Herr Pestinger war erschöpft. Abermals ein abendlicher Gewaltmarsch. Aber diese Protestmärsche durch die Dresdner Innenstadt waren nun mal eben notwendig. Man musste sich doch gegen diese Überfremdung schützen. Das gebot jeder gesunde Patriotismus. Und er war alter Dresdner. Sein Vater war schon einer. Der kam einige Zeit nach dem Ersten Weltkrieg als junger Mann ins herrliche Elbflorenz. Heute gilt die Familie als alteingesessen. Herrn Pestingers Junior Kinder und Enkel leben ja auch hier. Auch für sie marschierte ihr Opapa mit. Sie sollten es auch mal schön abendländisch haben. Freiheitlich. Demokratisch. Und nicht mit Kopftuch und Rauschebart zur Koranschule müssen. Als Deutscher hat man es beizeiten schwer, sagte sich Herr Pestinger und dachte an seinen Vater, der noch für den Führer schwärmte. Er tat das nicht. Das waren andere Zeiten., das konnte man heute nicht mehr haben. Aber gut täte er uns schon, so ein kleiner … Pestingers Vater lobte noch bis in die Siebzigerjahre hinein die gute alte Zeit, bis er sich zu einem Mittagsschlaf hinlegte, der bis heute anhält. Der Mann war vernünftig und äußerte Lob für die Braunen nur im trauten Familienkreis. Im VEB musste er vorsichtiger sein. Das hätte für den Melker böse Konsequenzen haben können.
Der Vater des Melkers erblickte in einem kleinen schlesischen Kaff das Gesicht seiner Hebamme. Er verlebte eine religiöse Jugend in Naturverbundenheit. Damals hieß er noch so wie sein Vater: Peschtrich. Im Alter von Zwanzig machte er seinen Namen für deutsche Ohren verträglicher. Als Pestinger hatte er es bei weitem einfacher Arbeit zu finden. Das Papier des Geburtenregisters der kleinen Kirche in seinem Dorf war geduldig. Weitaus geduldiger als die deutsche Oberklasse. Mochte dort Peschtrich verzeichnet sein. Er war nun ein Pestinger und unterschrieb künftig so. Die Deutschen erblickten in den Slawen aus unerfindlichen Gründen Faulheit und Verschlagenheit. Dem musste man entgegenwirken. Namensänderung war ein Mittel. Als Peschtrich fiel es einfach schwerer eine Stelle bei einem deutschen Arbeitgeber zu finden. Namhaft geworden erlangte er allerdings einen Platz im Hause eines Gutbesitzers. Fortan sollte er als Gärtner auf Gottes und seines Junkers weiten Fluren wirken. Er stellte sich nicht ungeschickt an und heiratete eine mittellose Deutsche, die ihm drei Söhne gebar, von denen er jedoch kaum etwas hatte. Der Gärtner schnitt gerade eine Hecke, als er in dieselbe fiel, noch einige Sekunden zuckte und dann für alle Zeit erstarrte.
Der Vater des Gärtners kam als unehelicher Sohn eines Polen und einer Deutschen ins Leben. Seine Mutter war eine junge Frau, die ihren bejahrten Gatten, einen pedantischen Junker und Zollinspektor, verabscheute und sich daher mit dem Stallburschen verlustierte. Noch am Abend der Niederkunft drückte der erboste Gatte das kleine Fleischbündel in die Hände des Nebenbuhlers, den er immer für einen welschen Polaken gehalten hatte, und warf ihn sicherheitshalber gleich noch vom Gestüt. So wuchs der Bengel ohne Mutter heran, verdingte sich später als junger Mann als Tagelöhner und bereiste die Welt zwischen Oder, Elbe und Neiße. Irgendwann landete er auf einem zungenbrecherischen Weiler, lernte dort eine zupackende Polin kennen und sie gebar ihm mehrere Kinder. Unter denen war auch jener Sohn, der sich als Gärtner sein täglich Brot verdiente. Er schlug seine Söhne mit dem Lederriemen, wie er es von seinem hilflosen Vater gelernt hatte. Sonst geschah wenig im Hinterland. Und eines Tages legte er sich hin, schloss die Augen und öffnete sie nie mehr.
