Auf vielfachen Wunsch veröffentliche ich hiermit ein paar weitere Gedanken zur vergangenen Woche, die ich mit Brett Sutton’s Trainingsgruppe im wunderschönen St. Moritz im Engadin verbrachte.
Das Fazit vorweg: Es war eine geile Woche! Wir hatten Glück mit dem Wetter, denn nach einer verregneten Woche brachte ich den Sonnenschein aus Ulm mit und erst am Sonntag, meinem Abreisetag, wurde es wieder regnerisch und kalt. Kühler als die schwül-warmen 30°C nach meiner Rückkehr ist es aber natürlich im Engadin auf über 1800 m.ü.M. in jeden Fall. Meist waren es so zwischen 16 und 20°C – also perfekt für Onkel Jörgi.
Wie läuft nun so eine Woche ab? Im Grunde ganz simpel. Man meldet sich am Montagmorgen um 08:00 Uhr (pünktlich!!!) ordnungsgemäß zum Dienst. Kein Antreten, keine Anzugskontrolle (die Älteren unter uns, die mal bei der Bundeswehr waren, wissen, was ich meine). Alles geht recht informell und locker ab. Robbie Haywood (die “rechte Hand”) und seine Freundin Susie heißen einen willkommen und führen einen recht ungezwungen und rasch in das Procedere ein. In meinem Fall war ich war der einzige Neuankömmling – alle anderen Amateure waren schon die Vorwoche dabei. Von den Profis bekommt man nur am Rande etwas mit. Sie arbeiten permanent mit Brett und werden höchst individuell betreut. Und überhaupt: “Standard” ist lediglich das morgendliche Schwimmtraining, das im Ovaverva (dem neuen Spa-Komplex mit Hallenbad, Spa, Sauna, Kinderbecken, Sprungbecken, Sportgeschäft, Massage etc. alles bietet) jeden morgen um 08:00 Uhr (sharp!) stattfindet (manchmal auch um 10:00 Uhr). Robbie versendet immer am Vortag entsprechende Emails.
In meinem Fall hatte ich schon im Vorfeld kommuniziert, wie unzufrieden ich mit meinen momentanen Schwimmfähigkeiten bin. Ergo schauten Brett und Robbie über meinen Kraulzug. Ergebnis: Genau das, was ich erwartet (und insgeheim erhofft hatte). “Dein Kraulzug sieht wunderschön aus – wie aus dem Lehrbuch. Im Grunde alles richtig. Nur halt lahm, wie ‘ne Ente. Schau’ Dich an! Du bist muskulös, hast Kraft. Aber nutzt nichts davon in Vortrieb…”. Am Dienstag gab es dann auch einenn 4 Punkte-Plan, den ich sukzessive über die Woche umsetzen durfte. Mein Schwimmen sieht jetzt vielleicht nicht mehr ganz so schön aus, ist aber schneller (und ich brauche jetzt mehr Kraft).
Ab und zu gab es eine Predigt für alle. Und sowohl in den Ansprachen, als ich im individuellen Feedback wird sofort deutlich, warum er der Beste ist: Er kann einfach aus unglaublich viel Erfahrung schöpfen und hat – ähnlich wie in meinem Job – ein Händchen für gute Geschichten und Analogien, kann mitreissend und begeisternd reden. Eine dieser Analogien aus dem Box-Sport hat mir enorm geholfen, mir die Kern-Veränderung in meinem Schwimmstil vorzustellen (und mit einer eigenen Vorstellung fängt jede Veränderung an). Selbstverständlich wird auch hier das selbe Programm pro Bahn geschwommen, aber er variiert im Rahmen des Möglichen und zieht einen auch einmal mittendrin raus für ein direktes Feedback.
