daran, wie Klaus ihr damals nach dem Unfall geholfen hatte, wie umsichtig er vorgegangen war. Sie hatte sich immer auf ihn verlassen können, und wenn er sie in die Arme nahm, war er der zärtlichste und rücksichtsvollste Mann, den sie sich vorstellen konnte. Es wäre jetzt vielleicht an ihr gewesen, ihn zu fragen, warum er so anders war, ob er irgendwelche Sorgen hatte … Aber diese Einsicht kam zu pät. Sie konnte ihn nicht einmal um Verzeihung bitten. So etwas konnte kein Mann verzeihen …
Sie wusste nicht, wann sie endlich eingeschlafen war. Als sie aufwachte, war alles ruhig. Oliver war fort. Sie bestellte ein Taxi zum Flughafen, hoffte, noch heute einen Platz in einem Flugzeug zu bekommen und ging mit ihrem Koffer nach unten, um zu warten.
Zu ihrer Überraschung war das Taxi schon da. Die Tür ging auf - und Ilona riss die Augen auf. “Klaus”, stammelte sie. “Was ist … du bist nun doch gekommen?”
Er hingegen sah auf ihren Koffer und fragte besorgt: “Geht es dir gut, Loni? Was ist passiert?”
Ihre Knie zitterten so, dass sie sich auf den Koffer setzen musste: “Ich hätte auf dich hören sollen”, sagte sie leise, und dann erzählte sie ihm alles. Klaus hörte ihr aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen.
“So eine dumme Gans wie mich gibt’s kein zweites Mal”, schloss sie traurig.
“Und vor dir steht der grösste Hornochse der Welt”, lächelte er schwach. “Ich begreife nicht, wie ich dich so einfach gehen lassen konnte. Ich sass da in Bremen und verstand mich selbst nicht mehr.” Er zog sie sanft an sich und flüsterte in ihr Haar: “Du bist das Wunderbarste, das mir je im Leben begegnet ist, und ich hab’ dich diesem Oliver förmlich in die Arme getrieben! Und weisst du warum? Weil ich seit drei Wochen eine totale Schreibblockade hatte, die mich fast wahnsinnig machte. Ich hätte dir das viel früher erzählen sollen, statt nur meinen Frust rauszulassen. Es gibt noch so viel zu lernen für mich, Ilona. Ich habe den nächsten Flug gebucht und bin fast verrückt geworden vor Angst, dass dieser Kerl dir weh tun könnte. Kannst du mir verzeihen, Loni? Ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt!”
Sie schmiegte sich in seine Arme, die sich sanft und beschützend um sie schlossen. “Ich liebe dich doch auch, Klaus, und ich bitte dich ebenfalls um Verzeihung!”
Ihr Kuss schmeckte salzig, und sie lächelte unter Tränen: “Du, ich wollte zum Flughafen, um zu versuchen, noch für heute einen Platz in einem Flugzeug zu bekommen. Jetzt brauchen wir sogar zwei Plätze!”
“Nach all den Strapazen, die ich auf mich genommen habe, soll ich gleich wieder zurückfliegen?” protestierte er und verkündete feierlich: “Unsere Ferien fangen jetzt erst an, Liebling. Wir mieten ein Wohnmobil und gehen auf Entdeckungsreise.”
“Ist das dein Ernst?” fragte sie erfreut.
“Mein voller Ernst. Ich habe nämlich vor, einen Liebesroman zu schreiben, der in Australien spielt. Live sozusagen. Ich möchte ihn dir widmen und unter meinem eigenen Namen veröffentlichen. Nicht mehr unter irgend einem wohlklingenden Pseudonym. Diese Idee ist mir während des Flugs gekommen. Und das habe ich schliesslich dir zu verdanken. Du hast mich aufgerüttelt. Eine Bedingung knüpfe ich allerdings daran.”
“Und die wäre?” Sie sah ihn gespannt an.
Er lächelte verschmitzt: “Dass es ein Happy-End gibt.” Ernst fuhr er fort: “Loni, willst du meine Frau werden?”
Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so glücklich gefühlt: “Ja”, antwortete sie überwältigt. “Von ganzem Herzen, ja.”
Als sie sich umdrehten - Klaus trug ihren Koffer und schnaufte ein wenig - rissen zwei Taxifahrer die Türen auf.
“Ach ja, ich hatte telefonisch ein Taxi bestellt”, erinnerte sich Ilona.
“Und ich habe meins warten lassen, um dich nach einem heldenhaften Zweikampf entführen zu können”, grinste Klaus.
Er entlohnte sein Taxi, gab ein grosszügiges Trinkgeld darauf und schickte es fort.
“Eins genügt”, sagte er, griff nach Ilonas Hand und fuhr mit grimmigem Gesichtsausdruck fort: ”Nie wieder Trennung, ist das klar?”
Ilona lachte zärtlich und gab ihm einen Kuss …
ENDE

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