Sein Vater wiederum war ein Kongresspole, der nach der Vertreibung vom Gestüt drei Orte weiter eine Bleibe fand. Kongresspolen war von Metternich in Wien künstlich ins Leben gerufen worden und stand unter russischer Kontrolle. Es war aus polnischer Sicht ein Fortschritt, den vorher gab es über Jahre gar kein Polen mehr. Aber die Russifizierung des polnischen Lebens ärgerte viele und machte aus ihnen Nationalisten. So auch aus dem alleinerziehenden Vater. Die russische Oberschicht im Osten und die deutschen Junker im Westen beuteten seine Leute aus. Für sie waren Polen Kreaturen, die sich billig verdingten und ihrer Rasse entsprechend gar nicht mehr zu leisten imstande waren. Er war ohne Vater aufgewachsen. Seine Mutter hatte ihn deswegen sein Leben lang unter ihrer Kuratel. Sie empfahl ihm dann eine Base als Weib und er ehelichte sie. Er liebte die Frau nicht, aber sie kümmerte sich um seinen Erstgeborenen fast so, als wäre es ihr eigener Hund. Zum Dank machte er ihr weitere sieben Kinder, von denen drei überlebten. Bis ins hohe Alter von 55 blieb er glühender Nationalist, dann gedachte er Polen zu verlassen, legte sich ins Bett und ging.
Der Vater des Nationalisten war ein russischer Landadeliger, der von Schlacht zu Schlacht ritt, um sein Land vor dem Zugriff des Kaisers der Franzosen zu bewahren. Eines Tages nächtigte er mit seinem kleinen Gefolge auf einem polnischen Hof. Und wie sich der Franzosenkaiser eine polnische Gräfin nahm, so gönnte sich der Landadelige eine polnische Magd. Sie brachte ihm Schafskäse und Brot ins Nachtlager, die Besatzer hatten Kontribution verlangt. Dabei sah sie unbeschreiblich schön aus und der Landadelige griff herzhaft zu. Als die Folge jener Nacht ins Licht der Welt schrie, war der Russe schon längst wieder mit den Kürassieren auf vaterländischer Mission. Er fiel keine zwei Jahre später vor den Toren Leipzigs, ohne je zu wissen, in der polnischen Einöde einen Spross gezeugt zu haben. Die Mutter blieb indes ohne Mann, da befleckt. Man nannte sie eine Russenhure, obgleich man keine Beweise für ein etwaiges internationales Stelldichein hatte. Die Vorwürfe stählten sie, machten sie hart – auch gegenüber ihrem Sohn. Sie drosch ihn härter als es die Pädagogik damals empfohlen haben würde. Im Hause ihres Jungen und seines Weibes, eine Hexe wie sich bald herausstellte, schloss sie ihre Augen für allezeit. Die Enkel tanzten um ihren Leichnam und juchzten. Endlich hatten sie die Alte und ihr zahnloses Geschmatze los.
Ihr Vater war ein polnischer Bauer. Weil er ständig an den Stängeln eines Staudenselleries kaute, sie wie eine Pfeife aus Grünzeug im Mundwinkel mit sich trug, gaben sie ihm den Beinamen Peschtak - nach pest, der polnischen Bezeichnung für Staude. Er sah nur einmal in seinem Leben die große Stadt, verbrachte den Rest seines Lebens auf dem Gut seines Herrn. Er sah dort Menschen kommen und gehen. Doch er blieb wo er war, bis er sich zum Sterben niederlegte.
Auch sein Vater war ein polnischer Bauer. Er sah die große Stadt nie und vermisste nichts. Sein gesamtes Leben verbrachte er auf dem Gut seines Herrn. Er sah dort Menschen kommen und gehen. Doch er blieb wo er war, bis er sich zum Sterben niederlegte.
