EINE FEE UND EIN LIEBESBRIEF

Von Hillebel

Weil Niklas sich in einer Welt, in der Geld alles bedeutet und rechtfertigt, nicht mehr wohl fühlte, hat er sehr zum Ärger seiner attraktiven und beruflich erfolgreichen Freundin Bettina seinen tollen Job gekündigt. Er entdeckt jetzt eine neue Welt …

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Niklas geleitete die nette alte Dame, für die er einen privaten Geschäftsbrief geschrieben hatte, galant zur Tür, schloss sie hinter ihr und sah durch die Scheibe zu Meikes kleinem Spielzeugladen hinüber, aus dem gerade ein kleiner Junge kam, der glücklich eine Tüte an seine Brust drückte. Ein anderer zufriedener Kunde, dachte er und musste unwillkürlich lächeln. Händereibend setzte er sich an seinen Computer, um an einem kniffligen Programm weiterzuarbeiten. Seit Jahren war er nicht mehr so glücklich gewesen bei seiner Arbeit.

Er fuhr zusammen, als die Tür aufgerissen wurde. Die darüber angebrachte Glocke bimmelte heftig.

“Ich störe doch hoffentlich nicht?” Bettinas Stimme klang leicht ironisch.

Mit schlechtem Gewissen dachte er daran, dass er sich seit Tagen nicht bei ihr gemeldet hatte und stand auf, um ihr einen Kuss zu geben. “Verzeih, ich war sehr beschäftigt.”

“Läuft dein Schreibbüro auf einmal so toll?”

“Es reicht zum Leben, aber es ist vor allem mein Programm. Ich arbeite bis spät in die Nacht daran.”

Bettina hob die Augen zum Himmel: “Programmierer, die hoffen, ihr Programm zu verkaufen, gibt’s wie Sand im Heu. Du solltest dir endlich wieder eine Stelle suchen, denn wenn du zu lange damit wartest, bist du weg vom Fenster. Herrgott, Niklas, ich weiss immer noch nicht, was in dich gefahren ist, als du so plötzlich deinen tollen Job als Informatiker gekündigt hast. Du hattest ein Traumgehalt, einen Dienstwagen …”

“Und Arbeitstage, die selten weniger als 12 Stunden hatten. Die mir vor allem keine Freude machten. Die Arbeit ödete mich an, Betty. Ganz zu schweigen von den Machenschaften der Firma. Das waren doch Geldhaie!”

“Darf ich dich daran erinnern, dass wir heiraten und bauen wollten? Sogar ein Grundstück hatten wir schon gefunden! Meine Eltern hätten uns das Geld geliehen.”

“Verzeih, Betty, ich weiss.” Er fühlte sich auf einmal sehr müde.

Sie sah ihn kritisch an: “Früher warst du anders.”

War er das? Oder hatte Bettina ihn nur anders sehen wollen? War er zu nachgiebig gewesen? Weil er Bettina liebte? Weil er wusste, wie viel materieller Komfort ihr bedeutete? Bettina verdiente selbst gut als Bankerin. Im übrigen hatte er versucht, mit ihr über seine Probleme zu sprechen, aber sie hatte ihm nie richtig zugehört.

Sie umschlang ihn mit ihren Armen: “Ich freue mich schon auf unseren Urlaub in Griechenland mit unseren Freunden Markus und Stefanie. Montag geht’s los. Ich hoffe, du hast schon gepackt?”

“Ich hatte dir doch gesagt, dass ich nicht mitkommen kann, zumal ihr euch ein Luxushotel ausgesucht habt. So viel Geld habe ich nicht.”

“Das ist doch kein Problem, ich lade dich ein.”

“Ich habe dir auch gesagt, dass ich das nicht annehmen kann, Betty.”

Sie stiess ihn plötzlich zurück: “Welch ein Egoist du doch bist. Musst du mir auch noch die Ferien verderben? Was soll ich ohne dich in Griechenland?”

Er seufzte. Wenn Bettina ihn doch nur so nehmen könnte, wie er war! “Natürlich fährst du, Betty”, sagte er warm. “Du brauchst deinen Urlaub. Ich wünsche dir gute Erholung und trotzdem viel Spass.”

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Bettina war seit zwei Wochen in Griechenland, es war warm geworden, und Niklas genehmigte sich ein Bier, als das Glöckchen über der Tür bimmelte.

“Störe ich?” fragte Meike.

“Natürlich nicht”, schmunzelte er. “Mögen Sie auch ein Bier, Meike?” Er stand schon auf, um es ihr zu holen.

