Eine eigene Welt

Eine eigene WeltMy Bloody Valentine
„mbv“
Man kann Kevin Shields wirklich nicht dankbar genug sein, nach 22 – zweiundzwanzig! – Jahren und all den verklausulierten Ankündigungen, Hoffnungsschimmern und Gerüchteköcheleien nun doch ein neues Album mit My Bloody Valentine gezwungen zu haben. Eine Platte, deren Stücke sich wie erhofft jenseits aller handelsüblichen Songstrukturen bewegen, kein klassisches Verse-Bridge-Chorus-Gedöns, nichts also für routinierte Nebenherhörer und iLiker. Man darf sich schräg anschauen lassen, wenn das Gespräch auf die Iren und ihren speziellen Sound kommt und fühlt sich trotzdem gut dabei. Schließlich haben wenige ein eigenes Genre, das des Shoegazing-Pops, gleichermaßen so verinnerlicht und geprägt wie My Bloody Valentine und man ist mehr als froh, sie nicht mit dem alles verschlingenden Mainstream teilen zu müssen.
Die Frage, ob sich denn das Warten nun auch gelohnt habe, steht nun recht bedrohlich im Raum und die Antwort, eigentlich doch so sehnsüchtig erwartet, fürchtet der Fan wie Per Steinbrück die nächste Wahlprognose. Doch anders als der unglücklich agierende Wackelkandidat darf der hoffnungsfrohe Zuhörer alle Angst fahren lassen: Das neue Album steht den beiden grandiosen Vorwerken „Isn’t Anything“ und „Loveless“ in nichts nach und man kann der Band wirklich kein größeres Kompliment machen als den lapidaren Hinweis: Es hat sich nichts geändert.
Was auch wieder nur bedingt stimmt – natürlich klingen die Stücke, auch im Kontext ihrer aktuellen musikalischen Umgebung, für manchen etwas anders als noch in den 90ern, insofern trifft es sich vielleicht wirklich ganz gut, dass sie wegen des anhaltenden Revivals, das albernerweise unter dem Etikett Nu-Gaze firmieren muss (Pains Of Being Pure At Heart, School Of Seven Bells, The Twilight Sad, Beachhouse, etc.), auf fruchtbaren Boden treffen. Dennoch, My Bloody Valentine präsentieren sich mit „mbv“ eindeutig als „oldschool“-Variante in der Nische und weil fast alles wie immer ist, so sind es auch die kleinen Feinheiten, die man an ihnen so liebgewonnen hat: Das Fade-in, das den Eindruck entstehen lässt, jemand habe den Song nur für die Aufnahme lauter gestellt, die aufgetürmten Noise-Wände, deren Gitarrentöne nicht selten um einen Halbton versetzt wurden, was ein leichtes Leiern ergibt, die wabernden Textspuren, behutsame Drumsets – fabelhaft!
Die agressiveren Stücke fallen besonders positiv auf, „Only Tomorrow“ und „Who Sees You“, das kratzt und stolpert ganz wunderbar, ab und an kommen ein paar klare Hooks zum Vorschein, aber generell gilt: Keiner schichtet feiner. Als Extreme mit dabei: „Is This And Yes“, sehr zart, fast vorsichtig – dagegen der wüste Industrialkrach von „Nothing Is“, der einen etwas an die frühen Nine Inch Nails denken lässt. Der Schlußtrack „Wonder 2“ hat dann fast orchestrale Dimensionen, nach dem Flugzeuglärm wird es immer dichter, lauter, verzerrter, da lassen My Bloody Valentine noch einmal alle Zügel locker und erweisen sich einmal mehr als die unbestrittenen Meister ihres Fachs. Am Ende ist die Birne weich und es kommt einem vor, als wären sie nie weg gewesen – 2035 kann also getrost kommen... http://www.mybloodyvalentine.org/

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