Auch sein Vater war ein polnischer Bauer. Er sah die große Stadt nie und vermisste nichts. Sein gesamtes Leben verbrachte er auf dem Gut seines Herrn. Er sah Menschen dort kommen und gehen. Doch er blieb wo er war, bis er sich zum Sterben niederlegte.
Und auch sein Vater war ein polnischer Bauer. Er sah die große Stadt nie, glaubte nicht an ihre Existenz und vermisste nichts. Sein gesamtes Leben verbrachte er auf dem Gut seines Herrn. Er sah Menschen dort kommen und gehen. Als ihn sein Weib im Heu mit einem Burschen erwischte, beide mir herabgezogenen Beinkleidern, erschlugen sie ihn und taten so, als habe es ihn nie gegeben.
Der Vater dieses polnischen Bauern kam weit herum. Er sah Kosaken am Don und Jakuten in Sibirien. Als linksufriger Ukrainer handelte er mit urwüchsiger Härte mit seinen Pelzen. Einmal begegnete ihm sogar jener Peter, den sie den Großen nannten und der nominell nicht nur der Zar der Russen war, sondern auch seiner. Er verneigte sich vor ihm und war froh, dass er kürzlich erst seinen Bart geschert hatte. Er hatte von der Ukas des Zaren gehört. Vollbärte wies der annähernd glattrasierte Monarch als rückständig zurück. Irgendwann brachten den Pelzhändler die Geschäfte ins Land der Polen. Er lernte das Töchterlein eines freien Bauern kennen, vernarrte sich Hals über Kopf in sie, heiratete die dreizehnjährige gute Partie, wurde nach kaum einem Jahr erstmals Vater und übernahm die spärliche Scholle, als der Schwiegervater langsam am Wodka verschied. Aber das sesshafte Leben war nicht das, was sich ein leidenschaftlicher Pelzhändler als lebenslängliche Aufgabe vorstellte. Und so türmte er bei Nacht und Nebel und starb Jahre später irgendwo bei den Tungusen kurz vor der Mongolei.
Dessen Vater war ein osmanischer Kaufmann, der den Dnjestr hinaufsegelte und dort mit einer ukrainischen Zofe anbandelte. Die war beileibe nicht schön, aber der Allerbarmer hatte ihr hübsche Wülste und üppige Brüste geschenkt und den Kaufmann segnete er mit einem Auge für Frauen, die genau so aussahen. Wohllüstige Formen hatte der Kaufmann in seiner Heimat eher selten erspäht. Diese Rarität wollte er sich nicht entgehen lassen. Zumal er sich fast kindlich am rötlichen Schimmer ihres Haares erfreute. Und so umgarnte er sie mit allen orientalischen Ehren. Ihr Herr gewährte dem Kaufmann für ein wenig Zimt und noch weniger Safran mehrere Stelldichein. Ihr gemeinsamer Sohn hatte schwarzes Haar und glühende Augen. Er sah aus wie sein Vater, der schon lange wieder seinen Krummsäbel in Istanbul wetzen mochte. Sie verabscheute den Knaben, fand er sähe teuflisch aus und gab ihn in die Obhut ihrer Schwester, der Frau eines dicken Pelzhändlers, der den Bankert behandelte wie sein eigen Fleisch und Blut und ihm später die Geschäfte übertrug.
Der Vater des Osmanen war ein Goldschmied. So wie dessen Vater und der Vaters seines Vaters und eigentlich alle, die davor kamen. Sämtliche Vorfahren hatten Kettchen punziert und Becher genietet, Gravuren gesetzt und Reifchen getrieben. Als die Osmanen vor den Toren Konstantinopels standen, war ein ferner Urahn des osmanischen Kaufmanns gerade dabei, eine Menora zu verzieren. Schon zogen die ersten Türken mit einem lauten »Is tim bolin!« durch die engen Straßen und pflügten Christen nieder. Sie drangen auch in sein Haus ein und sahen den siebenarmigen Leuchter und glaubten irrtümlich, im Haus eines Juden zu sein, den sie als Schutzbefohlenen ansahen. Sie gingen rückwärts zur Türe hinaus und machten entschuldigende Gebärden. Hätte der Goldschmied nicht dem Auftrag des jüdischen Arztes angenommen, Pestinger hätte heute garantiert keine patriotischen Sorgen. Jemand anderes würde seine Stelle auf den Straßen Dresdens einnehmen. Der Zufall hat ihn dort hingestellt und der Zufall hätte ihn gleichwohl ganz woanders hinstellen können.
