Eine typische Eisengeschichte

Von Frauenblog @frauenblog

Dr. Beat Schaub wird in den kommenden Wochen (jeden Donnerstag) hier auf FrauenBlog über seine Erfahrungen zum Thema “Eisenmangel bei Frauen” schreiben. Lesen Sie heute einen Erfahrungsbericht über eine typische Eisengeschichte. Vielleicht erkennt sich die eine oder andere darin? Vielleicht hilft dieser Beitrag eine Leidensgeschichte zu beenden, etwas zu erkennen und möglichen Fehldiagnosen auf die Spur zu kommen. Ein Versuch ist es allemal Wert.

Es ist mir alles zu viel. Ich bin erst 32-jährig, aber meine Batterien sind leer. Ich könnte immerzu einschlafen. Oft fühle ich mich grundlos niedergeschlagen, und mein Selbstwertgefühl ist im Keller. In letzter Zeit vertrage ich sogar die Kinder nicht mehr; es herrscht eine Unruhe in der Familie, weil ich, wie man so sagt, keine Nerven mehr habe. Es tut mir alles so leid: Ich wünschte, es wäre anders. Mittlerweile kann ich schon nachts nicht mehr gut schlafen, sodass ich am Tag erst recht kaputt bin und sogar tageweise nicht mehr richtig zu arbeiten vermag. Ich hoffe, es gibt deswegen keine Kündigung. Mein Chef fragt mich, was ich wohl habe.

Was soll ich nur antworten?

Was ist bloß geschehen?

Bis vor wenigen Monaten war doch alles noch ganz anders. Am Morgen machte ich das Frühstück, und nach einer kräftigenden Dusche brachte ich vor meiner Arbeit die Kinder zur Schule. Der Job machte mir Spaß, sein 50%-Pensum bewältigte ich problemlos. Nach dem Mittag kümmerte ich mich um die Wohnung, ging anschließend joggen und fühlte mich am Abend frisch für das Familienleben. Jetzt ist das nicht mehr so.

Was könnte mit mir passiert sein?

Die Ehe ist gut, mit meinem Mann verstehe ich mich bestens, die Kinder gedeihen prima und bereiten niemandem Sorgen. Die Arbeit gefällt mir, und das Salär stimmt. Auch an meinem Freundeskreis könnte nichts besser sein. Doch nun? Der Besuch neulich beim Hausarzt war geradezu frustrierend. Nach einer ausführlichen körperlichen Untersuchung und Blutentnahme wurde mir ein an sich erfreuliches Resultat mitgeteilt: Ich sei gesund. Kein Organschaden, keine Blutarmut, keine Schilddrüsen-Unterfunktion oder sonst was. Schön. Dennoch, es wäre mir lieber gewesen, man hätte etwas gefunden. Irgendetwas macht mich doch krank! Meine Selbstzweifel steigen: Ich fühle mich hilflos.

Wie soll das weitergehen?  Der Arzt verordnet mir Antidepressiva, und ich beginne sie zu schlucken. Mit Widerwillen. Ich habe Angst und verstehe die Welt nicht mehr.

Bin ich zum „Psycho“ geworden? Und das innerhalb von sechs Monaten! Meine Kindheit war ja durchaus in Ordnung! Also wird sich ja wohl kaum eine frühkindlich verursachte Störung gerade jetzt zu manifestieren beginnen. Sollte ich vielleicht den Job aufgeben? Beim Joggen breche ich mittlerweile schon nach fünf Minuten fast zusammen, sodass ich den Sport aufgebe. Nachdem auch eine Schlafkur und eine einwöchige Arbeitspause meinen Zustand nicht verbessert haben, wachsen die Sorgen der Familie. Meine Selbstsicherheit ist verflogen. Und auf Sex habe ich auch keine Lust mehr, was mein Mann nur mit Mühe verstehen kann.

Hat der Arzt etwas übersehen?

Stimmt etwas in meinem Kopf nicht?

Wäre ein Röntgenbild nicht langsam aber sicher nötig? Inzwischen habe ich einen zweiten Arzt aufgesucht und von ihm die gleiche Botschaft erhalten: körperlich völlig gesund! Auch das Kopfröntgen sowie das EEG hätten ein ganz normales Bild ergeben. Als ich ihn nun nach dem Grund meiner Leidensgeschichte frage, erhalte ich – endlich – eine scheinbar klare Antwort. Ich befände mich in einem Zustand körperlicher und seelischer Erschöpfung.

