Die vergangene Schulwoche war leider geprägt durch verschiedene, mehr oder weniger „tragische Ereignisse“, die sich nur so aneinander reihten und die ganze Schule, so wie mich auch, in Aufregung brachten.
Am Montag morgen, ich sitze gerade in der 2a und helfe in der „Clase de Lengua y Literatura“ mit, kommt plötzlich die Direktorin herein und erzählt, dass die Mutter von drei SchülernInnen der Schule, in der Nacht an Herzversagen gestorben sei.
Die betroffene Familie ist sehr arm, einen Vater gibt es nicht, von nun an werden wohl die großen Geschwister auf die kleineren Kinder aufpassen, vielleicht auch noch andere Verwandte.
Die Direktorin bittet die Lehrer und Kinder der Schule, etwas Geld für die Familie zu spenden. Insgesamt 120 Cordobar bekommen wir zusammen, umgerechnet weniger als 5 Euro.
Die Schule endet an diesem Tag bereits um elf Uhr, danach machen sich alle Lehrerinnen auf, um der betroffenen Familie das Geld zu überreichen.
Wir laufen also los, durchs Barrio. Die Lehrerinnen schützen sich mit Sonnenschirmen oder Heften vor der Hitze und unterhalten sich angeregt über den Morgen.
Nach nur wenigen Minuten kommen wir an der Hütte an, in der die Familie wohnt. Eine stämmige Frau steht in der Tür, Kinder springen umher, ich erkenne die drei Kinder aus der Schule.
Dann werden wir in die kleine Hütte hineingebeten. Erst beim Eintreten stelle ich entsetzt fest, dass in der Mitte des Raumes ein Sarg steht, in dem die verstorbene Frau liegt. Er ist mit Blumen und Kerzen geschmückt und nimmt viel Platz ein. Nacheinander treten die Lehrerinnen an den Sarg und nehmen danach auf den Plastikstühlen Platz, die im Zimmer verteilt sind.
Damit habe ich nicht gerechnet, als es hieß, dass wir der Familie im Namen der Schule das Geld überreichen würden. Ich bin geschockt und irgendwie wird mir die Situation ein bisschen viel. Es ist heiß, die Hütte ist überfüllt und ich fühle mich fehl am Platz, habe ich weder die Verstorbene gekannt noch ihre Familienangehörigen. Außer die drei Kinder, eher flüchtig aus dem Unterricht.
Ich stehe ein bisschen ratlos in der Tür herum und lasse alle vorgehen, die herein wollen. Dann ist kein Platzt mehr in dem engen Raum und ich setze mich mit ein paar anderen Lehrerinnen nach draußen, vor die Hütte. Die zwei Mädchen meiner Schule spielen mit anderen Kindern Ball, der Junge sitzt auf dem Bürgersteig und weint. Die Lehrerinnen neben mir unterhalten sich über ihren Unterricht, eine Frau kommt heraus und bietet uns rote Limonade und Schokokekse an. So sitzen wir dort für eine Weile und mir kommt es vor wie eine ganze Ewigkeit. Die Sonne scheint stark, die Kinder kaufen sich ein Eis beim Eisverkäufer, der mit seiner Karre vorbei kommt und spielen dann weiter. Ich rede ein bisschen mit der kleinen Tochter der stellvertretenden Direktorin und nippe an dem furchtbar süßen Getränk.
Drinnen scheinen sie sich angeregt zu unterhalten, ich möchte aber lieber nicht herein gehen. Zwei Frauen, die große Körbe auf dem Kopf balancieren kommen vorbei und gucken neugierig in die Hütte. Ob hier jemand gestorben sei, fragen sie. Ja. Dann gehen sie für ein Moment hinein, kommen wieder heraus und machen sich wieder auf den Weg, mit ihren Körben
Mir kommt das Ganze sehr komisch vor und ich frage mich, wie es generell gehandhabt wird, wenn in Nicaragua jemand stirbt
Endlich kommen die anderen Lehrerinnen aus der Hütte heraus, gemeinsam machen wir uns auf und treten den Rückweg an.
Am Dienstag habe ich die 1a in „Educacion Fisica“, in Sport unterrichtet, diese Klasse zum ersten Mal ganz alleine. Wie immer haben sie sich zu Anfang brav in zwei Reihen aufgestellt, Mädchen und Jungen in getrennt, um dann die Aufwärmübungen, die ich vormache nach zu machen. Sie haben sich wirklich gut benommen und auch die Armlänge Abstand zueinander eingehalten. Darauf, wird hier im Sportunterricht viel Wert gelegt.