&button;
Der Vater des Melkers erblickte in einem kleinen schlesischen Kaff das Gesicht seiner Hebamme. Er verlebte eine religiöse Jugend in Naturverbundenheit. Damals hieß er noch so wie sein Vater: Peschtrich. Im Alter von Zwanzig machte er seinen Namen für deutsche Ohren verträglicher. Als Pestinger hatte er es bei weitem einfacher Arbeit zu finden. Das Papier des Geburtenregisters der kleinen Kirche in seinem Dorf war geduldig. Weitaus geduldiger als die deutsche Oberklasse. Mochte dort Peschtrich verzeichnet sein. Er war nun ein Pestinger und unterschrieb künftig so. Die Deutschen erblickten in den Slawen aus unerfindlichen Gründen Faulheit und Verschlagenheit. Dem musste man entgegenwirken. Namensänderung war ein Mittel. Als Peschtrich fiel es einfach schwerer eine Stelle bei einem deutschen Arbeitgeber zu finden. Namhaft geworden erlangte er allerdings einen Platz im Hause eines Gutbesitzers. Fortan sollte er als Gärtner auf Gottes und seines Junkers weiten Fluren wirken. Er stellte sich nicht ungeschickt an und heiratete eine mittellose Deutsche, die ihm drei Söhne gebar, von denen er jedoch kaum etwas hatte. Der Gärtner schnitt gerade eine Hecke, als er in dieselbe fiel, noch einige Sekunden zuckte und dann für alle Zeit erstarrte.
Der Vater des Gärtners kam als unehelicher Sohn eines Polen und einer Deutschen ins Leben. Seine Mutter war eine junge Frau, die ihren bejahrten Gatten, einen pedantischen Junker und Zollinspektor, verabscheute und sich daher mit dem Stallburschen verlustierte. Noch am Abend der Niederkunft drückte der erboste Gatte das kleine Fleischbündel in die Hände des Nebenbuhlers, den er immer für einen welschen Polaken gehalten hatte, und warf ihn sicherheitshalber gleich noch vom Gestüt. So wuchs der Bengel ohne Mutter heran, verdingte sich später als junger Mann als Tagelöhner und bereiste die Welt zwischen Oder, Elbe und Neiße. Irgendwann landete er auf einem zungenbrecherischen Weiler, lernte dort eine zupackende Polin kennen und sie gebar ihm mehrere Kinder. Unter denen war auch jener Sohn, der sich als Gärtner sein täglich Brot verdiente. Er schlug seine Söhne mit dem Lederriemen, wie er es von seinem hilflosen Vater gelernt hatte. Sonst geschah wenig im Hinterland. Und eines Tages legte er sich hin, schloss die Augen und öffnete sie nie mehr.
Sein Vater wiederum war ein Kongresspole, der nach der Vertreibung vom Gestüt drei Orte weiter eine Bleibe fand. Kongresspolen war von Metternich in Wien künstlich ins Leben gerufen worden und stand unter russischer Kontrolle. Es war aus polnischer Sicht ein Fortschritt, den vorher gab es über Jahre gar kein Polen mehr. Aber die Russifizierung des polnischen Lebens ärgerte viele und machte aus ihnen Nationalisten. So auch aus dem alleinerziehenden Vater. Die russische Oberschicht im Osten und die deutschen Junker im Westen beuteten seine Leute aus. Für sie waren Polen Kreaturen, die sich billig verdingten und ihrer Rasse entsprechend gar nicht mehr zu leisten imstande waren. Er war ohne Vater aufgewachsen. Seine Mutter hatte ihn deswegen sein Leben lang unter ihrer Kuratel. Sie empfahl ihm dann eine Base als Weib und er ehelichte sie. Er liebte die Frau nicht, aber sie kümmerte sich um seinen Erstgeborenen fast so, als wäre es ihr eigener Hund. Zum Dank machte er ihr weitere sieben Kinder, von denen drei überlebten. Bis ins hohe Alter von 55 blieb er glühender Nationalist, dann gedachte er Polen zu verlassen, legte sich ins Bett und ging.