Werden Zeiten genommen? Natürlich nicht! Wird zu irgendwelchen festen Startzeiten losgeschwommen? Natürlich nicht! Wird in einem festgelegten Tempo geschwommen? Natürlich nicht! So ziemlich alles, was im Schwimmtraining (und auch in den anderen Disziplinen) als “Standard” gilt, wird hier anders gemacht, ist geradezu verpönt. Genau wie ich das ja ohnehin nach mehreren Jahren des obszessiven Zahlen-Analysierens irgendwie automatisch und eher instinktiv weggelassen habe, verbannt er auch alle technischen Gadgets. Ja, auch eine simple Stoppuhr. Grundgedanke? Wir betreiben Triathlon. Das ist ein (weitesgehend – mal von einem Sprint im WCS abgesehen) rein aerober Sport. Und gerade auf den längeren Distanzen sind die Tempi ja regelmäßig sehr bis extrem langsam. Wir laufen ja alle unseren Marathon im gemütlichen GA1-Zockel-Tempo, nicht? Selbst auf der 1:17er 20km-Runde in Ulm konnten Michi (Michael Wetzel) und ich uns noch gut unterhalten nebenher. Welche Rolle spielt da, wie schnell wir irgendwelche Intervalle mal unter völlig anderen (Labor-) Bedingungen auf der Bahn gelaufen sind? Eben! Es hilft einem ganz allgemein nicht weiter, wenn man die völlig falschen Systeme trainiert. Also warum mit einer Herzfrequenz von 170 tranieren, wenn ich in einem Mittel- oder Langdistanz-Rennen doch eh’ nie über HF 140 komme? Die Kunst ist es, maximal ökonomisch bei HF 140 zu laufen (in meinem Fall – andere Athleten dann mit ihrer entsprechend aeroben HF).
Und noch etwas: Geschwommen wird jeden Tag! Nicht unbedingt um die letzten 20 Sekunden auf 3,8k herauszukitzeln, aber weil Brett – anders als die meisten Anderen – Triathlon tatsächlich als Ganzes sieht. Und entsprechend locker aus dem Wasser zu steigen ermöglicht es einem, direkt von Beginn an Druck auf dem Rad zu machen (und nicht erst 10 Minuten Laktat abbauen zu müssen). Das ist ein Punkt, der aus meiner Sicht v.a. für die Amateure im mittleren und hinteren Feld wahr ist – diejenigen, die ohnehin schon sehr über ihren Möglichkeiten radeln und schwimmen. Beim Rad-Lauf-Wechsel wird das zwar deutlicher, stimmt aber auch für den 1. Wechsel.
Das Bad wurde dafür extra für uns zwei Stunden vor den offiziellen Öffnungszeiten geöffnet. So hatten wir maximal Ruhe und waren für uns. Nach dem Schwimmtraining ging’s dann für mich meist noch ins warme Sprudelbecken zum relaxen.
In aller Regel wird drei Mal trainiert am Tag. Aber nicht unbedingt alle drei Disziplinen. Schwimmen ist eh’ gesetzt und dann kann es gut und gerne 2x Radeln oder 2x Laufen sein. Die wichtigste Regel bei Brett Sutton: Es gibt keine Standards und es gibt keine Trainingspläne. Das ist angeblich für die Profis wie eine Nicola Spirig oder Daniela Ryf die größte Herausforderung, kommt aber Menschen mit geringem Sicherheitsbedürfnis wie mir entgegen. Bis zum Ende des Schwimmtraining weiß niemand, was er an diesem Tag trainieren wird. Spannend. Ansonsten ist das Training auch bei einem Sutto keine “Rocket Science”. Selbstverständlich gibt es da nichts Mystisches in seinem Trainingsaufbau. Aber alles hat (1) Methode und ist (2) höchst individuell. Er schaut tatsächlich jeden Athleten jeden Tag auf’s Neue an und verabreicht je nachdem, was er sieht, seine Einheiten. Grund-Einstellung ist hier die Selbe, wie in meinem Job als Kommunikationstrainer: Was bringt diesem Menschen vor mir JETZT am meisten? Anders als bei den meisten Menschen ist eine klare Zielorientierung unübersehbar (die Athleten, die sich hierher verirren, wollen sich natürlich alle verbessern, haben Ziele, machen das eben nicht nur aus dem reinen Spaß).
Gewisse Grundregeln werden aber natürlich eingehalten. Zum Beispiel Speed/Kraft VOR Ausdauer. So ist dann auch meist die zweite Einheit am späten Vormittag hart und die dritte am Nachmittag locker. Oder sie setzt Speed/Kraft “auf die Straße” um. Ziel ist es – wenig überraschend – einerseits einen starken Trainingsreiz zu setzen und andererseits möglichst erholt am nächsten Morgen ins Becken springen zu können. Auch hier zeigt sich wieder eine Parallele zu meiner Grundauffassung: Er fragt sich genbauso wie ich mich, was zur Hölle eine regenerative Radausfahrt von 2-3 Stunden bringen soll. Das ist dann auch das erste Zeichen, woran ich einen schlechten Coach erkenne.
