Eine gelobte Rede und ihre Gehaltslosigkeit

Mit etwas zeitlichem Abstand zur Goldenen Kamera lässt sich sagen: Ja, Respekt vor Dunja Hayali! Sich täglich aufzurappeln, obgleich man den Hass dieser unterversorgten Bürger (mehr so geistig betrachtet) frontal zu spüren bekommt, das bedarf schon eines starken Charakters. Aber nein, so romantisch wie sie es dann bei ihrer Rede ausgemalt hat, war es niemals. Journalisten machen eben nicht nur immer mal Fehler, sie berichten oftmals zielgerichtet und vertreten nicht unbedingt die Wahrheit, sondern die medialen Belange von Interessensgruppen und Lobbyverbänden. Und es ist eben nicht so simpel, wie ihr Appell suggerieren wollte: Einfach mal das Gespräch mit Journalisten suchen und mit diesen um Argumente zu streiten, das klappte bei einer ganzen Reihe von Themen über Jahre hinweg überhaupt nicht. Das heißt aber natürlich auch wiederum nicht, dass es die von langer Hand geplante Lügenpresse gibt.

Wir hatten schon mal besorgte Bürger in diesem Land. Sie vereinigten sich dann in einer neuen Linkspartei. Das war auch - oder vor allem - eine Folge der Neoliberalisierung dieser Republik. Diese neue linke Partei wollte auch um Argumente streiten. Mit den anderen Parteien und nicht zuletzt mit den Medien, die viele Jahre lang die Agenda des neuen Reformkurses vertraten und zum Beispiel Lobbyisten als Experten in Interviews und Talk-Runden tarnten und so Objektivität vorspielten. Der Jauch hat das mehr oder minder bis zuletzt so gehandhabt. Die Linke wurde aber wenig bis gar nicht eingeladen. Und wenn, dann wurden ihre Argumente heruntergespielt und verlacht. Ihre Protagonisten wurden zu infantilen Politgestalten degradiert und verspottet. Eine Einladung zum Dialog, wie Hayali das so romantisch ausformulierte, gab es eher nicht. Man vertrat eine Leitlinie und strafte die Gegner dieses Kurses mit Nichtachtung, mit zynischem Humor oder Kriminalisierung.
Bei vielen Themen war diese Haltung der Ignoranz, ja auch gezielte Manipulation und Unterschlagung - vielleicht nicht der Wahrheit grundsätzlich, aber die Unterschlagung des neutralen journalistischen Standards ganz sicher - außer Kraft gesetzt. Es ist eben nicht so, wie Hayali das in ihrer letzte Woche gefeierten Rede deklarierte, dass nämlich Journalisten sich als Menschen einfach nur ab und zu irrten. Nein, sie verwirrten - als Berufsstand. Man nehme die Ukraine und die Treiberei hin zu einem Konflikt mit Russland als prominentes Beispiel. Passenderweise ist dann auch ein ehemaliger ZDF-Mann der Regierungssprecher, was die Melange aus Berichterstattung und Politik nachhaltig unterstreicht und zeigt, dass es nicht immer so niedlich abläuft, wie Hayali das so emotional skizzierte.
Mit welchen Argumenten bitte hätte man der die Glorifizierung der Bundeskanzlerin in den Medien entgegentreten sollen? Wo wurden die Gegenargumente zu ihrem Griechenland- und Europakurs ausgebreitet und hätte laute Widerrede Journalisten auf irgendeine Weise beeinflusst? Gegenstimmen gab es faktisch keine, nur in den Nischen des Medienbetriebes. Der Mainstream aber schwieg oder hagiographierte mit. Auch Hayalis Morgenmagazin hat zwar hin und wieder auf das Leid der Bevölkerung hingewiesen, aber dann auch die Alternativlosigkeit manifest gemacht in seinen Berichten. Bewegte sich der Journalismus, ließ er sich argumentativ treiben?
Natürlich steckt hinter all dem, was medial schiefging und noch schiefgeht, nicht der große Plan von langer Hand einiger alter Damen und Herren, die alle Medien mit Kalkül gleichschalteten. Wenn man überhaupt von Gleichschaltung sprechen kann, dann nur insofern, dass da im vorauseilendem Gehorsam »geliefert« wird. Die Gründe sind meist recht profan. Wenn man zum Beispiel den monatlichen Obolus in sechsstelliger Höhe nicht gefährden will, den ein großer Automobilhersteller mit seinen Werbeseiten in einer beliebigen Zeitung abwirft, dann will man dem Geldgeber natürlich nicht auf die Füße steigen. Wenn der dann auch noch die Agenda 2010 schätzt und befürwortet, wenn er Steuervergünstigungen möchte, dann hält man in dieser Sache eben die Füße still oder man wird sogar noch zum Erfüllungsgehilfen dieser Wünsche und Sehnsüchte. Hätte man da den Dialog mit dem Journalismus suchen sollen, mit Argumenten dagegen streiten sollen, wie Hayali das so pathetisch in den Abend gerufen hat? Einige haben es ja versucht, hatten ein rotes Parteibuch, waren aus dem linken Flügel der Sozialdemokratie (Schreiner, Ypsilanti etc.) – doch man hat nicht mit ihnen diskutiert, ihnen nicht mal ein Forum geboten. Und falls doch, dann war es nie ergebnisoffen, dann wusste man stets schon, wohin man deren Einwürfe verortete, um sie unglaubwürdig zu machen.

