„Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre“, mit den Worten Freuds antwortete ich einem alten Freund, der mir sein Leid mit seinem Lebensgefährten klagte.
Was war passiert?
Das Corpus Delicti war eine Wärmflasche.
Sein Lebensgefährte sei eine Frostbeule, erklärte mir mein Freund. Das wäre ja eigentlich auch nie ein Problem gewesen – jedenfalls so lange ihr Schlafzimmer noch ein erotischer Ort war. Aber mittlerweile…
„Bei ihm auf dem Nachttisch liegen seine Tabletten gegen Rückenschmerzen und eine dicke Tube mit Pferdesalbe gegen seine Meniskusbeschwerden. Auf meiner Seite stehen auf dem Nachttisch japanisches Heilpflanzenöl gegen meine ständigen Erkältungen, neben einem Nasenspray liegt Iboprofen, daneben ein Krimi, damit ich wenigstens vor dem Schlafen noch ein bisschen etwas Spannendes erlebe… Ich komme mir schon vor wie so ein altes Heteropärchen!“, ätzte er, während ich in Gedanken die Dinge durchging, die bei meiner Liebsten und mir auf dem Nachttisch liegen.
„Vielleicht ist es auch einfach das Alter.“, sagte er dann, „Egal wo du hingehst, mit wem du auch redest, Wehwehchen überall – und leider bleibt es ja nicht dabei. Kaum eine Woche vergeht ohne Hiobsbotschaften. Der oder die hat Krebs, einen Schlaganfall erlitten, Diabetes ist ausgebrochen, Bandscheibenvorfall… Krankheiten und Tod wohin du nur siehst. Und da soll einer nicht empfindlich werden…“
Ja, das Alter… es holt einen einfach ein. Eine Freundin von ihm hätte immer gesagt: „Man muss Acht geben, die alte Frau nicht herein zu lassen!“ Und er und sein Freund, ja sie hätten wohl den alten Mann herein gelassen. So sei er, meinte er, mittlerweile, was die Wärmflasche angeht, sehr empfindlich. Ja, er hätte mittlerweile das Gefühl, die Wärmflasche stünde, bzw. läge zwischen ihnen – wäre ein Zeichen dafür, dass sie sich von einander entfernt hätten, dass ihre Beziehung an Altersschwäche leiden würde.
Früher da hätte er nie etwas dagegen gehabt, dass sein Freund irgendwann aufstand, um sich eine Wärmflasche zu machen. Wenn er denn nun einmal so schnell friert. Warum nicht. Schließlich wäre bis zu dem Zeitpunkt, an dem er die Wärmflasche benötigte, zwischen ihnen allerhand passiert. „Da war unser Schlafzimmer noch ein erotischer Ort“. Aber sehr schleichend hätte sich das geändert, dergestalt schleichend geändert, dass es ihm kaum bewusst gewesen wäre.
Erst die Wärmflasche hätte ihm die Augen geöffnet.
„Früher war es so: Wenn es ihm mitten in der Nacht doch zu warm oder die Wärmflasche ihm unangenehm wurde, dann schob er sie im Schlaf auf seiner Seite des Bettes über die Bettkante. Aber jetzt schiebt er sie mir ins Kreuz! Da wache ich auf, weil mich etwas Hartes an der Seite zwickt – und es ist die Wärmflasche, die er mir in den Rücken geschoben hat. Ein paar Mal hat er sie doch tatsächlich gegen meinen Kopf gedrückt, die Abdrücke an meiner Wange waren auch noch nach dem ersten Kaffee am Morgen nicht verschwunden!
Und jetzt sag mir“, so sagte er: „Ist das nicht ein Zeichen, dass er im Schlaf, also unbewusst, zwischen uns die Wärmflasche platziert? Als würde er Distanz schaffen wollen – oder schlimmer: Als wäre die Distanz zwischen uns schon so groß geworden, dass er gedankenlos im Schlaf die Wärmflasche in meine Richtung schiebt.“
Das war der Moment, in dem ich Freud zitierte: „Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre – und eine Wärmflasche nur eine Wärmflasche.“
Ich versuchte meinen Freund zu beruhigen. Das sei nur eine Phase. Versuchte, ihm Tipps zu geben: Räum’ doch einfach mal alle Medikamente aus dem Schlafzimmer ins Bad, stell’ stattdessen Kerzen auf, Sektgläser und mache eine Zeitreise in die erotischeren Zeiten zurück.
„Hmm, ja, eine gute Idee!“, stimmte mein alter Freund mir zu. „Ich sollte die Initiative ergreifen! Denn vielleicht ist das ja auch Zeichen, dass er es leid ist, den alten Mann in unserer Beziehung zu nähren – und so schiebt er den unbewusst mit Wärmflasche von sich. Er schiebt mir den Schwarzen Peter zu. Hier hast du den alten Mann! Vielleicht schiebt er mir ja sogar die Schuld zu: Hier hast du den alten Mann, denn du hereingelassen hast!“
Wir vertagten dann unser Gespräch. Er wolle jetzt die Initiative ergreifen, meinte er verschmitzt. Und ich wünschte ihm viel Erfolg.
Zwei Tage später rief er mich noch einmal an. Er hätte das Problem gelöst: Er hätte einen kuscheligen Überzug für die Wärmflasche gekauft. „So einen weichen Pelzüberzug mit einem Bärengesicht! Für mein Bärchen!“, meinte er. „Er hätte sich auch echt gefreut.“
Leise meldete ich eine gewisse Skepsis. Fragte nach den Kerzen, nach der Zeitreise in erotischere Zeiten. Aber er war ganz und gar auf dem „Kuschelig ist nah-Trip“, so dass er meine Skepsis überging. „Weißt Du, jetzt ist das viel besser, jetzt merk ich die kaum noch im Rücken. Außerdem: Du hast es selbst gesagt: Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre!“
Was sollte ich jetzt noch sagen?
Nachdem er aufgelegt hatte, legte ich eine Flasche Sekt in den Kühlschrank und drehte die Heizung im Schlafzimmer auf. Dann verstaute ich die Medikamente in unseren Nachttischschubladen und bestückte die Kerzenständer im Schlafzimmer mit neuen Kerzen. Meine Liebste war mit einer Freundin unterwegs. Wenn sie heimkehrt, wollte ich sie angemessen empfangen.
Eine Woche danach erhielt ich spät am Abend eine sms von meinem alten Freund.
„Du hast eine sms bekommen!“, rief meine Liebste aus dem Schlafzimmer, während ich heißes Wasser aus dem Wasserkocher in ihre Wärmflasche goss.
Die Wärmflasche in Händen ging ich ins Schlafzimmer, wo meine Liebste die zerwühlten Kissen und Bettdecken für die Nacht richtete. Die Wärmflasche noch in der einen Hand las ich die sms.
„Lass bloß nicht den alten Kerl herein. Die Zigarre war nicht nur eine Zigarre. Es ist Schluss!“
Ich war glücklich, als sich meine Liebste mehr über meine warmen Hände auf ihrer Haut freute, als über die Wärmflasche an ihren Füßen.