Sie nahm das Glas mit einem Lächeln entgegen: “Ich bin gekommen, um mir bei einem Brief helfen zu lassen. Die Versicherung muss mir einen Schaden ersetzen, aber ich denke, dass sie zu wenig zahlen.”

Niklas sah die Unterlagen durch, setzte sich an seinen Computer, setzte das Schreiben auf und druckte es aus: “Sie brauchen nur noch zu unterschreiben, wenn der Text Ihnen zusagt.”

Meike las, war zufrieden und unterschrieb: “So gut möchte ich auch mal formulieren können”, seufzte sie zufrieden. “Was schulde ich Ihnen?”

Mit ihren porzellanblauen Augen und ihrem schulterlangen blonden Haar, das ein Sonnenstrahl wie Gold aufleuchten liess, glich sie einer Fee, fand Niklas. Er lächelte und sagte: “Den kleinen Kasper aus Ihrem Schaufenster, er erinnert mich an meine Kindheit.”

Er bekam ihn, zusammen mit einer Tasse Kaffee, die Meike vorsichtig über die Strasse balancierte. Während Niklas den Kaffee trank und sich über den Kasper mit der langen Nase freute, sah er zu, wie Meike, die rasch zurück in den Laden gelaufen war, eine Kundin bediente. Er lächelte immer noch, ohne sich dieses Lächelns wirklich bewusst zu sein, als er sich wieder an den Computer setzte, um an seinem Programm weiterzuarbeiten.

Meike machte ebenfalls keine Ferien, auch sie konnte sie sich nicht leisten. Sie hatte sich vor zwei Jahren mit Hilfe eines kleinen Erbes mit diesem Spielzeugladen selbstständig gemacht, weil sie ihre Arbeit als Bürokraft und vor allem ihren ekligen Chef gründlich satt hatte. Aber was machte es, wenn sie keine Reichtümer verdiente, sie war glücklich. Und seit Niklas sich gegenüber mit seiner Schreibstube niedergelassen hatte, ging sie doppelt so gern jeden Morgen hinunter in den Laden. Meike gestand sich ein, dass sie sich in den gutaussehenden Mann mit dem jungenhaften Lächeln und den nussbraunen Augen verliebt hatte, aber nur heimlich, denn er hatte ja eine Freundin, diese attraktive, elegante und offensichtlich beruflich sehr erfolgreiche junge Frau mit dem selbstbewussten Auftreten.

Diese junge Frau war nur schon seit zwei Wochen nicht mehr gekommen, und Niklas sah irgendwie traurig aus, trotz des schönen Wetters. Sie hatte beschlossen, ihn etwas aufzuheitern, und zu ihrer Freude war es ihr gelungen. Der Brief war eigentlich mehr ein Vorwand gewesen, denn sie hätte ihn natürlich auch selbst schreiben können.

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“Hallo, Niklas”, sagte Bettina. Ausnahmsweise hatte sie die Tür sehr sanft aufgemacht.

Er sprang auf: “Betty! Gut siehst du aus. Schön erholt und braungebrannt.”

Er wollte sie in die Arme nehmen, aber sie wich zurück: “Ich muss dir etwas sagen.”

“Ja?” Irgendwie wurde ihm kalt.

“Wir hatten doch schon darüber gesprochen, dass wir uns in letzter Zeit sehr auseinandergelebt haben, und jetzt … jetzt habe ich einen anderen Mann kennengelernt.”

“In Griechenland?”

“Ja, ein Deutscher, der im gleichen Hotel wie wir abgestiegen war. Eine glückliche Fügung, ich hätte mich sonst doch ziemlich allein gefühlt.” Es klang etwas trotzig.

Er senkte den Kopf. “Ich mache dir doch keinen Vorwurf, Betty.”

“Wie könnten Freunde bleiben”, schlug sie erleichtert vor. Und fügte rasch hinzu: “Du musst Simon unbedingt kennen lernen. Er ist Wirtschaftsmanager.”

” … und verdient einen Haufen Geld”, ergänzte Niklas.

Sie warf ihm einen raschen Blick zu, beschloss aber, sich nicht den Kopf zu zerbrechen, ob er das ironisch gemeint haben könnte. “Genau”, erwiderte sie. “Dann also bis bald.”

Er sah zu, wie sie draussen in einen schnittigen Wegen stieg. Der Mann am Steuer musste Simon sein. Niklas verspürte nicht die geringste Lust, ihn kennenzulernen.

