Eine Therapie für Aristoteles
Melanie Summer
Dumont, 2016
978-3832197964
19,99 €
Rezensiert für:
Aristoteles »Aris« Thibodeau ist zwölfeinhalb Jahre alt. Nein, sie ist kein Junge. Und ja, sie ist zu Höherem berufen. Leider steckt sie seit dem Tod ihres Vaters in einer eher mäßig interessanten Kleinstadt fest, wo sie sich um das desolate Liebesleben ihrer Mutter kümmern muss. Nicht zu vergessen ihr Job als Koerzieherin ihres kleinen Bruders Max, für dessen Therapie das gesamte Geld der Familie draufgeht.
Zum Glück hat Aris einen Plan. Mithilfe des Ratgebers ›Schreiben Sie einen Roman in 30 Tagen!‹, den ihre Mutter ihr als Therapieersatz in die Hand gedrückt hat, will sie einen Bestseller schreiben. Inhalt des Buches: ihre charmant dysfunktionale Familie. Wenn nur ihre Mutter endlich die Finger vom Onlinedating lassen würde, dann könnte sie erkennen, dass der perfekte Mann für sie der Handwerker und Nanny-Ersatz Penn Mac-Guffin ist. Und Aris hätte zumindest schon mal den romantischen Strang ihres Plots in der Tasche (und einen Vater im echten Leben). Als jedoch ein Unfall einen düsteren Teil der Thibodeau-Familienhistorie enthüllt, muss Aris einsehen, dass manches im Leben – genauso wie in der großen Literatur – nicht exakt so verläuft, wie es geplant war
Erst einmal bin ich einem Irrglauben aufgesessen. Ohne, dass ich den Klappentext las, begann ich dieses Buch und war ziemlich überrascht. Ich dachte immer, das Aristoteles ein Männername sei. Heutzutage jedoch ist es völlig egal, wie das Kind heißt und somit ist Aristoteles in dieser Geschichte ein Mädchen. Sie wird Ari genannt, ist in den ersten Zeilen ein aufgewecktes Mädchen und sie erinnert mich leicht an andere Protagonistinnen aus Jugendbüchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe.
Ari hat eine verrückte Familie. Ihre Mutter, die oft nicht aus dem Bett kommt und keinen Freund hat, ist schon ein besonderes Kaliber. Sie lehrt Anglistik, hat aber keinen Doktor gemacht. Sie mag ihre Studenten und setzt sich für sie ein. Gleichzeitig hat sie ein Problem mit der Stadt, in der die Familie lebt. Weder mögen sie eine Footballmannschaft, noch gehören sie einer Kirche an. Von Anfang an steht fest: Das kann nur besonders werden. Aris kleiner Bruder schlägt sich leider immer selbst und ist ein hyperaktives Kind. Wenn er nicht gerade einbeinig um den Tisch hüpft, schreit er “Versager” und nervt Ari.
Aristoteles möchte nicht nur aufgrund ihres Namens eine Therapie, die sie aber von ihrer Mutter nicht bezahlt bekommt. Da kommt der Ratgeber: “Einen Roman in 30 Tagen schreiben” gerade recht. Ari ist Feuer und Flamme und beginnt eine Geschichte zu schreiben, in der SIE die Hauptrolle spielt. Sie baut Rückblenden ein, ihre Freunde, Hunde und Abenteuer, die eigentlich gar nicht passieren, denkt sie.
Das Mädchen ist oft der Meinung, dass ihr Leben langweilig ist. Dabei sind es gerade die kleinen Freuden und großen Probleme, die ein Leben lebenswert machen. Ari denkt über ein Leben nach, das sie nicht führt. Es wartet viele Geheimnisse auf sie, auch in ihrer eigenen Familie. Irgendwann zwischen Hauptteil und Abgesang habe ich Ari aber leider verloren. Sie beginnt viele Listen in das Buch mit aufzunehmen, malt einige Dinge hinein und fügt auch SMS-Gespräche mit ein. Es wurde mir zu viel. So viele Besonderheiten in einem Roman, damit kann ich leider nicht umgehen. Ich wusste nicht, ob ich mich auf Ari konzentrieren soll oder auf ihre Familie. Im Verlauf der Geschichte tauschen noch ihre Großeltern auf, neue Freunde ihrer Mutter und sie trampt irgendwohin. Alles zusammen hat zwar einen aufregenden Roman ergeben und am Ende gibt es auch ein paar Sätze, die wir als Moral der Geschichte abheften können, aber es war insgesamt zu viel. Wichtige Kleinigkeiten gingen im Wust der Probleme unter. Nebenfiguren bekamen einen viel zu großen Raum und versteckten Aristoteles und ihre Familienprobleme. Der für mich gesetzte Höhepunkt, Aris Erkenntnis, dass im Leben nicht alles gut ist, kam viel zu kurz.
Insgesamt ist der Roman aber eine frische Idee in der Buchwelt. Aristoteles ist eine kleine, freche Dame, die ihre Familie über alles liebt und viel Fantasie besitzt. Weniger wäre mehr gewesen – jedenfalls für mich. Dennoch würde ich drei Bücherpunkte für einen soliden Roman vergeben, dessen Beweggründe gut sind.