Ich habe einige E-Mails zu meinem letzten Artikel bekommen. Unter anderem werde ich gefragt, wie typisch diese Erfahrung für das Land sei.
Einerseits gibt es viele ähnliche Erfahrungen. Die Hauptstraße in unserer Gegend wurde in den 1980er Jahren als englisches Entwicklungshilfeprojekt gebaut. In der ganzen Gegend fiel daraufhin der Dieselpreis um die Hälfte, weil nämlich massenweise Diesel von den Straßenbaumaschinen gestohlen wurde. Der alte Missionar, der mir das erzählte, hatte keine Gewissensbisse, auch selbst gestohlenes Diesel zum Billigpreis zu kaufen. Nicht nur Diesel verschwand, auch die Maschinen selbst. Die Engländer haben sie immer wieder ersetzt.
Andererseits: In Peramiho ist Herr Zenda dafür zuständig, das Bargeld von der Bank zu holen. Einmal musste er 70 Millionen auf einmal holen, immerhin 35.000 Euro. Da der größte Geldschein hier 10.000 Schilling ist, waren es tatsächlich 7.000 Geldscheine. Eine Zählmaschine haben wir in Peramiho nicht, Herr Zenda könnte also ohne weiteres von Zeit zu Zeit mal ein paar Scheine entnehmen. Er hätte auch mit dem Geld einfach verschwinden können, immerhin war es mehr Geld, als er in seinem ganzen, 25-jährigen Berufsleben bisher verdient hat. Und das Justizwesen ist so unzuverlässig, dass er wahrscheinlich nie gefunden worden wäre. Aber Herr Zenda ist nicht verschwunden, und die Kasse in Peramiho hat immer gestimmt.
Neulich fragte ich zwei junge Tansanier, beide Lehrer, ob man in einem Land, das so von Korruption geprägt ist wie Tansania, sauber durchs Leben gehen könne und dabei noch das Schulgeld für die Kinder aufbringen könne. Sie schauten einander mit einem Blick an, der auch ohne Worte sagte: „Natürlich, was für eine dumme Frage.“
Mein privater Eindruck ist: Wer durch eigene Leistung etwas erreicht hat, der ist hier in Tansania genauso ehrlich wie ein Deutscher in ähnlicher Position. Wer aber als einfacher Arbeiter sieht, dass sein Boss unendlich viel Geld hat, dass gestohlene Maschinen und Werkzeuge mit Hilfe von ausländischem Geld einfach ersetzt werden, der sagt oft mit Bert Brecht, „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Hinzu kommt, dass man sich oft nicht mit dem Betrieb identifiziert, für den man arbeitet. In den „Volkseigenen Betrieben“ der DDR soll es ähnliche Phänomene gegeben haben – deutsche Nationalität schützt also auch nicht gegen Diebstahl.