Der Wagen war längst fort, aber Niklas starrte immer noch auf die Strasse hinaus. Vier Jahre Zuneigung und Liebe hatten ein plötzliches Ende gefunden. Ihm war bewusst, dass er mir seinem Entschluss, lieber weniger Geld zu verdienen und glücklicher zu leben, ein stillschweigendes Abkommen verletzt hatte. Als er merkte, dass er sich jetzt doch nicht auf seine Arbeit würde konzentrieren können und sah, dass Meike in der offenen Tür ihres Lädchens stand, beschloss er, auf einen Sprung zu ihr hinüberzugehen.

“Sie sind ja ganz blass”, rief sie erschrocken aus.

“Meine Freundin hat sich für einen anderen Mann entschieden. Einen Mann, der mehr Geld verdient als ich.” Es fiel ihm schwer, zu sprechen.

Meikes Augen verdunkelten sich vor Mitgefühl, dann meinte sie resolut: “Ich werde uns Kaffee kochen!”

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Nach zwei Monaten stellte Meike traurig fest, dass Niklas sich immer noch mit Erinnerungen und Schuldgefühlen plagte. Oft, wenn sie bei ihm hineinschaute, sass er teilnahmslos vor seinem Computer. Er arbeitete nicht mehr an seinem Programm, bediente zwar gewissenhaft seine Kunden, hatte aber seine Fröhlichkeit verloren und grübelte vor sich hin. Sie zerbrach sich den Kopf, wie sie ihm klarmachen könnte, dass das Leben weiterging, auch für ihn, und dass sie sich nichts Schöneres vorstellen konnte, als es mit ihm zu teilen. Plötzlich kam ihr eine Idee. Wenn es nicht klappte, würde sie wenigstens wissen, dass er ihre Liebe nicht erwiderte. Es tat weh, an diese Möglichkeit zu denken, aber sie würde mit der Wahrheit schon fertig werden.

Sie hängte das Schild: “Bin gleich wieder zurück” an die Ladentür und lief über die Strasse. Vorsichtig öffnete sie die Tür: “Hallo, Niklas.”

Er lächelte tatsächlich ein wenig: “Grüss Sie, Meike.”

“Könnten Sie mir wieder einmal behilflich sein?”

“Selbstverständlich, worum handelt es sich?”

“Um einen Liebesbrief.”

Wurde sein Blick tatsächlich etwas starr? Rasch fuhr sie fort: “Ich weiss, es ist sehr persönlich, aber ich komme allein nicht damit weiter.”

“Ich wusste nicht, dass Sie verliebt sind”, sagte er steif. “Ist das neu?”

“Nein, es geht schon eine Weile.”

“Wie sieht er aus?” Hastig fügte er hinzu: ” Sollte ich vielleicht wissen, wenn ich den Brief schreiben soll?”

“Er ist gross und breitschultrig. Er hat kurzes, gelocktes Haar und braune Augen, und wenn er lacht, schmelze ich. Aber jetzt hat er schon so lange nicht mehr richtig gelacht. Und das alles wegen einer Frau, die überhaupt nicht zu ihm passte, was er im Grunde auch weiss …”

Niklas wurde blass um die Nase. Unsicher fragte er: “Kenne ich ihn?”

“So gut, wie man sich selbst nur kennen kann.” Jetzt war es heraus. Deutlicher ging’s nicht. Die junge Frau holte tief und verzweifelt Luft.

Niklas fühlte sich wie vom Blitz getroffen. Was anderes konnte das heissen, als dass Meike ihn liebte? Und er sie, wurde ihm schlagartig klar. Hätte er sonst diesen scharfen Schmerz empfunden, als er glaubte, einen Rivalen zu haben? Ihm kam zu Bewusstsein, dass er es längst hätte merken können, an tausend kleinen Zeichen, wenn seine Probleme mit Bettina nicht alles andere überschattet hätten. Trotzdem …

“Meike”, antwortete er schwerfällig, “ich verdiene gerade genug für mich selbst und weiss nicht einmal, ob ich Erfolg haben werde mit meinem Programm.”

“Ich bin auch nicht reich und hab nicht einmal ein Programm, dass ich vielleicht verkaufen könnte, aber ich möchte mit keinem anderen tauschen.”

“Du meinst also wirklich, dass wir beide …”

“Das meine ich”, nickte sie entschlossen. Dann sah sie ihm gerade in die Augen: “Aber wenn du mich weiter alles allein machen lässt, dann gehe ich, du Depp, damit du in Ruhe weiter deine Wunden lecken kannst!”

Weiter kam sie nicht. Sie fühlte sich hochgehoben und herumgewirbelt, ehe Niklas’ leidenschaftlicher Kuss ihr einen wohllüstigen Seufzer entlockte.

ENDE