Einem geschenkten Gaul, oder Kamel, oder Papagei, oder was auch immer…

Was hätte ich denn tun sollen? Das Geschenk ausschlagen? Ich meine, das sind immerhin 180 Franken, die man uns da einfach so geschenkt hat, weil der Zoowärter bei einem Wettbewerb mitgemacht hat. Klar wollen die, dass wir im Gegenzug zu ihrer Krankenkasse wechseln, aber die werden uns ohnehin nicht nehmen, mit all unseren Asthmatikern. Also doch ein Geschenk, auch wenn es eigentlich eine Bestechung hätte sein sollen.

Und die Kinder hatten uns ja schon seit Jahren in den Ohren gelegen. “Wir wollen auch mal in diesen Zirkus. Alle anderen waren schon dort…” Sie meinten den Grössten, den Teuersten, den mit den Tieren und den Akrobaten aus China. “Irgendwann werden wir dann schon gehen. Wenn das Geld reicht…”, antworteten “Meiner” und ich und hofften, dass sie bald dem Zirkusalter entwachsen würden. Ich meine, das sind immerhin 180 Franken, die man liegen lässt, um mit fünf Kindern die Vorstellung zu besuchen, Popcorn und Zuckerwatte nicht inbegriffen. Als wir dann diese Gutscheine zugeschickt bekamen, war klar, dass wir gehen müssen. Ja, wir hätten sie verfallen lassen können, aber ihr glaubt doch nicht etwa, dass unsere Kinder uns das je verziehen hätten. Noch wenn wir im Altersheim unser Püriertes löffeln, würden sie uns vorwerfen, dass wir nicht ein einziges Mal mit ihnen in diesem Zirkus waren, im Grössten, Teuersten mit den vielen Tieren und den Akrobaten aus China. “Und dabei hättet ihr die Tickets gratis haben können”, würden sie sagen. “Was wart ihr doch für miese Eltern. Geizig und vollkommen versessen auf eure engstirnigen Prinzipien…”

Nein, so etwas wollten wir auf gar keinen Fall riskieren, also holten wir endlich die Tickets für die Vorstellung in Thun. Natürlich hatte der Zirkus auch bei uns in der Gegend gastiert, aber da waren wir gerade nicht in der Gegend und darum mussten wir eben warten, bis er wieder halbwegs in der Nähe ist. Na ja, so nah ist Thun auch  nicht, darum lärmten unsere Kinder ja gestern Abend um Viertel vor zehn noch im Familienwaggon, aber immerhin nah genug, damit man ohne grosse Umstände hinfahren kann. 

Den Kindern hat es natürlich gefallen, keine Frage. Okay, Luise empfand ziemlich viel Mitleid mit den Pferden und den Elefanten, der Zoowärter brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass der Komiker der Clown war und das Prinzchen wäre auch mit der ersten Halbzeit zufrieden gewesen, aber alles in allem war es das, was Zirkus für Kinder sein sollte: Staunen, Nervenkitzel, Gelächter, Träumerei. Der Stoff, aus dem die schönsten Kindheitserinnerungen gemacht sind. 

Und ich? Ich war glücklich, dass wir den Kindern diese Erinnerung schenken konnten, ohne Geld auszugeben. Natürlich staunte ich auch, lachte, bangte und applaudierte. Die Fragen, ob Zirkuselefanten glücklich sein können, ob den Papageien die überlaute Musik nicht zusetzt, ob das, was ich in diesem schlimmen Dokumentarfilm über Artisten aus China gesehen habe, auch wirklich stimmt, ob das Kamel die Verachtung, die in seinem Blick liegt, auch tatsächlich empfindet, diese Fragen konnte ich nicht ganz aus meinem Kopf verbannen, obschon ich es versuchte. Ich bin nun mal kein Kind mehr, das vorbehaltlos geniessen kann, was es präsentiert bekommt. Immerhin aber bin ich anständig genug, einem geschenkten Gaul – oder Kamel oder was auch immer – nicht vor allen anderen ins Maul zu schauen und darum habe ich meine kritischen Gedanken für mich behalten. Zumindest solange mich die Kinder nicht fragten, ob mir die Tiere nicht auch ein wenig Leid getan hätten…

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