Einer trage des anderen Last

Antagonistische Widersprüche begegnen sich im Jahre 1950 in einem privaten Sanatorium für Lungenkranke in der noch jungen Deutschen Demokratischen Republik.
Der junge Joseph Heiliger ist Volkspolizist, glühender Anhänger des Marxismus und Mitglied der SED. Während seines Dienstes an den Grenzen der DDR erlebte er den Tod eines Kameraden, anschaulicher Beweis für ihn, dass der junge Staat der Arbeiter und Bauern, dessen Aufbau und Verteidigung er sich verschrieben hat, Feinde besitzt. Über seinem Bett hängt ein Bild Stalins und in den Stunden vor dem Einschlafen studiert er das Kommunistische Manifest und die Werke Lenins.
Der etwas gleichaltrige Hubertus Koschenz ist evangelischer Vikar und überzeugter Anhänger des christlich-evangelischen Glaubens. Sein Vater ist 1946 nach einem Besuch auf der Kommandantur der Sowjetischen Militäradministration spurlos verschwunden, seine Mutter lebt von 90 Mark Rente, anschauliche Beweise für ihn, dass auch im jungen Staat der Arbeiter und Bauern die Freiheit des Glaubens noch mehr Ideal als Wirklichkeit ist. Über seinem Bett hängt ein Bild Jesus Christus’ und in den Stunden vor dem Einschlafen studiert er die Bibel.
Beide Menschen sind vor eine ungewöhnliche Situation gestellt: Sie leiden an lebensbedrohlicher Lungentuberkulose und sind Zimmernachbarn in einem Sanatoriums, in dem die Zeit still gestanden zu sein scheint. Ihre weltanschaulichen Differenzen bestimmen schon bald ihr Zusammenleben und den Alltag im Sanatorium. Während Joseph Heiliger die Genossen des Sanatoriums zu Parteiversammlungen ruft, führt Hubertus Koschenz Bibelstunden durch und die idyllische Ruhe des Sanatoriums wird beim morgendlichen Rasieren durchbrochen vom antagonistischen Duett der Internationale und des Liedes „Eine feste Burg ist unser Gott.“ Ausgerechnet der Chefarzt des Sanatoriums und das ehemalige Mitglied der NSDAP, das für seine Arbeit im Sanatorium jeder Partei – „auch Ihrer, Herr Heiliger“ - beitreten würde, bringt das anliegen des Filmes auf den Punkt: „Draußen im Leben können Sie auch keinen Bogen umeinander machen. Sie müssen miteinander auskommen. Und wenn Sie das nicht können, dann taugt Ihr Sozialismus genauso wenig wir Ihr Christentum. Wir leben nämlich auf einer Erde. Und wenn zwei junge, intelligente Männer mit verschiedenen Weltanschauungen nicht einmal um den Preis ihrer Gesundheit, um den Preis ihres Lebens für ein paar Monate wie zivilisierte Menschen miteinander umgehen können, dann sieht’s verdammt beschissen aus um die Menschheit!“
Aber das Miteinander zweier Weltanschauungen lässt sich nicht mit moralischen Appellen herstellen, es muss sich im Alltag an konkreten Fragen unter Beweis stellen. Eine religiöse Haltung, die der Befriedigung materieller Bedürfnisse entsagt, untergräbt in den Augen Joseph Heiligers den sozialistischen Aufbau und leistet allen Drückebergern und Schiebern Vorschub in einer Situation, die mehr als alles andere den materiellen Wiederaufbau eines Landes erfordert. Und das christliche Gedenken aller derer, die in Gefangenschaft leben, würde gehört und verstanden werden von denen, die zu unrecht, aber auch von denen, die zurecht inhaftiert sind. Dem gegenüber steht die alltägliche Erfahrung Hubertus Koschenz', dass die Freiheit des Glaubens für den einzelnen Menschen auch mit strikter Trennung von Kirche und Staat nicht immer geachtet und von einer materialistischen Weltanschauung bisweilen Feindschaft und Intoleranz gegenüber Religionen ausgeübt wird.
Dennoch lehrt das alltägliche Leben die beiden jungen Menschen, dass über ihre ideellen Widersprüche hinweg Gemeinsamkeiten zwischen ihnen bestehen, und aus weltanschaulichen Feinden werden Freunde, die einander achten und beistehen. Der ruhigere und vernünftigere evangelische Vikar Hubertus Koschenz bringt zum Ausdruck, was Christentum und Marxismus vom christlichen Standpunkt miteinander vereinen kann: „Eine Kirche, die ihren göttlichen Auftrag ernst nimmt, wird Leute, die soziale Gerechtigkeit herzustellen versuchen, nicht verdammen, sondern als Gottes Werkzeug ansehen, seien sie nun gottlos oder fromm.“
Die Konfrontation mit dem Tod bringt beiden Menschen endlich die Gegensätze aber auch die unterschiedlichen Stärken und Schwächen ihres Denkens einander auf schmerzhaft aber hoffnungsvolle Weise nahe. „Konzentrationslager, Vergasung von Juden, die Folterungen, die Verstümmelungen, die Verbrennungen, die nicht zu zählenden Ungerechtigkeiten dieser Welt – Wenn es ihn wirklich geben würde, deinen Gott, Millionen Hände würden sich finden, ihn in Stücke zu reißen. Es gibt keinen Gott! Das ist die einzig logische Variante, mit all der Sinnlosigkeit fertig zu werden.“, klagt Joseph Heiliger seinem Freund. Aber als er der christlichen Opferbereitschaft seines Freundes im Angesicht des Todes gewahr wird, entgegnet Hubertus Koschenz ihm, dass Sterben für einen Christen anders sei als für einen Materialisten. „Sterben ohne Hoffnung, ohne Glauben? Die letzte Stunde muss für einen von euch die Hölle sein.“
In seinem charmanten und durchdachten filmischen Plädoyer für die Toleranz, das 1988 in der DDR erschienen ist, löst der Regisseur Lothar Warneke den Grundwiderspruch zwischen Marxismus und Christentum auf dialektische Weise mit der Freundschaft zweier junger Menschen, die nach dem Grundsatz leben: „Darum lasset uns dem nachstreben, was zum Frieden dient“ – jeder auf seine Weise und einer trage des anderen Last.

von Roman Stelzig

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