Als der Zug leer war, ging der Schaffner noch durch die Wagen, aber auch er sah das Handy nicht, ebenso wenig der Mann im orangen Overall, der die Tageszeitungen zusammensammelte.
Der Besitzer des Handys wiederum erkannte seinen Verlust bereits wenige Minuten nach Verlassen des Bahnhofs. Er eilte zurück, aber da heutzutage die Züge nie mehr länger als 120 Sekunden auf einem Bahnhofperron stehen dürfen, war er schon weg. Der Mann war absolut verzweifelt, denn das Handy war für ihn wie das Ohr zur Welt, wie sein Mund, wie die Hand zu den Mitmenschen oder wie das Auge, das sich auf die Andern richtet. Er war so verzweifelt über den Verlust seiner Sinnesorgane, dass er innert weniger Stunden vereinsamte und bereits am nächsten Morgen ob der Isolation den Verstand verloren hatte, und in eine Klinik eingeliefert werden musste.
Der Mann arbeitete als Verkäufer in einem kleinen Bahnhofskiosk. Als er angekommen war, öffnete er die schweren Rollläden von seinem Kiosk und räumte die neuen Zeitschriften ein, die eingetroffen waren. Dann wartete er auf Kundschaft. Bis kurz vor neun Uhr kam ab und zu noch jemand vorbei, wollte Zigaretten oder die Tageszeitung, aber dann wurde es sehr Ruhig. Das war immer so.
Um 9:20 rief einer an, und fragte, warum er noch nicht in der Sitzung war (er erklärte es kurz). Um 9:35 rief eine nette Frau an, und verabredete sich mit ihm zum Abendessen. Um 9:42 hatte er ein längeres Gespräch (7Minuten und 37 Sekunden) in dem er einen verärgerten Kunden souverän beruhigte. Um 10:04 nahm er zur Kenntnis, dass sein Wagen nun abholbereit war. Ein Kollege rief an, wegen dem Squash Training usw.
Komisch eigentlich, dass keiner wirklich gemerkt hatte, dass er eine andere Person war. Am Schluss war sogar er selbst nicht mehr ganz sicher, wer er nun wirklich sei.
Vielleicht wird das dann so sein, wenn es in der Chirurgie möglich sein wird, den Kopf eines Menschen zu transplantieren. Bin ich dann der Andere - oder wird der Andere zu mir? Sind wir nicht sowieso schon alle gleich, und wenn wir gleich sind, dann sind wir wohl auch dasselbe.
Bilder: Siebdruck Serie 2005 / Fotografie einer Sonnenblume gerastert und in zahlreichen Farbvarianten gedruckt.
Natürlich freue ich mich immer besonders über das Teilen, aber
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