Eine Seefahrt, die ist schwankend – Citycruise auf der Ostsee zwischen Stockholm und Tallinn.

Von Eva Grossert @HiddenGemReise

Zack! Überraschend bin ich hellwach. Es muss weit nach Mitternacht sein, doch richtig dunkel ist es nicht dort draußen. Keineswegs verwunderlich, Ende Mai ist Mittsommer in Skandinavien nicht allzu fern.

Ein unregelmäßiges Motorengeräusch hat mich geweckt und das Kinoprogramm ist unverzüglich in vollem Gange. Mein Kopfkino spult den neusten Blockbuster-Katastrophenfilm ab.

Ich gehe meinen detailliert ausgetüftelten Evakuierungsplan noch einmal im Geiste durch. Die Notfallanweisungen an der Kabinentür mit entsprechenden Rettungswegen habe ich auswendig gelernt und auf dem Schiff bin ich jedes Deck mehrmals abgelaufen (aus Neugierde und Entdeckerdrang sei zu meiner Verteidigung gesagt) und doch werde ich wohl keine Chance haben. Wir sind mitten auf der tödlich kalten Ostsee zwischen Stockholm und Tallinn, ein rettendes Ufer ist meilenweit entfernt. Rettungsboote habe ich nur 6 Stück gezählt und es sind Hunderte Passagiere auf dem Schiff – kaum Kinder, dafür viele „Alte“. Wir sind ohne Tochterkind (das arme Ding, es wird als Vollwaise bei Oma und Opa aufwachsen müssen!) unterwegs, müssen uns also hinten anstellen.

Ich habe keine Ahnung, warum ich, ausgestattet mit einer lebhaften Fantasie, es mir in Anbetracht dieser Tatsache antue, vor dem Zubettgehen das Kapitel über das tragische Estonia Unglück von 1994 im Reiseführer nachzulesen.

Das ist meiner übersprudelnden Vorstellungskraft nicht zuträglich!

Je länger ich wach liege, desto mehr Pragmatismus und Relation kehrt zurück. Wir haben das ruhige Gewässer der tausenden (übrigens spektakulären, die muss man gesehen haben!) Schäreninseln längst verlassen und sind nun auf hoher See. Selbstverständlich schwankt auch eine große Kreuzfahrtfähre.

So ein Meer hat nun einmal Seegang und gewiss lässt dieser durch das Auf und Ab die Motorengeräusche vermeintlich unregelmäßiger erscheinen. Und überhaupt ist so ein Schiff statistisch gesehen das sicherste Verkehrsmittel. Ich habe, gewissenhaft, wie ich bin, im Vorfeld recherchiert und nichts Entsprechendes über ein Fährunglück der Tallink Silja Flotte, mit der wir unterwegs sind, finden können.

Während ich mir diese Argumente Mantrahaft vorbete, sinke ich scheinbar wieder in einen tiefen Schlaf, denn als ich das nächste Mal blinzle, nähern wir uns bereits Tallinn.

Warum schmeißen die uns nicht um 6 Uhr morgens mit plärrender Lautsprecheransage aus dem Bett, wie ich das von der Sardinienüberfahrt kenne? Wir haben in der Zeitplanung nämlich nicht berücksichtig, dass uns Tallinn um eine Stunde voraus ist. Jetzt heißt es aber wirklich Gas geben, denn wir wollen noch mit Meerblick frühstücken. Das Buffet hat eine Menge zu bieten. Außerdem steht auf der morgendlichen Agenda, die Hafeneinfahrt in Tallinn live vom Sonnendeck bzw. heute Regendeck mitzuerleben. Vom Meer aus gesehen soll sich Tallinn angeblich von seiner besten Seite zeigen.

Dann Hals über Kopf die Kabine räumen. Auch das kenne ich aus Sardinien. Dort scharrt der Putztrupp ungeduldig in den Startlöchern und stellt zur Not die Koffer vor die Tür, wenn es brennt. Und das tut es erfahrungsgemäß bereits 2 Stunden vor Ankunft.

Doch hier drängt uns niemand, das Schiff tunlichst geschwind zu verlassen. Die Esten haben Entspanntheit für sich gepachtet. Ein Großteil der Fahrgäste macht keinerlei Anstalten, das Schiff überhaupt verlassen zu wollen. Es wird bis kurz vor dem Anlegen im Duty Free geshoppt, was das Zeug hält und in den Café Bars herrscht noch reger Betrieb.

Die lustigen Schweden auf Junggesellenabschied sind wohl eben erst aus der Disco gestolpert.

Nur wir Deutschen stehen schon in Reih und Glied vorm Ausgang. Aber wir haben ja auch einen straffen Plan und der heißt, ganz Tallinn in 48 Stunden entdecken.


Und nun mal Butter bei die Fische – Die Fakten:

Eine Schiffüberfahrt oder fast schon Mini-Kreuzfahrt ist, auch wenn es manchmal schwankt, die perfekt Art und Weise, Skandinavien und die baltischen Städte bequem zu erkunden. Von Stockholm nach Tallinn fährt man über Nacht. Die Fähre legt um 17.30 Uhr ab und man ist morgens um 10.00 Uhr in Tallinn.

Das Einchecken funktioniert problemlos am Automaten oder Schalter und es reicht, wenn man eine halbe Stunde vor Abfahrt eintrifft – wer mit dem Auto übersetzt, muss früher da sein.

Kein nerviges Boarden und Sicherheitsgedöns wie am Flughafen. Nur den Ausweis nicht vergessen, wir wurden bei der Ankunft in Tallinn routinemäßig kontrolliert.

An Board gibt es kulinarisch was das Herz begehrt und noch vieles mehr. Wer es mag (ich brauche es nicht, mir reichen der Ausblick und das Meer) kann sich auch rund um die Uhr entertainen lassen. Es gibt ein vielfältiges Live-Programm, Bars, Disco, Casino und logischerweise in Anbetracht der geografischen Lage auch Sauna.

Wir waren mit der Tallink Silja Linie unterwegs. Der Anbieter verbindet ganzjährig die Länder Finnland, Schweden, Estland und Lettland.

In diesem Sinne, handhabe ich es wie Peter Licht: Wenn ich nicht hier bin, bin ich (bald wieder) auf‘m Sonnendeck.


Bilder: ©Hidden GEM Travelblog


Disclaimer
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Ich danke Tallink Silja für die Einladung auf diese heitere Seefahrt und für den grandiosen Grundgedanken. Nie wäre ich selbst auf die Idee gekommen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und zwei lang ersehnte Städtetrips auf diese Weise miteinander zu verbinden.