Statt 35 verschiedene “Zonen” (oder sonstigen Bullshit, der die zahlenorientierte, “wissenschaftliche Ingenieurs-Fraktion” antreibt), gibt es beim Doc nur 3 (in Worten: DREI) Bereiche: Die sogennanten drei Ms – MODERATE, MEDIUM und MAD. Und gerade mit MAD geht er sehr gefühlvoll um. Das wird nur verabreicht, wenn es trainingstechnisch sinnvoll ist UND sich der Athlet entsprechend fühlt. Ansonsten ist Sutto – entgegen anders lautender Verschmähungen – ein sehr sensibles Kerlchen und bremst seine Pferdchen eher ein, als sie zu pushen. Das braucht man nämlich mit Rennpferden (die es hier ja meist sind) nicht zu tun. Anders als bei Rennpferden (die er ja auch lange studiert und trainiert hat), muss man Menschen oft bremsen, denn sie wollen oft zu viel zu schnell und verletzen sich. “Rennpferde machen einfach keinen Schritt mehr, wenn sie fertig sind”, sagt Sutto. “Da muss der Jockey brachial mit der Peitsche drauf hauen, sonst weiß ein Pferd einfach, wenn es eine Pause braucht und macht entsprechend langsamer.” Und überhaupt scheint eines der größten Probleme zu sein, dass er es hauptsächlich mit überdurchschnittlich intelligenten Menschen zu tun hat. Und nur, weil man das intellektuell kann, muss man nicht alles überdenken, nicht alles verkomplizieren. Das ist auch ein guter Lernpunkt für mich, den ich mit meiner Zen-Praxis sehr in Deckung bringen kann: Den Geist zur Ruhe bringen und einfach die Arbeit tun, die ansteht! Das gelang mir in der engadiner Höhenluft ganz gut.
Und ja, es gibt sie, die “unkonventionellen” Trainingsmethoden. Und weil die Neugier einiger Leser nicht gestillt ist, bevor ich hier nicht ein paar “wahnsinnig geheime Details” offenbare, hier im Anschluss zwei beispielhafte Einheiten, die ich so noch nicht durchgezogen habe. Die erste Einheit ist nur für mich speziell, da ich beim Schwimmen halt eine ausgesprochen faule Socke bin. Ich bin mir sicher, das richtige Schwimmer so etwas ständig machen. Aber nach ohnehin schon unkonventionellem Einschwimmen (“Warum Einschwimmen? Im Triathlon steht ihr doch auch oft leicht unterkühlt für weitere 20 Minuten am Start und müsst dann Vollgas losschwimmen, richtig?”) mit gleich mal 20×25 mit regelmäßigen Tempowechseln (hard/easy) kann ein Main Set dann eben schon mal 3×900 flott mit 15s Pause sein. Das alles oft und gern mit Paddles & Pull Buoy!
Sicherlich die herausregende Trainingseinheit was das Thema “exotisch” betrifft, war dann die Laufeinheit auf der Bahn. 54 Runden im Stadion bin ich noch nie auch nur annähernd gelaufen (wobei ich ja so oder so selten auf der Bahn zu finden bin – schlechte Erfahrungen bzgl. Verletzungen lassen grüßen). Logisch, dass die ungefähr 21k nicht einfach stoisch im GA1-Tempo runtergewurstelt werden. Erstens war es kurzweilig, weil jede Menge Super-Bodies auf dem Track ihre Runden drehten (der eine Dunkelhäutige war schwarz wir die Nacht und sowas von definiert – da könnte man glatt schwul werden). Zweitens aber waren systematisch verschieden lange Strecken “hard” und dann wieder “easy” eingestreut. Die Bahn hat daneben den Vorteil, dass es weitgehend standardisierte Bedingungen sind, man die 150 Meter (oder 200, 300, 400) exakt laufen kann, ohne sich selbst in die Tasche zu lügen und v.a. ermöglicht es ihm als Coach, alle seine Schäfchen im Blick zu behalten und entsprechendes Feedback (wie beim Schwimmen) zu geben.
Alles andere Wichtige habe ich ja bereits in einem der anderen Artikel geschrieben. Nächste Woche, nachdem ich wieder aus Zittau zurück bin, werde ich die wichtigsten Punkte für einen Artikel in der Tritime zusammenfassen.