Einigkeit und Sieg und Geilheit!

Jetzt müssen doch alle zusammenhalten. Alle zusammenstehen. Alle zusammenrücken. Wir sind doch eins. Stehen geschlossen, stehen gemeinschaftlich hinter den Gittern, die uns vom Fußballplatz sondern. Auf Plätzen, in Kneipen, in Gärten. Alle fixiert auf Eintracht, Gleichklang, Harmonie. Neunzig Minuten Einhelligkeit - und dann vielleicht nochmal neunzig Minuten - und abermals neunzig Minuten süßes Miteinander. Und letztlich vielleicht weitere Tage siegestrunkener Frieden, selige Brüderlichkeit, euphorische Schwesterlichkeit.
Der Arbeitslose und sein Fallmanager fordern vereint Eckball.
Der sich von den Alten ausgebeutet wähnende Junge und der von den Jungen als zu teuer bezeichnete Alte brüllen simultan Das war Einwurf, blinder Sack!
Der Neonazi und der abgeklärte Demokrat kooperieren im Jubel.

Wir stehen zusammen, kennen keine Parteien mehr, nur noch das Kollektiv. Einigkeit und Sieg und Geilheit für das einig Fußball-Schland! Eine geile Zeit! Das Volk, sonst zerrissen, zerstritten, partikularinteressiert, plötzlich ein pauschalisierter Klumpen. Am einen Ende des Seils ziehend, auf derselben Seite zerrend. Zugleich! Zugleich! Individualinteressen, Selbstzwecke, Eigennützlichkeiten addiert zu dem einen einzigen Interesse. Neunzig Minuten und darüber hinaus - bis dass das Schlusspfiff uns scheidet, keine Unterschiede mehr. Der große Gleichmacher! Oh utopischer Fußball, du egalitärer Rasensozialismus! In dem alle gleich sind, unterschiedslos, analog.
Vergessen die Diskrepanzen zwischen Mitgliedern der FDP und den Mitgliedern von Die Linke.
Aufgehoben das Gefälle zwischen Ackermännigkeit und Armut.
Abgepfiffen die Divergenz zwischen Springer-Konsument und documenta-Besucher.
Alle zusammen hoffend. Hoffen auf das erlösende Tor. Hoffen auf den Schlusspfiff. Hoffen darauf, dass nach dem letzten Schlusspfiff des Turniers ein Pokal dem Nachthimmel entgegengereckt wird. Dann hoffentlich Tage voller Euphorie; Suff für alle. Dann gibt es keine Parteien mehr, nur noch Rausch. Bis dahin: gemeinsam fluchen, schimpfen, mit Fäusten drohen; bis es soweit ist: miteinander jubeln, singen, tanzen; bis zur Aprés-Fußball-Ekstase, -Delirium, -Bierseligkeit: gemeinsames Fiebern, gemeinsame Tränen, gemeinsames Verständnis für die Affekte des Mitfans.
Der Leiharbeiter fällt seinem Leiharbeitgeber um den Hals, nachdem der Ball die Torlinie passierte.
Ausgebeuteter wie Ausbeuter beweinen harmonisch ein Gegentor.
Sparwütiger Kunde und der dieser Sparwut wegen im Minijob zurückgestufte Verkäufer singen einträchtig Olé, olé!
Und dann pfeift der Schiedsrichter ein letztes Mal. Und dann ist der Rathausbalkon leer, der Rathausplatz verwaist, nur Fähnchen liegen noch herum. Party vorbei. Keine Spiele mehr, keinerlei Berichte über Mittagstisch und Schlafbefinden der Elf. Niemand berichtet mehr im feierlichen Ton und mit würdiger Miene von den Fürzen, die bestimmten Spielern quersitzen. Fürze, die die nationale Harmonie begründeten; Spielerstuhlgänge, die Einigkeit und Sieg und Geilheit! ausmachten - alles passé, alles vorbei. Die hübsche Symmetrie aufgelöst ins Nichts. Kein Arm in Arm mehr, kein Geschunkel. Der Wohlklang erledigt. Es war ne geile Zeit!
Dann drangsaliert der Personaldienstleister wieder seinen verliehenen Arbeitnehmer, der Kunde wieder den minijobbenden Regaleinräumer.
Dann verachtet Die Linke wieder die Freien Marktliberalen und das Ackermännische das Hartzische.
Dann beklagt sich abermals die Jugend über das kostenintensive Alter und der aufrechte Antifaschist mosert über den Neonazi, während er Deutschland schafft sich ab! als das Buch des letzten Jahrzehnts rühmt.
Dann ist wieder alles, wie es immer war - der Ausnahmezustand bestätigt nur den Regelzustand.

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