Einen Kredit gibt es nicht. Zur Kredittheorie des Geldes (Credit Theory of Money) von Alfred Mitchell Innes

Von Cangrande

Dass es eine Natur nicht gibt, nicht eine Inflation und nicht eine Deflation, wissen meine treuen Leserinnen und Leser bereits.
Wer mir das geglaubt hat, der nimmt mir auch ab, dass es einen Kredit nicht gibt.
Zumal ich keineswegs behaupte, dass es keinen Kredit gibt.

Klingt zunächst wirr, ist aber (genau wie die Titel der oben verlinkten anderen Blotts auch) lediglich eine Scheinparadoxie. Die sich schnell auflöst, wenn die Schreibweise zeigt, wie der Titel nach meiner Vorstellung auszusprechen ist:
EINEN Kredit gibt es nicht.
Der erste Satz der Überschrift soll in provozierender Form darauf hinweisen, dass ich im Interesse eines tieferen wirtschaftswissenschaftlichen Verständnisses unserer eigentumsbasierten, geldvermittelten Marktwirtschaft eine Unterscheidung in ZWEI fundamentale Herkunftsunterscheidungen von Kredit für unverzichtbar halte:
  • Primärkredit und
  • Sekundärkredit.
Diese Unterscheidung resultiert aus meiner Beschäftigung mit den aktuellen krisenhaften Erscheinungen in unserer Wirtschaft, konkret mit der Debatte um die sog. "Target2-Salden" der Deutschen Bundesbank ("Target-Debatte").
Insbesondere bin ich hier einem Arbeitspapier verpflichtet, dessen These, wonach die deutschen Exportüberschüsse NICHT durch deutsche Kapitalexporte finanziert worden seien, zwar Nonsens im Quadrat ist (hier hatte ich das kurz angesprochen). Das mich aber (wieder einmal, und von einem anderen Blickwinkel aus) zu einem tiefen Einstieg in die Untiefen der Geldtheorie angeregt (oder gezwungen) hat:
"Kein Kapitalabfluss aus Deutschland. Eine Fundamentalkritik an Hans-Werner Sinns Kapitalexport-These" von Gustav A. Horn und Fabian Lindner (23.05.2011), herausgegeben von der Hans Böckler Stiftung der Gewerkschaften. 
Dass Geld Kredit "ist", liest man sehr häufig. Die englischsprachige Wikipedia bietet dafür sogar den Artikel "Credit theory of money" an. Der verweist auf einen Eintrag in der deutschsprachigen Wikipedia, der allerdings von der Überschrift her deutlich unpräziser ist: "Kreditgeld". Die Zusammenziehung von "Kredit" und "Geld" in einem Begriff signalisiert nach gängigem Sprachegebrauch eigentlich, dass es neben einem "Kreditgeld" und ein anderes Geld, ein Nicht-Kreditgeld, geben müsse. Ob das so ist, lässt sich dem Eintrag jedoch nicht entnehmen.
In der Tat kann man beim "Warengeld" (engl. commodity money), also z. B. Gold, Silber, Kaurimuscheln usw., über die 'Kreditnatur' (d. h.: über die ENTSTEHUNG dieses Geldes im Kreditwege) streiten.Diese Frage lasse ich hier ausdrücklich offen; bei meinen Überlegungen geht es ausschließlich um unser gegenwärtiges Papiergeld ("Fiatgeld", engl. "fiat money").
(Bei "Papiergeld" sind die gegenwärtig umlaufenden, nicht aus Edelmetall bestehenden Münzen mitgedacht, und ebenso das nicht einmal mehr aus Papier bestehende, sondern nur noch sozusagen auf dem Papier stehende elektronische Geld, das dem Volumen nach heute die weitaus umfangreichste Form von Geld ist.)
Was Geld seiner Funktion nach ist, wurde mir im Zusammenhang mit der Target-Debatte rasch klar:"Geld (i. S. von Fiatgeld) ist nichts anders als ein Schuldschein (man könnte auch sagen: ein Kreditbrief)
  • ausgestellt von einer Volkswirtschaft (und entsprechend bei jedem Wirtschaftssubjekt (Person, Firma) in dieser Volkswirtschaft einlösbar
  • gesetzlich vertreten durch die jeweilige Notenbank."