Das also soll das Untersuchungsergebnis sein: Ich habe mir zu viel aufgehalst! Kinder großziehen und arbeiten – das passt eben doch nicht zusammen und so weiter und so fort. Ich komme mir blöd vor. Diese Diagnose kenne ich selbst bereits bestens; zu der gelange ich doch mittlerweile jeden Tag. Klar: Ich befinde mich tatsächlich in einem körperlichen und seelischen Erschöpfungszustand. Aber, mein Gott, weshalb denn nur? Andere haben ja auch Kinder und arbeiten – und denen geht es gut!

Also bleibt mir nur eins übrig – durchziehen! Ich muss mich ab sofort zwingen so zu leben, als ob einfach nichts mit mir wäre. Mein Wille wird den bleischweren Körper überreden, am Morgen aufzustehen, beim Autofahren nicht einzuschlafen und beim Job nicht griesgrämig zu wirken. Doch nach wenigen Wochen schon merke ich, dass dies so nicht klappt, dass ich ein falsches Spiel treibe. Jetzt leide ich zusätzlich zu den altbekannten Beschwerden auch noch an Nacken- und Kopfschmerzen. Oft habe ich ein Schwindel-gefühl und muss mich am Bürotisch festhalten, um nicht zu Boden zu gehen. Um Gottes Willen, jetzt bin ich aber wirklich krank! Endlich wird der Arzt eine richtige Diagnose stellen müssen und mir vielleicht doch helfen können.

Mit einem Funken Hoffnung gehe ich erneut zu meinem Hausarzt. Doch zu meinem Entsetzen kann er noch immer keine Diagnose stellen, außer dass meine Nackenmuskeln verspannt seien. Wenigstens das! Ich erhalte eine Verordnung für eine Physiotherapie. Neun Behandlungen vergehen, ohne dass sich meine Schmerzen gebessert hätten. Langsam bin ich der totalen Verzweiflung nahe und muss oft heulen. Die Sorge meiner Familie wächst.

Dann endlich kommt der Wendepunkt.

Heute weiß ich, weshalb ich so gelitten habe. Ich kann es kaum glauben, wie schnell ich wieder gesund geworden bin und wie einfach die Behandlung war. Es musste nur die richtige Diagnose gestellt und die notwendige Therapie durchgeführt werden.

Ein dritter Arzt, den ich schließlich aufsuchte, erklärte mir nämlich, ich hätte viel zu wenig Eisen in meinem Körper. Dies, obwohl die Schulmedizin meinen entsprechenden Blutwert durchaus noch als normal ansehe. Er gab mir vier Infusionen innerhalb von nur zwei Wochen, und ich war wieder fit.

Ein Wunder?

Rückblickend hätte ich allen Grund gehabt, auf meine früheren Ärzte sauer zu sein. Ich fühlte mich von ihnen nicht ernst genommen. Ich empfand es geradezu als eine Frechheit, mich zum „Psycho“ zu stempeln und mir Antidepressiva zu verabreichen, anstatt mir das fehlende Eisen zu geben. Ich hatte einer fast schon gelb gewordenen Pflanze in ausgetrockneter Erde geglichen. Auch ich konnte nicht mehr richtig gedeihen. Ich hatte leidend am Leben vorbei gelebt, fast ein ganzes Jahr. Aber ich war, wie ich es mitbekam, nicht die Einzige. Im Wartezimmer des Eisenzentrums begegnete ich nicht weni-gen, denen es wie mir ergangen war. Jahrelang waren sie von ihren Ärzten falsch behandelt worden.

Welch fatale Wissenslücke muss es da wohl unter Medizinern geben?!

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Für FrauenBlog von Dr. med. Beat Schaub, Swiss Iron Health Organisation SIHO

Dr. med. Beat Schaub
Erstes Ärztliches Eisenzentrum, Binningen (www.eisenzentrum.org)
Swiss Iron Health Organisation SIHO, Basel (www.siho-global.org)
Praxisstudie der SIHO (www.eurofer.ch)

In Kürze sind die Beiträge auch in englischer und russischer Version verfügbar. Wir informieren Sie sobald es soweit ist.