Eine verschrobene Familie

Eine verschrobene Familie

Als der anglikanische Pfarrer Laurence Sterne 1759 den ersten von insgesamt neun Bänden seines Romans rund um den Gentleman Tristram Shandy veröffentlichte, sorgte seine Kritik am Puritanismus der anglikanischen Kirche sowie generellen Missständen seiner Zeit für Kritik. Allerdings brachte ihm das ungewöhnliche Format seines Buches auch Bewunderung ein - unter Zeitgenossen ebenso wie unter bekannten Literaten späterer Jahre wie Goethe, Heine, Hesse oder Thomas Mann.

Was macht diesen Roman so ungewöhnlich? Da wäre vor allem die völlige Abwesenheit einer stringenten Handlung. Der Roman setzt mit der Zeugung Tristram Shandys ein - die unter höchst widrigen Umständen zustande kommt - und der letzte Band endet vier Jahre vor Geburt des Protagonisten. Hin und wieder erlaubt der Autor dem Leser kurze Eindrücke vom Leben des Tristram Shandy - so erfahren wir, wie es dazu kam, dass der Junge einen Namen bekam, den weder seine Mutter noch sein Vater tatsächlich für ihn ausgewählt haben, oder wie ein herabschnellendes Fenster den Jungen an einer höchst sensiblen Stelle verletzt - aber eigentlich liegt der Fokus viel mehr auf der Familie Shandy und ihrem direkten Umfeld. Besonders detailliert geht der Erzähler dabei auf des Protagonisten Vater - Walter Shandy -sowie dessen Onkel - Toby - ein. Der erste ist ein völlig verkopfter Mann, der beispielsweise davon überzeugt ist, dass aus seinem Sohn schon alleine aufgrund seines Namens nichts werden kann: "von allen Namen im Universum war ihm keiner so unbezwingbar widerwärtig wie Tristram"...
Onkel Toby hingegen ist seit seiner Zeit als Hauptmann bei der Belagerung von Namur geschädigt. Nachdem er sich dort eine Unterleibsverletzung zugezogen hat, nutzt er die mehrjährige Zeit seiner Rekonvaleszenz dafür, sich eingehend mit verschiedenen Belagerungstheorien zu befassen. Kaum gesundet beginnt er damit, an der Seite seines treuen Dieners Korporal Trim Miniaturen von Städten und Belagerungsmaschinen nachzubauen und tatsächlich stattfindende Belagerungen "in Klein" nachzuspielen. Auch dies eröffnet Sterne dem Leser nur nach und nach; der Roman besteht aus aneinandergereihten Episoden und Gesprächen, die sich erst schrittweise - wenn überhaupt - zusammenfügen. Gespickt wird das ganze durch unterschiedliche Beobachtungen und Abhandlungen philosophischer, naturwissenschaftlicher und anderer Art.

Nicht nur durch die fehlende Handlung, auch durch die vielen Ab- und Ausschweifungen hat sich Sterne mit diesem Buch der Norm widersetzt. Teilweise spricht er den Leser persönlich an; behandelt ihn jedoch weder wie einen ebenbürtigen Zeitgenossen noch ehrerbietig, sondern spielt mit ihm.

Im Buch spielt Sterne auch viel mit Satzzeichen und leeren oder eingefärbten Seiten - stirbt eine Person, so findet sich im Text daneben ein Kreuz; manche Seite sind als Zeichen der Trauer schwarz eingefärbt; andere Seiten hat Sterne weiß gelassen, damit der Leser sich selbst ein Bild dazu zeichnen kann.

Wie lässt sich so etwas vertonen? Ausgesprochen gut - solange man sich derart furchtlos an den Text heranwagt wie Regisseur und Bearbeiter Karl Bruckmaier. Der hat zum einen eine beeindruckende Sprecher-Gruppe um sich geschart, von denen jeder seinem Charakter eine Stimme leiht, die mühelos die vielen Anspielungen mit anklingen lässt, die Sterne in so vielen seiner Formulierungen versteckt hat.

Auch hat Bruckmaier tief in die Toneffekt-Kiste gegriffen: mal untermalt lautes Kutschengepolter eine Unterhaltung, ein andermal unterstreicht ein Ploppen, Pfeifen oder Eselsgeschrei die Komik einer Situation.

Für die leeren Seiten hat Bruckmaier eigens Musik komponieren lassen, und um einige der vielen Zitate und Anspielungen zu erläutern, die Sterne in seinen Roman hat einfließen lassen, lässt Bruckmaier Experten zu Wort kommen - so zum Beispiel den Übersetzer Michael Walter, der eine bestimmte Wortwahl näher erläutert. Oder auch einen Mediziner, der genau erklärt, was es mit der Verletzung auf sich hat, die sich der junge Tristram am herabsausenden Fenster zuzieht.

Auch zwei Leserfiguren, die in Sternes Romanvorlage nicht zu Wort kommen, hat er eingebaut - durch regelmäßige Zwischenrufe halten sie die Erzählung zusammen und sprechen oft das aus, was dem ein oder anderen Leser von Tristram Shandy tatsächlich durch den Kopf gegangen sein mag. Manche Szenen, in denen sich der Erzähler direkt an den Leser wendet (bzw. den Zuhörer) sind so inszeniert, dass es scheint, als spräche der Erzähler auf einer Bühne vor Zuschauern in ein Mikrofon...

Zuguterletzt liegt ja in der Kürze die Würze, und deshalb hat Bruckmaier sich auch nicht gescheut, manche Stellen - vor allem die langen, langen Predigten, die der Pfarrer Laurence Sterne in sein Buch eingebettet hat - zu streichen: so ist das Herausreißen einer Seite zu hören, während der Erzähler in knappen Sätzen einen Überblick über das verschafft, was dem Hörer nun entgeht.

Insgesamt hat Karl Bruckmaier so ein Hörspiel von mehr als siebeneinhalb Stunden Länge geschaffen, das dem Hörer nach einer kleinen Eingewöhnungsphase viel Komik bietet, und dessen unkonventionelle Adaption der Textvorlage und kreativer Gebrauch von Tönen und Musik mit Sicherheit auch Sterne selbst angesprochen haben könnte.

Ich danke dem Hörverlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares.

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