Wenn man annimmt, dass die Wikipedia-Definition "Scheidemünzen, Banknoten, Buchgeld und elektronisches Geld sind Kreditgeld und stellen eine Forderung gegenüber dem jeweiligen Emittenten, beispielsweise einer Bank, dar" das allgemeine gegenwärtige Verständnis von Geld repräsentiert, bin ich mit dieser Definition schon einen Schritt darüber hinaus gegangen.
Bei mir ist Geld keine Forderung gegen eine (Zentral- oder Geschäfts-)Bank mehr, sondern ein Schuldschein, den die Notenbank (in Form von Zentralbankgeld) oder eine Geschäftsbank (in Form von Buchgeld = Giralgeld) treuhänderisch für die gesamte Volkswirtschaft erstellt und dem Geldbesitzer ausgehändigt bzw. gutgeschrieben hat.
Historisch war das zeitweise anders; wenn (Zentral- oder Geschäfts-)Banken verpflichtet sind, Geldscheine oder Bankguthaben gegen Gold einzulösen, kann man die Scheine und Guthaben noch als "Forderung" bezeichnen. Wenn ich aber bei Einreichung der Geldscheine oder Bankguthaben nichts als andere Geldscheine, oder Guthaben auf einem anderen Konto, erhalte, ist diese Formulierung definitiv sinnlos geworden.
Das einzige, was mich am Geldbesitz noch interessieren kann, ist das Potential des Geldes, jedes beliebige Gut (von entsprechendem Wert) damit zu kaufen, welches am Markt angeboten wird.
Wobei der Begriff "Schuldschein" insofern in die Irre führen kann, als weder das einzelne Wirtschftssubjekt, das dem Geldbesitzer etwas verkauft, mit diesem Verkauf eine bestehende individuelle Schuld (i. S. v. Verschuldung) ablöst, noch die Volkswirtschaft als Ganzes.
Selbstverständlich ist Geld gesetzliches Zahlungsmittel und muss als solches vom Verkäufer akzeptiert werden. Aber umgekehrt ist niemand gezwungen mir etwas zu verkaufen, wenn ich ihm einen Geldschein unter die Nase halte. Und vor allem ist niemand gezwungen, diesem Geldschein einen bestimmten Wert beizulegen. Bei einer Hyperinflation muss ich morgen vielleicht schon 100,- € für ein Brot bezahlen, das ich heute noch für 10,- € bekommen habe.
Was das Geld zirkulieren lässt, ist zunächst weniger die Pflicht, als vielmehr die Verlockung.
Entscheidend ist das Versprechen sozusagen der gesamten Volkswirtschaft, dass JEDER Geldbesitzer  auch seinerseits jedes am Markt angebotene Gut bekommen kann, wenn er den volkswirtschaftlichen Kreditbrief "Geld" besitzt und bereit ist, Kreditbriefe im Wert des Gutes (bzw. genauer: in der vom Verkäufer verlangten Höhe) dafür zu übergeben.
Da nun jeder viele Dinge benötigt, die er auf anderem Wege nicht bekommen kann, wird der Gelderwerb schlussendlich natürlich doch wieder so etwas wie eine "Pflicht".
Ein derartiges System kann natürlich nur dann funktionieren wenn gewährleistet ist, dass im Prinzip jeder, der einen Geldschein in der Hand hält (wenn ich mich so ausdrücke, sind natürlich die weitaus abstrakteren elektronischen Transaktionen unserer Tage immer stillschweigend mitgedacht) auch seinerseits eine Leistung in den volkswirtschaftlichen Topf einbringt.
Wer als Arbeitnehmer am Monatsende seinen Lohn auf dem Konto hat, oder wer als Geschäftsmann den Eingang eines Kaufpreises auf seinem Konto abhakt weiß, dass er eine Leistung erbracht hat.
Aber wie "kommt das Geld in die Welt"?
Stellen wir uns vor, es käme vom Himmel geregnet wie Sterntaler. Das Mädchen, welches dieses Geld in seiner Schürze auffängt, kann herrlich und in Freuden leben - ohne selbst irgend eine Gegenleistung erbringen zu müssen.
