Der Große hatte seinerzeit auch mit 4 1/4 Jahren das erste Mal allein mit dem Papa einen anderthalb-Tage-Trip mit Hotelübernachtung gemacht und auch im vergangenen Jahr war er ein paar Tage mit dem Papa allein verreist. Zusammen mit den Aufenthalten bei den Großeltern, den 3 Kitafahrten und unseren gemeinsamen 3 Wochen Mutter-Kind-Kur im Frühjahr war er doch schon vergleichsweise oft auf Reisen, im Gegensatz zur Kleinen, die all das noch nie gemacht hatte. Deshalb hielt ich es für einen guten Ansatz, ihr das mal zu ermöglichen und einfach zu schauen, ob es etwas an ihrer Unzufriedenheit bewirkt.
Die Umstände waren für mich sehr bequem, ich buchte noch im Urlaub eine Hotelübernachtung in Rostock, in dessen Nähe wir urlaubten, und besprach mit dem Mann, dass er uns am Abreisetag dort am Zoo absetzen sollte, den ich mit der Kleinen besuchen wollte, da sie im Gegensatz zum Großen Zoobesuche und Tiere liebt. Ich sparte mir also eine Anreisestrecke, kannte das Hotel schon und die Stadt sowieso. So war ich mental entspannt, auch wenn ich etwas Bauchschmerzen bezüglich der Kleinen hatte. Denn mit ihrem schrillen Gekreische und den vielen Schimpfwörtern ist sie zur Zeit nicht gerade die ideale Reisebegleitung.
Am Abreisetag fuhren wir also vormittags nach Rostock und verbrachten zu viert noch etwas Zeit am Stadthafen, bevor sich die Männer auf die Autobahn verabschiedeten. Die Kleine und ich gingen in den Zoo Rostock, der recht groß ist, da er aus zwei Teilen besteht. Zum Glück hatte ich mir vorher schon überlegt, einen Bollerwagen auszuleihen, da ich das Gepäck ja dabei hatte und die Kleine in der Mittagszeit müde und lauffaul sein würde. Das war goldrichtig, so konnten wir fast den ganzen Zoo durchwandern. Ich hoffte, dass sie im Bollerwagen einschlafen würde, weil ich eigentlich auch eine kleine Pause brauchte, aber den Gefallen tat sie mir nicht. Besonders glücklich war sie, als wir durch das Darwineum stromerten; ein Besuch bei den Menschenaffen ist doch immer wieder ein Highlight.
Nach 5 Stunden Zoomarathon fuhren wir mit der Straßenbahn in unser Hotel. Eigentlich wollte ich unterwegs noch mit ihr essen gehen, aber wir waren zu kaputt und kauften nur ein Brötchen für's Zimmer. Im Hotel angekommen, begeisterte sie sich gleich wieder für die hoteleigenen Meerschweinchen und bestand darauf, eine Zeitlang allein bei ihnen in der Rezeption zu bleiben, während ich hoch in unser Zimmer ging. Zuletzt waren wir zur Beerdigung meines Schwiegervaters dort gewesen. Ich war sehr müde und als sie schlief, las ich nur noch eine Weile im dunklen Zimmer am Handy.
Insgesamt war sie seit der Verabschiedung der Männer sehr ruhig gewesen, um nicht zu sagen scheu, was mich sehr wunderte und irritierte. Es gab klitzekleine Konfliktsituationen, aber nichts im Vergleich zu dem, was wir seit Wochen mit ihr durchmachten. Sie war wieder wie ausgewechselt, ein komplett anderes Kind. Allerdings auch anders als früher, viel zurückhaltender, unsicherer. Mir schien, als ginge es ihr nicht gut, aber sie sagte, es sei alles in Ordnung. Wahrscheinlich hat sie die ungewohnte Situation auch eingeschüchtert, vielleicht hat sie gemerkt, dass das, was sie sich gewünscht hat, doch ganz schön aufregend ist. Ich weiß es nicht. Es war jedenfalls ein für die Nerven ruhiger, aber körperlich ziemlich anstrengender Tag gewesen.
