Etwas wie "Auf einem Bein steht man schlecht" scheint sich Würger vielleicht gedacht zu haben, denn am 11. Januar 2019 ist bereits sein zweites Buch erschienen: Stella, ein Roman, der sich auf fiktive Weise um die Jüdin Stella Goldschlag rankt, die es tatsächlich gegeben hat. Stella hat den Versprechungen der Nazis geglaubt, dass diese ihre Eltern von der Deportation ins KZ verschonen würden, wenn sie dafür untergetauchte Juden verriete. Würger siedelt die Handlung im Jahr 1942 an. Eine weitere wichtige Person ist der 19-jährige Friedrich, den es zu dieser Zeit aus dem schweizerischen Dorf Choulex am Genfer See nach Berlin zieht. Friedrich verliebt sich in Stella, die sich Kristin nennt und ihm ihre wahre Identität erst später verrät. Seine Mutter, die aus Deutschland stammte, hatte ihm schon als Kind vermittelt, dass sie von Juden nichts hält. Der Autor erzählt auch, dass Friedrich im Alter von sieben Jahren für ein geringes Vergehen von einem Kutscher mit einem Ambosshorn so schwer verletzt wurde, dass seine rechte Gesichtshälfte für den Rest seines Lebens entstellt war. Der Kutscher sprach schwer verständliches Urnerdeutsch, was in der Gegend um den Genfer See nicht sehr geläufig war.
Eine Freundin fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, sie
©: Christian A. Schröder/Lizenz: siehe unten
Vermutlich hatten die meisten Menschen im Saal mitbekommen, dass die Buchkritiker eimerweise Jauche über dem Roman ausgeschüttet hatten. Die um eine positive Atmosphäre bemühte von Schwarzkopf betonte dann auch zu Beginn, dass ja die Kritik nicht immer erfreulich ausgefallen sei, aber man sich doch lieber selbst ein Urteil bilden solle, nachdem man das Buch gelesen habe. Na ja, mein guter Wille, das zu tun, war zu diesem Zeitpunkt noch da. Doch dann ging es schon früh etwas seltsam weiter: Frau von Schwarzkopf fragte Würger, wie er denn auf den Ort Choulex als Friedrichs Heimatdorf gekommen sei. Seine Antwort: Er habe ein bisschen bei Google Maps geguckt, welcher Ortsname sich gut anhört, und dieser habe ihm gut gefallen. Aha.
Wenige Minuten später wurde dem Autor die nächste Frage gestellt, auf die er offenbar nicht vorbereitet war: Wie hört sich eigentlich Urnerdeutsch an und was macht es für andere Schweizer so schwer verständlich? Würger räumte nun ein, selbst keine Ahnung zu haben, worum es sich bei diesem Dialekt genau handele und auch nicht, wie er klingt. Ein Herr eine Reihe vor mir schüttelte missbilligend den Kopf, meine optimistische Grundhaltung verdüsterte sich.
Im weiteren Verlauf des Abends habe ich gelernt, dass Würger reichlich Aktenstudium betrieben und Museen besucht hat, um möglichst viel über Stella Goldschlag herauszufinden, sich beim Schreiben von ihrer Person jedoch wieder gelöst hat, da er ja einen fiktionalen Roman verfassen wollte. Soso. Wie es dazu passt, dass sich auf dem Buchcover ein Porträtfoto der tatsächlichen Stella findet, erschließt sich mir nicht.
Immer wieder hatte ich den Eindruck, dass Margarete von Schwarzkopf und Takis Würger sich nicht ausreichend auf diesen Abend vorbereitet hatten. Auf manche Fragen folgten sekundenlange Pausen, in denen Würger sich eine passende Antwort überlegte oder sich ständig mit "Ähs" behalf. Meine Freundin raunte mir einmal zu: "Wenn da noch mehr Ähs kommen, verliere ich den Faden." Sie hatte recht, diese Unsicherheiten gab es deutlich zu oft. Aber warum? Takis Würger kennt die Situation schon von der Lesereise für Der Club, der Temin in Hannover für Stella war bereits der fünfte, danach sind noch 42 weitere geplant. Waren die vielen Zuschauer ungewohnt? Das ist möglich, aber ich hatte gerade von einem gelernten Journalisten (Würger ist Redakteur beim SPIEGEL) mehr Professionalität erwartet.
Die Chancen, dass ich Stella kaufen werde, stehen jetzt eher schlecht. Das Konzept, das in Würgers Buch mündete, machte auf mich einen unausgegorenen Eindruck.
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