Ökonomisch ist das nichts anderes, als wenn ein Geldfälscher Scheine druckt oder kopiert. Oder als wenn ein Staat seine Ausgaben nicht aus Einnahmen (Steuern oder am Markt aufgenommenen Krediten) bezahlt, sondern mit frisch gedruckten Scheinen aus der Notenpresse (wie die deutsche Reichsregierung Anfang der 1920er Jahre). Wird das in einem großen Umfang betrieben, muss es (sobald die volkswirtschaftlichen Elastizitätsräume - "Knautschzonen" könnte man sagen - ausgeschöpft sind), die altbekannte Folge nach sich ziehen: Inflation oder gar Hyperinflation.
Denn in einer solchen Lage beteiligt sich eine Vielzahl von Akteuren an der gesellschaftlichen Produktion, ohne dass
a) sie selbst etwas einbringen und
b) andere Wirtschaftssubjekte im gleichen Umfang darauf verzichten, Güter oder Dienstleistungen für ihr Geld nachzufragen ("sparen").
(Solange der "leistungslose" Konsum der einen durch Konsumverzicht der anderen, also durch "Sparen", kompensiert wird, kommt es NICHT zur Inflation. Denn dann bleibt ja die nachfragewirksame Geldmenge im Verhältnis zur Gütermenge unverändert.)
Denken wir uns also unser Sterntalermädchen (die "Erstempfängerin" von neuem Geld) als eine Hutmacherin. Die geht zu ihrer Bank und nimmt einen Kredit auf. Damit schuldet sie ihrer Bank Geld (wegen der Zinsen - bei denen es übrigens "den" Zins ebenfalls nicht gibt - sogar mehr als den ausgeliehenen Betrag). Und dieses Geld kann sie nur von anderen Wirtschaftssubjekten erhalten, und in der Weise, dass sie Hüte herstellt und diese verkauft. (Wobei die Bank, indem sie ggf. den Kredit eintreibt, das zwar im eigenen Interesse tut, aber gleichzeitig auch treuhänderisch für die gesamte Volkswirtschaft. Denn nur dadurch erhält ja "die Volkswirtschaft" einen realen Gegenwert für jene Güter, die sie der Hutmacherin für deren 'Erstgeld' verkauft hatte.)
Wir ziehen also, von unserem konkreten Beispiel abstrahierend, folgenden Schluss:
Das erstmalige In-die-Welt-Kommen von Geld (Fachausdruck: Die Geldschöpfung) muss notwendig im Kreditwege erfolgen.
In DIESER Hinsicht ist es absolut gerechtfertigt zu sagen: "Geld ist Kredit".
Nur darf man nicht umgekehrt einfach von dieser Formel ausgehend weitere Schlüsse über die "Natur des Geldes" ziehen. Wer das nämlich tut läuft Gefahr, dass sich die weiteren Elemente seiner Geldlehre (Geldtheorie) von der Realität entfernen und zu einem bloßen Jonglieren mit Begriffen verkommen.  Genau das ist m. E. dem britischen Wirtschaftswissenschaftles und Diplomaten Alfred Mitchell Innes (Wikipedia) passiert. Der hat im Mai 1913 Aufsatz "WHAT IS MONEY?" Dieser Aufsatz ist erschienen, feiert also in diesem Jahr sein 100jähriges Jubiläum.
Ergänzt wurde er im Folgejahr 1914 durch einen weiteren Aufsatz (eine Antwort an seine Kritiker), dessen Titel aussagekräftiger ist und den ich deshalb oben auch für mich übernommen habe: "The Credit Theory of Money". Inhaltlich bringt sein 2. Artikel aus meiner Sicht jedoch keine neuen Erkenntnisse.
1913 schrieb Mitchell Innes:
"Money ..... is credit and nothing but credit. A's money is B's debt to him, and when B pays his debt, A's money disappears. This is the whole theory of money."
Das ist falsch. Mitchell Innes verkennt an dieser Stelle, das Geld nur für den "Erstgeldempfänger" eine Schuldt (debt) darstellt. Und die besteht nur auf der juristischen oder, wirtschaftlich gesehen, der quasi "eintreibungsorganisatorischen" Ebene gegen eine Bank.
