Sich hinsetzen, die Augen zumachen und einfach losfliegen. Sich hinauf in klare Lüfte erheben und über liebliche Landschaften schweben. Weit unten glitzern kleine Seen, bedecken gelbe Blumen ganze Berghänge, öffnen sich steile Felsschluchten. Es braucht keine herausragende Fantasie, um sich all das zu imaginieren, wenn Jordi Savall eine der ältesten musikalischen Traditionen wiederaufleben lässt – jene von Armenien.
Am 15. Mai gastierte er mit drei Mitgliedern seines Hésperion XXI-Ensembles und vier Musikern aus Armenien im Konzerthaus. Dabei spielten sie Traditionelles, anonym Überliefertes, aber auch Kompositionen aus dem 19. Jahrhundert. Wie immer wartete der Ausnahmemusiker und Forscher der Interpretation alter Musik mit einer ungewöhnlichen, instrumentalen Besetzung auf.
Georgi Minassyan und Haig Sarikouyoumdjian, zwei junge Armenier, spielten dabei auf ihrem Nationalinstrument – dem Duduk. Einem Doppelrohrblattinstrument, dessen zarte, samtige Klänge sofort verzaubern. An ihrer Seite agierte Gaguik Mouradian, Großmeister an der Kamantsche, einer Stachelgeige, die ihren Ursprung im Persischen hat. Aram Movsisyan, der am Konservatorium in Yerewan armenischen Volksgesang studierte, beeindruckte das Publikum mit seinem hellen, klaren zugleich aber auch warmen Tenor in vielen Stücken. Dabei war es wunderbar zuzusehen, dass er das Ensemble in allen Einleitungen völlig ungestört spielen ließ und erst jeweils kurz vor seinem eigenen Einsatz aufstand, mit wenigen Schritten vor die Musizierenden trat und zu singen begann.
Wie in allen Volksgesängen bildet auch in Armenien die Liebe das Hauptthema, aber das etwas über drei Millionen-Volk hat bis heute auch mit einem Genozid zu kämpfen, der erst vor wenigen Monaten wieder zu Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und der Türkei führte. Die armenische, musikalische Seele, die Savall mit seiner Auswahl zeigte, ist aufs Innigste mit Trauer und Schwermut verbunden. „Ode an die Freiheit und Fürbitte für die Amenier“, „Fächelt meinen brennenden Schmerz“, „Lied aus dem Exil“ sind einige Titel, die schon fühlen lassen, dass Moll dem armenischen Volk im Blut liegt.
Wenn Minassyan und Sarikouyoumdjian ihre Duduks im Duett erklingen lassen, so bläst einer von ihnen stets einen Generalbass, während der andere sein Instrument zum Singen bringt. Mouradians Meisterschaft auf seiner Kamantsche ist Savalls Umgang mit seinen verschiedenen Instrumenten an diesem Abend ebenbürtig. Musikalisch lassen sich mittelalterliche, rhythmische Muster aus der abendländischen Tradition ebenso erkennen wie der arabische Einfluss, der sich bei Aram Movsisyan gerne in zarten Stimmarabesken offenbart.
Mit „Hayastan yerkir“ (Armenien, paradiesisches Land) von Gabriel Yranian (1827 – 1862) ist dieser armenische Komponist ganz in der romantischen Kompositionstechnik des 19. Jahrhundert verhaftet. Sein Hymnus auf Armenien ist eine bezaubernde Elegie, die zu Tränen rührt und süchtig macht.
Die Erde dreht sich unter den Füßen. Die Zeit scheint kein Gewicht mehr zu haben. Der Wind bewegt sich. Die Erde dreht sich unter den Füßen, am Himmel ziehen Wolken. Gestern und Morgen vereinigen sich im Hier und Jetzt. Die Erde dreht sich unter den Füßen, die Füße tanzen schneller und schneller. Wer diese Zeitreisen im Kopf miterleben möchte hat dazu am 31.5. Gelegenheit. Dann wird das live aufgezeichnete Konzert ab 19.30 Uhr auf Ö1 ausgestrahlt.