Ein Toter auf Tournee, die Wodkapulle in der Hand, eine Kippe in der anderen. Shane MacGowan hat keinen Zahn mehr im Mund, aber ein dickes Silberkettchen an der Hand. An die Texte seiner alten Hits erinnert sich der 52-jährige Mann am Mikrophon der irischen Folkpunk-Band The Pogues heutzutage nur noch gelegentlich, der Rest der Strophen rockt er einfach mit dunkel hervorgebrabbeltem Genöle zu. Das sorgt schnell für Stimmung beim Auftritt der absenten Legende auf der Leipziger Parkbühne. Das Banjo klimpert, der Bass marschiert, MacGowan trinkt Wodka aus einem Plastikbecher und atmet ein, indem er eine Zigarette an die eingefallenen Lippen hält.
Eine Ruine, ja. Aber was für eine! Seit die ostdeutsche Rockikone Klaus Renft daran ging, seine großen Liedwerke mit uneingestöpseltem Bass und seligen Lächeln live aufzuführen, ist soetwas nicht mehr dagewesen. 34 Jahre nachdem der junge Shane dadurch berühmt wurde, dass ihm eine benachbarte Pogo-Tänzerin bei einem The Clash-Konzert ein Segelohr abbiss, was den New Musical Express zur Zeile "Cannibalism at Clash Gig" inspirierte, ist das Ohr unübersehbar wieder dran, aber der Lack ist ab. The Pogues klingen heute so, wie sie damals klingen wollten: "Streams Of Whiskey" ist ein apokalyptischer Abgrund aus zwischen Musikern und Sänger nur gelegentlich abgesprochen scheinenden Tönen, "A Pair Of Brown Eyes" bringt die Trümmer einer großen Ballade zum Zusammenbrechen.
Kunst, die einzigartig ist, da mag Gitarrist Phil Chevron sich auch mühen, die Auswandererschmonzette "Thousands Are Sailing" mit Gefühl zu singen und Bandgründer Spider Stacy noch so sehr versuchen, seinem besinnungslosen Nebenmann mit der Flöte den Rhythmus zu klopfen. Shane MacGowan ist heute hier, aber er ist eigentlich nicht da. Mit geschlossenen Augen zahnlost er "Dirty Old Town" und den "Irish Rover" über die Rampe, versteckt im gnädigen Halbdunkel, das die Lichtregie über den Platz am Mikro gebreitet hat wie eine fürsorgliche Schutzdecke. Sein Versuch, ein Instrumentalstück mit ein paar Schlägen aufs Becken von Drummer Andrew Ranken zu würzen, scheitert grandios an der Unfähigkeit des begnadeten Poeten, auch nur ein einziges Mal im richtigen Moment zuzuhauen.
MacGowan grinst ein nachtschwarzes Zahnfleisch-Lächeln und zieht an seiner Fluppe. Noch ein Schluck, noch eine Ansage, die gurgelt wie eine arabische Toilettenspülung. "Dujuwanamohr?", könnte er gesagt haben und natürlich wollen sie mehr, die Männer im Publikum in den irishgrünen Shirts, die überm Bauch spannen. Ganz genau nach Fahrplan kommt die ohne ihren gefeierten Vorstand immer noch verblüffend exakt musizierende Truppe zurück und gibt die "Fiesta". Spider Stacy schlägt sich energisch ein Blechtablett vor den Kopf, MacGowan kippt den letzten Schluck hinter die Binde. "Come all you rambling boys of pleasure and ladies of easy leisure", rumpelt dann ein Stück echter Resttext aus der Kanonenkehle, "We must say Adiós! until we see Almeria once again".