Nach den Übungen haben wir dann einen kleinen Wettkampf gemacht, so ähnlich wie Staffellauf, aber mit Hüpfen, Rückwärtslaufen und anderen lustigen Bewegungen. Das ging auch noch relativ gut, mal abgesehen von den kleinen Streitereien, wer in der Reihe vorne stehen darf etc.
Aber, dann...dann habe ich ihnen das Spiel „Ketten-fangen“ erklärt, bei dem sich zwei Kinder an den Händen halten und versuchen die anderen Kinder zu fangen. Ist ein weiteres Kind gefangen, schließt es sich der Kette an und gemeinsam müssen die anderen Kinder gefangen werden. Hierbei liegt die Betonung auf GEMEINSAM.
Das schienen die kleinen ninos wohl irgendwie überhört zu haben, denn ihnen ging es nur darum wild herum zu laufen, irgendjemanden zu fangen und dann ganz feste zu drücken.
Dass es eher unklug ist, jeweils in verschiedene Richtungen zu laufen, wenn man sich gemeinsam an den Händen hält, hat sie anscheint auch nicht weiter gestört, und so fand ich mich nach nur wenigen Minuten in einem Haufen von schreienden Kindern wieder. Die Mädchen hatten sich alle in einer Ecke versteckt, die Jungens liefen ineinander und durcheinander, sodass ich nach zehn Minuten fünf heulende Kinder und drei Verletzte zu beruhigen hatte, während die anderen weiterhin vergnügt hin und her hopsten und sichtlich die wenige Zeit, in der sie ungestört rennen dürfen, genossen.
Nachdem ich das Kind mit dem roten Auge (ich frage mich wie er das geschafft hat) ins Büro gebracht hatte und die zwei, die mit dem Kopf zusammen gestoßen waren, sich wieder einigermaßen beruhigt hatten, habe ich das Spiel dann abgebrochen und die Kinder sich wieder in den zwei Reihen aufstellen lassen. Sie waren ein wenig enttäuscht, hatte es ihnen doch so viel Spaß gemacht herum zu toben.
Aber auch ich bin ein wenig enttäuscht. Ich hatte Ketten-fangen immer als ein „nettes Laufspielchen“ in Erinnerungen und kann mich dabei an Verletzte nun wirklich nicht erinnern.
Außerdem finde ich es schade, dass die Kinder mit der Freiheit, die ich ihnen damit angeboten habe, nicht umgehen konnten. Ich hoffe sie lernen es mit der Zeit und besonders mehr im Team zu spielen/arbeiten.
Die Sportstunde fand dann noch ein „relativ“ harmonisches Ende und zwar mit den Atemübungen, die hier nach jeder Stunde gemacht werden, bevor die Kinder in einer Reihe wieder in den Klassenraum marschieren.
Als ich am Mittwoch morgen in die Schule kam, war dass kleine Büro stark überfüllt - mit Lehrerinnen, Kindern, Eltern, Großeltern....
Als ich meine Direktorin fragte, was denn passiert sei, fiel sie mir in die Arme und stöhnte, dass es schlimme Probleme für die Schule gebe.Zur Erklärung: Vor einigen Wochen wurde eine mini-, wirklich eine klitzekleine Bibliothek für die Schüler eingerichtet. Dafür wurde ungefähr ein Viertel eines Klassenzimmers, mit einer Holzwand abgetrennt. In diesen Raum passen gerade mal ein Bücherregal und einige Stühle herein. Der andere Teil des Raumes wird weiterhin als Klassenzimmer genutzt. Obwohl die kleinste Klasse, mit 28 Kindern dort eingezogen ist, ist es dort nun sehr eng und die Kinder müssen sich dicht zusammen drängen, damit alle herein passen.Von verschiedenen Spendern, hat die Schule bereits einige Bücher für die Bibliothek geschenkt bekommen. Meiner Meinung nach, ist diese Bibliothek eine wirklich gute Sache, denn die meisten Kinder haben, außer in der Schule, noch nie wirklich ein Buch gelesen. Sie haben kein Geld für Bücher oder es wird von ihren Eltern nicht als wichtig angesehen, dass die Kinder lesen. Insgesamt sind Bücher in Nicaragua Mangelware.Durch die Bibliothek haben die Kinder nun die Möglichkeit, an Bücher zu gelangen, auch wenn sie sie nicht mit nach Hause nehmen dürfen, weil sie sonst verschwinden oder