Die Linke (die parteiliche wie die anders organisierte oder lebende) hat in den letzten Jahren schnell ein Gefühl dafür entwickelt, dass in den Medien nicht das abgebildet wird, was tatsächlich geschieht. Sie hat begriffen, dass Argumentationslinien gar nicht erwünscht sind, weil die Medien eine Rolle übernommen haben, die mit der klassischen Diskussionskultur gar nichts mehr zu tun hatte. Deshalb haben sie aber nicht gleich »Lügenpresse, Lügenpresse!« gerufen. Sie wussten, dass es Lug und Trug gab, aber es gab Nischen, gab noch einige Journalisten, die ihren Auftrag auch erfüllten. Sicher nicht im ZDF-Morgenmagazin, sicher nicht bei den Tagesthemen oder bei Jauch. Außerdem ahnte man, dass es nicht die Lüge an sich ist, die die Presse fabriziert, sondern das Weglassen und Verschleiern, das Verschweigen von kritischen Gegenstimmen und so weiter. Anzunehmen, dass alle Medien gleich arbeiten und dieselben Ansichten hegten, ist nicht nur dumm, es zeugt auch davon, dass man nicht wirklich in der Lage ist, zwischen verschiedenen Medien und ihren Haltungen zu unterscheiden. Für solche Leute ist alles rot, auch wenn es gelb oder schwarz ist.
Man kann Hayali persönlich keinen Vorwurf machen. Ob sie eine gute oder schlechte Journalistin ist, muss an dieser Stelle auch gar nicht geklärt werden. Jedenfalls muss sie einiges aushalten. Das hat niemand verdient. Aber das Pathos an jenem Abend und das Lob in allen Zeitungen übertüncht doch letztlich, wie sich dieses Land medial aufgestellt hat in den letzten Jahren. Nein, so einfach und so romantisch ist es halt eben nicht abgelaufen zuletzt. Dass Journalismus eine offene Angelegenheit sein soll, die jedem Bürger Mitsprache sicherte, wenn er nur anklingelt und argumentativ dagegenhält, ist eine billige Mär jenes Abends bei der Goldenen Kamera. So war Journalismus nicht geplant. Das merken nicht nur die bersorgten Bürger, die dann falschen Aktionismus entwickeln, das merkten schon vorher alle, die den neoliberalen Kurs der Gesellschaftsveränderung nicht wollten.
Und dass dann auch noch Jauch am selben Abend ausgezeichnet wurde, da Hayali für die eigentliche Sauberkeit ihrer Zunft warb, spricht wirklich Bände ...

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