Ökonomisch betrachtet hat sich ein Empfänger von frisch geschöpftem Geld gegenüber der gesamten Volkswirtschaft zum Erbringen einer Gegenleistung verpflichtet; auf DIESER Betrachtungsebene ist er also zum Schuldner der Gesamtwirtschaft geworden.
Und es verschwindet auch kein Geld, wenn das eine Wirtschaftssubjekt seine Verbindlichkeiten bei einem anderen Wirtschaftssubjekt begleicht. Geld wird erst dann wieder "vernichtet", wenn ein Schuldner einen aus Geldschöpfung resultierenden Kredit wieder begleicht.
Falsch ist auch die bei L. Randall Wray auftauchende (eigene oder lediglich referierte?) Behauptung "state liabilities (HPM) are destroyed when they return to the state, mostly in tax payments or bond purchases by the non-government sector." ("Endogenous Money: Structuralist and Horizontalist", Working Paper No. 512 des Levy Economics Institute of Bard College vom September 2007.)
Unzutreffend ist darin bereits die Gleichsetzung von HPM (high powered money = Zentralbankgeld) mit "state liabilities". Denn, wie wir gesehen hatten, ist es NICHT der Staat, welcher gegenüber den Geldbesitzern mit dem Akt der Geldschöpfung eine Verbindlichkeit eingegangen ist (selbst wenn man, was jedenfalls für die heutige Situation ebenfalls nicht zutrifft, den Staat mit der Notenbank gleichsetzen wollte). Sondern die Bank (beim Zentralbankgeld die Notenbank = Zentralbank, bei dem sog. Buchgeld oder Giralgeld die Geschäftsbank) hat mit dem Akt der Geldschöpfung einen Kreditbrief auf die gesamte Volkswirtschaft ausgestellt. Wenn ein Steuersubjekt diesen "Kreditbrief" an den Staat übergibt, um seine Steuerschuld zu begleichen, dann kann der Staat, genau wie jedes private Wirtschaftssubjekt auch, damit "einkaufen gehen".
Lediglich dann, wenn der Staat sich Geld bei der Notenbank gepumpt hätte, und diesen Steuereingang nunmehr verwenden würde, um diesen Zentralbankkredit zu begleichen, würde "Geld vernichtet".
[Dennoch verdanke ich die Idee zu diesem ganzen Aufsatz der Lektüre in diesem Arbeitspapier, das ich freilich noch nicht zu Ende gelesen habe. Den Vorläufertext zu diesem Eintrag habe ich am vergangenen Samstag auf der Bahn-Rückfahrt von der Anti-GEZ-Demo in München verfasst. Woraus ich schlussfolgere, dass die Wirtschaftswissenschaft sehr viel weiter wäre, wenn die Professoren nur öfter demonstrieren würden - oder mit der Bahn reisen. Unschlagbar ist freilich die Kombination beider Erkenntnistechniken ;-) ]
Einige Passagen in den Aufsätzen von Mitchell Innes sind mir nicht völlig klar geworden. Ich denke aber, dass der Autor sich jeden Geldbesitzer in einer Doppelrolle denkt: Gleichzeitig als Gläubiger von irgend jemandem, und als Schuldner von jemand anderem.
Diese Sichtweise ist nicht mehr aus einer exakten Beobachtung und Analyse der realen Vorgänge abzuleiten, sondern mutmaßlich eine "begriffsgedankliche" Weiterentwicklung seines Satzes "Money is debt". 
In diesem Zusammenhang hat bei ihm (wie bei so vielen anderen, in der Geldtheorie ebenso wie in allen anderen Bereichen) das "Eigenschaftsdenken" (is / ist als Charakterisierung einer gedachten inhärenten Geldeigenschaft) über das "Funktionsdenken" obsiegt.
Dabei wissen wir doch alle, dass das Geld in unserer Tasche zwei unterschiedliche Herkunftsarten haben kann:
  • Zum einen kann es sein, was ich als "Eigengeld" bezeichnet habe: Wer am Monatsende seinen Lohn oder seine Rente bekommt, hat Geld erhalten, das eindeutig ihm gehört, dass er niemandem zurückzahlen muss.
