In Ägypten gibt es Pläne, die Hauptstadt neu zu errichten. Diese Idee ist nicht wirklich neu - ähnliche Anläufe gab es unter den meisten Vorgänger-Regierungen, zuletzt unter Mubarak mit dem Projekt Cairo 2050. Angesichts der Probleme der 20-Millionen Metropole, die unter anderem unter Übervölkerung, einem konstanten Verkehrinfarkt, hoher Luftverschmutzung, einem ungelösten Müllproblem und zerfallender Bausubstanz leidet, soll ein Neuanfang in der Wüste die gewünschte Erlösung bringen. Allerdings sind bisher alle Versuche, die Situation durch die Gründung von Satellitenstädten zu verbessern, spektakulär fehlgeschlagen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und unter anderem in schlechten Planungsstandards und Baugesetzen zu finden. Die meisten Projekte der Vergangenheit gehen am tatsächlichen Bedarf eines Großteils der Bevölkerung vorbei. Die Gefahr ist groß, dass es auch bei diesem neuesten Anlauf so passieren wird.
Die Innenstadt von Kairo ist heute übervölkert und von zerfallender Bausubstanz geprägt. Eine neue Hauptstadt in der Wüste soll nun die lang ersehnte Erlösung bringen. Bildquelle: Eigenes Foto.
Der Großraum Kairo, der in Summe ca. 20 Millionen Einwohner zählt, kann grob in drei Bereiche unterteilt werden, die sich in ihrer Siedlungsstruktur unterscheiden: Die Kernstadt Kairo, bestehend aus dem Governorat Kairo und Giza-Stadt, ist eine gewachsene, geschlossene urbane Fläche. Das Gebiet umfasst auch informelle Siedlungen auf ehemaligem, wertvollen Bewässerungsland und hatte 2006 etwa 11,7 Millionen Einwohner.
Ein weiteres Teilgebiet ist das periurbane Kairo, bestehend aus neun ländlichen Distrikten, sog. „marakiz“ im Übergang zwischen urbanem und ländlichem Raum. Das Gebiet besteht aus alten Dorfkernen auf fruchtbarem Agrarland, die durch die enorme Bevölkerungszunahme und meist informellem „Infill“ zu großen, teilweise zusammenhängenden Siedlungsgebieten herangewachsen sind.
Der dritte Teil des Großraums ist die Wüste und die dort gelegenen acht neuen Städte. Diese bestehen einerseits aus geplanten Wohnsiedlungen für Fabrikarbeiter und andererseits aus ausgedehnten "Gated Communities", die vor allem auf die Oberschicht als Käufer abzielen. Beide Bereiche sind von grassierendem Leerstand geprägt. 2006 hatten die neuen Städte zusammengenommen etwa 602.000 Einwohner. Für diese relativ geringe Zahl an Einwohnern wurde in den letzten Jahrzehnten ein Großteil der Mittel zur Stadtentwicklung aufgebracht. Zur Entlastung der Innenstadtbereiche hat dies nicht beigetragen. Man kann die meisten Satellitenstädte heute als gescheitert ansehen.
Die Gründe hierfür habe ich vor 4 Jahren in meiner Diplomarbeit untersucht, die sich auf die Entwicklung der Gated Communities konzentriert, die nach der Privatisierung großer Landflächen unter Mubarak eingesetzt hat. Die Fragestellung lautete: In wiefern können diese Gated Communities eine nachhaltige Stadtentwicklung darstellen? In Teilfragen aufgelöst, ergaben sich unter anderem die folgenden Fragestellungen:
- Können diese Projekte die Wohnungsnot großer Bevölkerungsteile lindern? (Soziale Nachhaltigkeit)
- Sind diese Projekte ökologisch - insbesondere angesichts der Wasserproblematik im Großraum Kairo - mit den Voraussetzungen in der Region vereinbar? (Ökologische Nachhaltigkeit)
- Sind die Investitionen in die neuen Städte ökonomisch sinnvoll? (ökonomische Nachhaltigkeit)
- Zu meiner Diplomarbeit auf academia.edu geht es hier
Auch wenn die derzeitige Planung einer neuen Hauptstadt für Ägypten noch in den Anfängen steckt - der vorgelegte Plan ist das Ergebnis eines wenige Monate währenden "Brainstorms" - angesichts der gemachten Versprechen ist mit einer Wiederholung vieler der genannten Fehler zu rechnen. So wird die Fläche der neuen Stadt mit ca. 700 km² (etwa die Fläche Singapurs) angegeben. Die Visualisierungen sehen eine relativ gering verdichtete, riesige urbane Fläche vor, mit einigen Büro-Hochhäusern im Zentrum. Eingefasst sind diese großflächigen Gebiete von üppigen Grünanlagen, die einen ähnlich extremen Wasserverbrauch verursachen dürften, wie die in den Gated Communities angelegten Golfplätze und Grünflächen. Bei den großen Distanzen werden hypermoderne öffentliche Verkehrsmittel angekündigt, die aber kaum die gesamte Fläche der geplanten neuen Hauptstadt abdecken werden.
Zahlreiche der bestehenden Satellitenstädte leiden unter einer unvollständigen Infrastruktur - in manchen Gegenden wurden die Straßen fertig gestellt, aber niemals Strom- oder Wasserleitungen verlegt. Andere Gebiete verfügen über keine Einkaufsmöglichkeiten oder öffentliche Einrichtungen wie Schulen. Der Bau einer gänzlich neuen Stadt für 5 Millionen Menschen wird ähnliche Probleme verursachen - eine solche Stadt "zum Leben zu erwecken" und es nicht bei einzelnen Prestige-Bauten in der Wüste zu belassen, dürfte am Ende die größte Herausforderung darstellen.
Im Netz gibt es zahlreiche Informationen zur aktuellen Stadtentwicklung Kairos:
- Über die geplante neue Hauptstadt auf Guardian cities - Zum Umgang mit informellen Wohnvierteln in Kairo auf Tadamun.info
- Zur gescheiterten Vision Cairo 2050 aus dem Jahre 2008
- Zu den mysteriösen Prozessen der Stadtplanung in Kairo am Beispiel der Umgestaltung von Alt-Kairo auf Tadamun.info