schnell kaputt gehen würden.Diese Bibliothek hat insgesamt 2000 Cordobar gekostet, umgerechnet weniger als 150 Euro.Geld, was die Schule aber nicht hat. Um die Bibliothek finanzieren zu können, haben sie neulich von jedem Schüler 10 Cordobar (vielleicht 30 Cent) eingesammelt, hat man ein Geschwisterkind auf der Schule, müssen die Eltern für jedes Kind nur 5 Crodobar zahlen.Die meisten Kinder haben das Geld auch wirklich mitgebracht, nicht alle. Aber das war klar, denn viele Familien haben wirklich fast gar kein Geld, das weiß meine Direktorin und sie versteht es. Diese Kinder mussten nichts zahlen.Die Mutter eines Schülers hat sich allerdings so stark darüber aufgeregt, dass die Schule von den Kindern Geld eingesammelt hat, dass sie sich an das Radio und an das nicaraguanische Fernsehen gewandt hat. Dort hat sie sich dann in aller Öffentlichkeit über die Direktorin beschwert und behauptet, dass die ganze Sache illegal sei und dass nun das Bildungsministerium eingeschaltet werden soll. Nicht nur meine Direktorin, alle waren sehr aufgelöst am Dienstag. Wie kann jemand, der so etwas tut, nachts gut schlafen? Wo hat diese Frau ihr Herz?, fragte die Subdirektorin immer wieder und plötzlich wurde die ganze Sache zu einem riesigen Thema.Eltern kamen und versicherten, dass sie auf der Seite der Schule stehen würden und ihre Meinung nun auch in der Presse kundgeben wollen.Gegen elf Uhr kam dann also das Radio zu uns, in die Schule. Lehrer wurden interviewt, Eltern, Schüler, alles war ein Drama.„Mi corazón, es gibt viele Probleme...“ stöhnte meine Direktorin immer wieder und an diesem Tag nahm sie mich besonders oft in den Arme, noch mehr als sonst. Sie tat mir Leid, denn sie steckt viel Arbeit in die Schule und kümmert sich wirklich um fast alles, zusammen mit der zweiten Direktorin.Die Radiofrau wollte alles wissen; wann die Schule gegründet wurde, wie viele Schüler es hier gäbe, wie viele davon Jungs und wie viele Mädchen sein, und die Lehrer, wie viele Lehrer es denn gäbe. Und nein echt, es unterrichtet wirklich nur ein Mann an der Schule? Dann wollte sie wissen wie ich heiße, was ich mache, woher ich komme. Ah, oh, wie interessant, aber mein Nachname wäre nun wirklich zu schwer, Maren reicht völlig für den Bericht. Fragen über Fragen und immer wieder sprach sie sehr wichtig in ihr kleines Mikrofon herein.
Am Donnerstag, habe ich erfahren, dass ich ab nun an die 2a und die 2b zusammen unterrichten soll. Da stand ich dann also, mit 60 Kindern, bei 30 Grad, mit zwei kaputten Bällen und sehr wenig Platz. Zum Glück, kam mir eine zweite Lehrerin zur Hilfe, sodass alles recht gut verlief.Als ich dann völlig geschafft ins Büro kam, um die Bälle weg zu bringen und ein bisschen mit meiner Direktorin zu plaudern, stand der Vater einer Viertklässlerin in der Tür und berichtete, dass er seine Tochter nun schon seit ein paar Tagen vermissen würden. Angeblich würde die Polizei nach dem zwölfjährigen Mädchen suchen. Aber bis jetzt ist sie noch nicht wieder aufgetaucht.
Der Freitag verlief „normal“. Keine schlimmen Ereignisse, keine traurigen Neuigkeiten, alles war friedlich und ruhig. Was ich am erstaunlichsten fand war, dass die Ereignisse der Woche überhaupt nicht Thema waren. Keiner hat darüber geredet, keiner schien traurig oder geschafft zu sein. Morgens wurde die Nationalhymne gesungen, dann war Unterricht, danach eine Lehrerbesprechung. Alles lief weiter seine gewohnten Wege, alles funktionierte wie immer. Und auch ich habe wie immer unterrichtet, Dokumente am Computer abgetippt und Reis mit Bohnen an die Kinder verteilt, so wie jeden Tag.
Gerade merke ich, wie anstrengend diese Woche eigentlich war und dass sie mich wohl noch etwas länger beschäftigen wird.