  • Wenn ich allerdings ohnehin schon auf Pump lebe, und mein Überziehungskredit ist höher als der Eingang von "Eigengeld", dann ist alles weitere Geld, was ich von der Bank abhebe (bzw. überweise) eben KEIN Eigengeld, sondern ein Kredit. Den muss ich irgendwann zurückzahlen.
ABER: Nicht jede Kreditvergabe ist ein Akt von Geldschöpfung.
Wenn eine Bank zwei Kunden hat: den Sparer Sp. mit 10.000,- € Spareinlage, und den Kreditnehmer Kr. mit 10.000,- € Schulden, dann hat sie kein (Buch-)Geld "geschöpft", sondern lediglich bei ihr deponiertes Geld (= bei ihr eingelegte Anrechtscheine auf volkswirtschaftliche Leistungen) an einen  anderen weitergereicht. (Wobei der Nutzen der Bank für den Sparer bzw. den Kreditnehmer in den sog. drei Transformationsfunktionen besteht: Losgrößentransformation - im Beispiel nicht -, Fristentransformation und Risikotransformation.)
Wenn ein Kredit aus Sparleistungen anderer Wirtschaftssubjekte vergeben wird, handelt es sich in meiner Terminologie also um einen SEKUNDÄRKREDIT*. Es erfolgt dabei eine WEITERgabe von in der Volkswirtschaft bereits vorhandenen "Gutscheinen", nicht eine NEUHERAUSgabe von frischen "Gutscheinen" (= Geld).
(Und mit der Rückzahlung eines derartigen, aus Einlagen anderer gezahlten, Kredits durch einen Schuldner wird auch kein "Geld vernichtet".)
Die Ausgabe (das Herausbringen) von neuem Geld ist ein PRIMÄRKREDIT.
* Für eine jweils konkrete Kreditvergabe durch eine Bank kann man natürlich NICHT feststellen, ob es sich um einen Sekundärkredit aus Kundeneinlagen handelt, oder um einen frisch geschöpften "Primärkredit". Doch in der Summe müsste das m. E. für die jeweilige Bank und damit auch für die Volkswirtschaft insgesamt, feststellbar (und somit auch unterscheidbar) sein.
Aus anderer Perspektive können wir damit festhalten:
Ein Geldbesitzer KANN ein Kreditnehmer (Schuldner) sein, muss es aber nicht.
Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler und habe keinen umfassenden Überblick über die Fachliteratur zur Geldtheorie.
Aber wenn ich mir jene Texte - Darstellungen für Laien wie z. B. in der Wikipedia, oder wissenschaftliche Papiere wie das oben zitierte von L. Randall Wray - anschaue, die ich zu diesem Thema gelesen habe, dann muss ich den Eindruck gewinnen, dass das Verständnis der Funktion von Geld in unserer Wirtschaft seit dem partiellen Durchbruch in dem oben zitierten und mittlereile 100 Jahre alten Aufsatz von A. Mitchell Innes kaum Fortschritte gemacht hat.
Der Knackpunkt dürfte darin liegen, dass die Forscher Geld als einen individuellen Schuldschein missverstehen, engl. "IOU" (I owe you).  (Vgl. z. B. bei Wray den Satz - der anscheinend die Position von Geoffrey W.Gardiner wiedergibt - ): "When IOUs complete their journey back to their issuers, they are destroyed."
Geld ist aber nur für den Erstempfänger (Primärkreditnehmer) ein Schuldschein, aber für niemanden sonst in der folgenden Kette. (Auch beim Sekundärkreditnehmer steht dem Geld, was er in der Tasche hat, natürlich eine Verbindlichkeit gegenüber. Diese liegt aber nicht im "Wesen" (in der Entstehung) von Geld begründet, sondern ist rein privater Natur: Der Kreditgeber verzichtet vorübergehend auf Konsum, und tritt seine "Konsumberechtigungsscheine" in Höhe des Kredites zeitweise an den Kreditnehmer ab.
Selbst aber beim Primärkreditnehmer ist es wichtig, sich immer dessen bewusst zu bleiben, dass die Bank nur die sozusagen "technische" Gläubiger ist.
