Statistik ist manchmal gar nicht so leicht. Nicht nur, weil es jede Menge mehr oder weniger komplizierte Formeln gibt, sondern auch weil man bei der Interpretation von Daten immer noch etwas mitdenken muss. Wie schwer es ist, Armut oder Arbeitslosigkeit zu messen, habe ich bereits mehrfach gezeigt und auch der nächste Beitrag wird sich wohl wieder darum drehen. Auch dass selbst die Interpretation von Einwohnerzahlen nicht immer einfach ist, habe ich bereits gezeigt (nämlich hier).
Aktuell lese ich einen Roman, der im alten China spielt und ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, parallel auch immer etwas über das Land zu lesen, in diesem Fall über China. Auch wenn das Buch in der Vergangenheit spielt, so bin ich dabei auch über Daten zum modernen China gestolpert und habe festgestellt, dass es dort eine Stadt mit offiziell 30 Millionen Einwohnern gibt, nämlich Chongqing (romanisiert Tschungking).
Verleiche kaum möglich
Nun wissen wir in Europa meist wenig über China. Das Land ist weit weg und sehr, sehr groß. Außerdem ist seine Filmindustrie hierzulande nicht so erfolgreich wie die der USA, weshalb wird Städte wie Pasadena mit 137.000 Einwohnern oder Santa Fe mit 68.000 Einwohnern kennen (letztere auch wegen der gleichnamigen, 1995 fusionierten Eisenbahn), Chongqing aber nicht.
Plan der Stadt Chongquing. Orange und vergrößert die Kernstadt, rot das Umland. Große Teile, vor allem in den Regionen Qianjiang (hellblau) und Wanzhou sind ländlich geprägt. Bild: „ColorChongqingMap“ von ASDFGH aus der englischsprachigen Wikipedia.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, dass sich nämlich die Einwohnerdaten international kaum vergleichen lassen, wenn man die Daten zu den administrativen Einheiten nimmt und Chongqing dann auch nicht die größte Stadt der Welt ist. Der Vergleich USA-Volksrepublik China bietet sich hier an, denn während im Westen kaum eingemeindet wurde, war man in der Volksrepublik sehr großzügig. So verteilen sich die 30 Millionen Einwohner von Chongqing auf eine Fläche, die etwa so groß ist wie die des Landes Österreich. Ein Großteil davon besteht aus ländlichen Gegenden, die überhaupt nichts Städtisches haben die selbst bei großzügiger Betrachtung nicht mehr zum Ballungsraum gehören. Ganz anders als in den USA, wo die eigentliche Stadt oft nur ein kleiner Teil des Ballungsraumes ist.
Unterhalb der Stadt Chongqing gibt es Stadtbezirke und Kreise, die wieder aus verschiedenen Gemeinden bestehen. Zieht man die ländlichen Gebiete ab, hat die Stadt rund 7,7 Millionen Einwohner, lässt man auch die Vororte weg und betrachtet nur das Stadtgebiet mit dichter Bebauung sind es rund 4,3 Millionen Menschen. Das sind immer noch mehr als Berlin (Ballungsraum: 4,2 Millionen, Stadt 3,4 Millionen), weshalb man sich den Namen merken sollte. Aber eben nicht die größte Stadt der Welt mit 30 Millionen Einwohnern.
Eine Stadt so groß wie die alte BRD
Noch deutlicher wird das an der Stadt Hulun Buir in der Inneren Mongolei. Die ist nämlich von der Fläche größer als es die alte Bundesrepublik war, dort leben aber nur 2,7 Millionen Einwohner, etwa so viele wie allein im Ballungsraum München. Sehr städtisch geht es dort also nicht zu. Vielmehr wurde die gesamte Innere Mongolei, von der Fläche rund dreieinhalb Mal so groß wie Deutschland, in zwölf Bezirke eingeteilt, neun davon nennen sich Stadt, sechs davon sind größer als Baden-Württemberg.
Die "Stadt" Hulun Buir im Winter. Foto: Charlie Luan (cc)
Die Stadt in der Stadt
In vielen Statistiken zu Großstädten taucht Hulun Buir deshalb nicht auf, stattdessen aber Zalantun (rund 440.000 Einwohner) oder Yakeshi (400.000 Einwohner), die sich ebenfalls Stadt nennen und kreisfreie Städte innerhalb der Stadt Hulun Buir sind.
In der Republik China, meist Taiwan genannt, sieht es übrigens anders aus. Hier wird der Begriff Stadt ähnlich wie bei uns verwendet. Allerdings ist man auch hier großzügiger mit Eingemeindungen und Zusammenlegungen. 2010 wurde beispielsweise der Landkreis Taipeh in die Stadt Neu-Taipeh umgewandelt und damit auf einen Schlag zur größten Stadt des Landes. Allerdings ist die Region zum großen Teil tatsächlich (vor-)städtisch. Auch in Deutschland sind ja einige Landkreise, vor allem im Ruhrgebiet oder im Umland von Großstädten dichter, besiedelt als manche kreisfreie Stadt, beispielsweise wohnen im Landkreis München pro Quadratkilometer mehr Menschen als in der Stadt Ansbach.
Die Interpretation von Daten erfordert also auch immer etwas Hintergrundwissen, weshalb ich zuversichtlich bin, dass auch in den nächsten Jahren automatisierte Auswertungsprogramme die Arbeit von Statistikern nicht überflüssig machen werden.
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