Von Marc Schanz
Ökonomie mochte ich noch nie. Über Wirtschaftsthemen zu diskutieren ist so unterhaltsam, wie im Altenheim an einer Diskussion über die aktuellen Trends der Volksmusik teil zu nehmen. Die Gesprächspartner beider Diskussionsrunden versprühen in etwa das gleiche Charisma. Doch seit dem Ausbruch der Krise hat sich das grundlegend gewandelt, die Ökonomie ist so richtig spannend geworden und ich befasse mich gerne mit ihr. Der Grund ist: es werden nirgends so schöne Märchen erzählt wie in der Ökonomie! Selbst Magie und Zauber sind in den schnöden Zahlenkolonnen zu finden und übertreffen bisweilen jedes Harry Potter Buch.Die populärste Geschichte aus dieser märchenhaften Traumwelt lautet: die Austerität ist eine Wundermedizin, sie vermag nicht nur sämtliche Krisen zu beenden, sondern sie schafft Wachstum und wird uns - wenn wir uns ihr nur leidenschaftlich genug unterwerfen - von aller irdischer Pein erlösen!
Begeben wir uns direkt in diese Märchenwelt und statten der schwäbischen Hausfrau einen Besuch ab. Ja, sie ist so bodenständig, wie wir sie uns vorgestellt haben. Ihre herausragenden Eigenschaften sind: Fleiß, ein ausgeprägter Ordnungssinn und selbstverständlich eine gehörige Portion Sparsamkeit. Siehe da, mit ihrem Mann baut sie gerade ein Häusle. Doch trotz der akkuratesten Planung beginnen die Kosten aus dem Ruder zu laufen, die Familie muss noch mehr sparen als sonst. Der Familienrat wird einberufen und gemeinsam wird beschlossen, allem überflüssigen Luxus zu entsagen. Der bereits geplante Nordsee-Urlaub wird gestrichen und diverse Anschaffungen werden erst einmal vertragt. Unsere schwäbische Hausfrau arbeitet selbstverständlich mit und verkauft auf dem Markt ihr selbst angebautes Obst und Gemüse. Alles ist wie immer, nur der Einkauf des netten Reisebürobesitzers fällt etwas dürftiger aus als sonst. Der Familie gelingt es, das Geld beisammen zu halten und nach ein paar entbehrungsreichen Jahren ist das Haus fertig gebaut und die Schulden abgetragen.
Das ist eine Erfolgsgeschichte, die jeder nachvollziehen kann! Genau so funktioniert das verantwortungsvolle Wirtschaften! Der dumme, verschuldete Staat muss das erst noch lernen - das denken viele, doch es ist ein Irrtum. Der Denkfehler liegt etwas im Verborgenen, ist jedoch nicht sonderlich schwer zu verstehen. Die schwäbische Hausfrau kann sparen, weil ihre Ausgabenkürzungen andere Wirtschaftsteilnehmer betreffen, mit denen sie ansonsten nur geringe oder keine weiteren wirtschaftliche Beziehungen unterhält. Der gestrichene Urlaub trifft vor allem eine andere Region, nur das Reisebüro ist ebenfalls davon betroffen und dessen Einsparung trifft wiederum, aber kaum merklich die schwäbische Hausfrau. Die Einnahmen verändern sich aufgrund des Sparens demnach nur marginal.Der Staat ist wirtschaftlich immer mit allen seinen Bürgern vernetzt. Wenn der Staat seine Ausgaben kürzt, führt das bei ihm zwangsläufig zu Einnahmeausfällen. Der Staat kann also in der Regel nicht sparen, er kann nur schrumpfen. Sind die Einnahmeausfälle größer als die entsprechenden Kürzungen zuvor, dann werden die Schulden nicht verringert, sondern sie wachsen. Es kommt zu ein verhängnisvollen Teufelskreis von weiteren Kürzungen und Einnahmeausfällen, an dessen Ende der Staatskollaps steht.
Während das Sparen für eine schwäbische Hausfrau immer eine wirkungsvolle Schuldenbekämpfungsstrategie darstellt, kann sie für den Staat nicht nur wirkungslos, sondern sogar selbstzerstörerisch sein. Ich könnte jetzt eine empirische Studie zu meiner These durchführen, aber ich lasse gerne andere für mich arbeiten. Der IWF hat sich in einer Studie exakt diese Fragestellung gewidmet, das Ergebnis ist eindeutig: in einer Krise erweist sich die Kürzung von Staatsausgaben als besonders wachstumsschädlich. Jeder "eingesparte" Euro lässt die Wirtschaftsleistung um 1,60 bis 2,60 Euro schrumpfen, höhere Steuern hingegen bremsen die Wirtschaft deutlich weniger.Nach der Ideologie der Austerität sollte der Rückzug des Staates aufgrund seines Schrumpfens die zuvor gegängelten Marktkräfte freisetzen und dies solle einen enormen Wachstumsschub auslösen. Doch das ist eines der vielen tollen Märchen aus der Fabelwelt der Ökonomie. Ab und zu ist ein solches Wunder zu bestaunen, aber in der Regel führt ein schrumpfender Staat doch nur zu einer schrumpfenden Wirtschaft. Und der nicht zu besiegende Glaube, dass dieses Wunder auch in der Euro-Krise irgendwann statt finden wird, ist ebenso rational wie ein Regentanz: klar, er funktioniert, ich muss nur lange genug tanzen - zur Not eine Ewigkeit.Auch ein Staat kann sparen ohne zu schrumpfen, aber unter völlig anderen Rahmenbedingungen wie eine schwäbische Hausfrau. Er kann zum Beispiel bei Ausgaben, die ausschließlich ins Ausland fließen, seine Kosten senken. Es ist einer der größten Skandale der europäischen Austeritätspolitik, dass Kürzungen oder Zahlungsaufschübe bei militärischen Anschaffungen Tabu sind. Es ist nämlich einer der wenigen Posten im Staatshaushalt, der gefahrlos gekürzt werden könnte.
Ich habe mein Möglichstes getan, um den Irrsinn der europäischen Austeritätspolitik so zu erklärt, dass zumindest die intelligenteren unter den Ökonomen und Journalisten die schwäbische Milchmädchenrechnung verstehen können. Also, können wir bitte die Märchen wieder Märchen sein lassen und uns der Realität zuwenden? Können wir einfach mit diesem ganzen Wahnsinn aufhören? Danke!