EIGENTLICHE Gläubigerin bei der Ausgabe von Geld ist die GESAMTE VOLKSWIRTSCHAFT. Die Zentral- oder Geschäftsbank, welche "Geld schöpft" tut das, wenn man die tieferen Zusammenhänge betrachtet, als TREUHÄNDERIN DER GESAMTWIRTSCHAFT.
Ich denke, dass man von dem hier von mir skizzierten geldtheoretischen Ausgangspunkt her ein sehr viel fundierteres Verständnis der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise gewinnen kann, als mit jenen manchmal eher stumpfen (nach meiner Vermutung: auch von - unbewussten - Interesseneinflüssen der Kapitalbesitzer abgestumpften) Rammböcken, welche die Wirtschaftswissenschaft bislang gegen die Mauern der Realität zum Einsatz gebracht hat.
Letztendlich läuft meine eigene Vorstellung der tieferen Krisenursachen auf die Unterkonsumtionstheorie hinaus, wie ich sie hier und an vielen anderen Stellen mehr oder weniger weit entwickelt habe.
Aber mit der Aufgabe, Geldtheorie und Unterkonsumtionstheorie gedanklich überzeugend zu verbinden, sehe ich mich überfordert; das mag leisten wer mag. (Wahrscheinlich will aber niemand. Weshalb die Menschheit auch aus der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht wirklich etwas lernen wird.)
Zu erörtern ist vielleicht noch, was geschieht, wenn die Geldausgabestelle, die ich insoweit ja als Treuhänderin der Gesamtwirtschaft beschrieben hatte, versagt.
  • Bei den Geschäftsbanken gibt es zunächst einen Puffer aus Gewinnen und Rücklagen. (Die haben, wie Leser meines Zins-Blotts wissen, die Kreditnehmer in Form eines in den Kreditzinsen enthaltenen "Versicherungsprämienanteils" finanziert). Die sind ja, aufgrund ihrer Geldnatur, Gutscheine der Realwirtschaft im Eigentum der Banken. Insoweit, als Kredite notleidend werden, schwinden diese Reserven der Banken und damit auch deren Ansprüche gegen die Realwirtschaft.
  • Steht für die Bank die Insolvenz im Raum, müssen andere deren Verluste tragen: Eigentümer, nachrangige Kapitalanleger, ggf. auch die Einleger und, nach aktueller (schlechter) europäischer Praxis die Steuerzahler. Unabhängig von meiner Aversion, als deutscher Steuerzahler Bankenverluste zu tragen, und gar noch in anderen Ländern, bleibt jedenfalls festzuhalten, dass der "Überkonsum" des Kreditnehmers durch (ggf. zwangsweises) "Sparern" anderer Wirtschaftssubjekte wieder ausgeglichen wird. Nur dann, wenn die Zentralbank eine überschuldete Bank dauerhaft mit frisch gedrucktem Notenbankgeld rekapitalisieren würde, müsste das tendenziell eine inflationierende Wirkung haben.
  • Erleidet eine Notenbank Verluste, weil die Banken, an die sie Gelder verliehen hatte, pleite gehen, und weil die Sicherheiten, die ggf. für die Vergabe von Zentralbankkrediten von den Geschäftsbanken zu hinterlegen waren, einen geringeren Erlös als den besicherten Betrag erbringen, geht sie NICHT pleite. Auch wenn sie bilanziell total überschuldet ist, kann eine Zentralbank sich selber "retten", indem sie lustig frisches Geld druckt. Von der Tendenz her (d. h. wenn die volkswirtschaftlichen Elastizitäten - beispielsweise brachliegende Produktionsreserven - den Geldüberhang nicht mehr abpuffern können) hat das allerdings eine inflationäre Wirkung.

ceterum censeoZerschlagt den €-Gulagund den offensichtlich rechtswidrigen Schlundfunk der GEZ-Gebühren-Ganoven! 
Textstand vom 28.03.2013. Gesamtübersicht der Blog-Einträge (Blotts) auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm. Eine vorzügliche, laufend aktualisierte Übersicht über die Internet-Debatte zur Eurozonenkrise bietet der Blog von Robert M. Wuner. Für diesen „Service“ ihm herzlichen Dank! Für Paperblog-Leser: Die Original-Artikel in meinem Blog werden später z. T. aktualisiert bzw. geändert.