Am nächsten Morgen frühstückten wir gemütlich im Hotel und währenddessen hörte auch der Regen auf. Ich wollte eigentlich einen kleinen Stadtbummel mit ihr machen und hoffte, dass das mit ihr möglich sei. Schon nach wenigen Metern jammerte sie, dass sie nicht mehr laufen konnte. Auf einem kleinen Spielplatz fiel sie hin und danach war die Laune endgültig durchwachsen. Wir schafften es gerade mal bis knapp hinter's Kröpeliner Tor, gingen dann zu Hugendubel, um sie ein wenig abzulenken, und danach hatte sie schon wieder Hunger, so dass ich Pommes für sie kaufte. Alles in allem hatten wir eine Strecke von 15 Minuten in anderthalb Stunden zurückgelegt. Ich plante also lieber großzügig für den Weg zurück zum Hotel und zum Busbahnhof...
Ich war ziemlich enttäuscht, dass wir nicht wenigstens eine kleine Innenstadtrunde geschafft hatten. Nichts hatten wir gesehen, alles war mühsam gewesen. Wäre es eine fremde Stadt für mich gewesen, die ich kennenlernen wollte, wäre ich sehr frustriert gewesen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ihr es Spaß machen würde, mit Mama allein eine andere Stadt zu erkunden. Wir gingen zurück ins Hotel, checkten aus und machten uns auf den Weg zum Busbahnhof. Diese Strecke ging sie bereitwillig, wenn auch langsam, mit, und wir hatten noch etwas Zeit zum Essen, als wir ankamen. Ich hatte ja wohlweislich auch anderthalb Stunden Puffer angesetzt. Die Rückfahrt mit dem Fernbus war von einem vorhersehbaren Stau geprägt, der uns eine Stunde später als geplant ankommen ließ. Wenigstens schlief sie eine Stunde. Da wir nach Ankunft noch mit dem Nahverkehr nach Hause fahren mussten, waren wir vom Hotel bis zur Ankunft zuhause insgesamt 6 Stunden unterwegs gewesen, für eine reine Fahrtstrecke von etwas über 2 Stunden. Ich war sehr erschöpft und dankbar, dass es schon Abend war.
Auch an diesem Tag erschien die Kleine mir sehr ruhig und verhalten und nichts ließ auf die aktuelle "Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand"-Mentalität schließen. Wieder gab es normale kleinere Differenzen, aber keine Wutausbrüche, Beleidigungen, Schimpfwörter oder körperliche Aggressionen aus ihrem üblichen Repertoire. Ich fand es merkwürdig, sie so zu erleben, und empfand sie fast als ein wenig verstört, als hätte ihr Selbstbewusstsein einen Dämpfer bekommen. Obwohl sie mit mir, ihrer Bindungsperson Nr. 1, zusammen war, schien sie mir aus ihrer üblichen Routine und damit auch aus aktuellen Verhaltensweisen herausgerissen zu sein. Natürlich fehlte auch der große Bruder, mit dem sie sich sonst ein Scharmützel nach dem anderen liefert.
Insgesamt hatte ich nicht den Eindruck, dass diese kleine Exklusivreise nun das gewesen ist, was ihr fehlte und was sie unbedingt wollte. Dafür war sie zu verhalten gewesen, sie, die sonst immer so begeisterungsfähig ist und ihre Emotionen auf der Zunge trägt. Auf Nachfrage hat es ihr zwar gefallen, aber man hat gemerkt, dass sie ihre Selbstsicherheit nur in ihrem gewohnten Umfeld an den Tag legt. Die große Frage, ob sich nun etwas in ihrem Verhalten geändert hat, lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Denn nach unserer Rückkehr fuhr der Große eine Woche zu Oma und Opa und es war insgesamt ruhiger. Danach war sie krank und letzten Freitag hatte der Große einen Unfall im Schulhort mit der Folge Nasenbeinbruch, so dass bei uns sowieso Ausnahmezustand war. Ich werde beobachten, wie sich alles weiter entwickelt.
Obwohl ich selbst überhaupt nichts von diesem Kurztrip hatte und mich wirklich geärgert hätte, wenn ich die Stadt noch nicht so gut kennen würde, finde ich es trotzdem gut, es mal ausprobiert zu haben. So hat sie gemerkt, wie das ist und was alles dazu gehört. Mir ist bewusst, dass eine Exklusivzeit allein nicht ausreicht, um ihre generelle Lebensunzufriedenheit ("Alles ist blöd!" sagt sie ständig) umzuwandeln, und ich hätte gedacht, dass sie mehr aus dem Häuschen sein würde. Aber es ist, wie es ist, und wir haben es zumindest probiert. Mit etwas Abstand werde ich sie auch später nochmal befragen, wie sie die anderthalb Tage denn fand. Jetzt machen wir erstmal mit kleinen Exklusivzeiten im Alltag weiter. Und hoffen weiter auf Beruhigung ihres Gemüts.