Der Vater des Nationalisten war ein russischer Landadeliger, der von Schlacht zu Schlacht ritt, um sein Land vor dem Zugriff des Kaisers der Franzosen zu bewahren. Eines Tages nächtigte er mit seinem kleinen Gefolge auf einem polnischen Hof. Und wie sich der Franzosenkaiser eine polnische Gräfin nahm, so gönnte sich der Landadelige eine polnische Magd. Sie brachte ihm Schafskäse und Brot ins Nachtlager, die Besatzer hatten Kontribution verlangt. Dabei sah sie unbeschreiblich schön aus und der Landadelige griff herzhaft zu. Als die Folge jener Nacht ins Licht der Welt schrie, war der Russe schon längst wieder mit den Kürassieren auf vaterländischer Mission. Er fiel keine zwei Jahre später vor den Toren Leipzigs, ohne je zu wissen, in der polnischen Einöde einen Spross gezeugt zu haben. Die Mutter blieb indes ohne Mann, da befleckt. Man nannte sie eine Russenhure, obgleich man keine Beweise für ein etwaiges internationales Stelldichein hatte. Die Vorwürfe stählten sie, machten sie hart – auch gegenüber ihrem Sohn. Sie drosch ihn härter als es die Pädagogik damals empfohlen haben würde. Im Hause ihres Jungen und seines Weibes, eine Hexe wie sich bald herausstellte, schloss sie ihre Augen für allezeit. Die Enkel tanzten um ihren Leichnam und juchzten. Endlich hatten sie die Alte und ihr zahnloses Geschmatze los.
Ihr Vater war ein polnischer Bauer. Weil er ständig an den Stängeln eines Staudenselleries kaute, sie wie eine Pfeife aus Grünzeug im Mundwinkel mit sich trug, gaben sie ihm den Beinamen Peschtak - nach pest, der polnischen Bezeichnung für Staude. Er sah nur einmal in seinem Leben die große Stadt, verbrachte den Rest seines Lebens auf dem Gut seines Herrn. Er sah dort Menschen kommen und gehen. Doch er blieb wo er war, bis er sich zum Sterben niederlegte.
Auch sein Vater war ein polnischer Bauer. Er sah die große Stadt nie und vermisste nichts. Sein gesamtes Leben verbrachte er auf dem Gut seines Herrn. Er sah dort Menschen kommen und gehen. Doch er blieb wo er war, bis er sich zum Sterben niederlegte.
Auch sein Vater war ein polnischer Bauer. Er sah die große Stadt nie und vermisste nichts. Sein gesamtes Leben verbrachte er auf dem Gut seines Herrn. Er sah Menschen dort kommen und gehen. Doch er blieb wo er war, bis er sich zum Sterben niederlegte.
Und auch sein Vater war ein polnischer Bauer. Er sah die große Stadt nie, glaubte nicht an ihre Existenz und vermisste nichts. Sein gesamtes Leben verbrachte er auf dem Gut seines Herrn. Er sah Menschen dort kommen und gehen. Als ihn sein Weib im Heu mit einem Burschen erwischte, beide mir herabgezogenen Beinkleidern, erschlugen sie ihn und taten so, als habe es ihn nie gegeben.
Der Vater dieses polnischen Bauern kam weit herum. Er sah Kosaken am Don und Jakuten in Sibirien. Als linksufriger Ukrainer handelte er mit urwüchsiger Härte mit seinen Pelzen. Einmal begegnete ihm sogar jener Peter, den sie den Großen nannten und der nominell nicht nur der Zar der Russen war, sondern auch seiner. Er verneigte sich vor ihm und war froh, dass er kürzlich erst seinen Bart geschert hatte. Er hatte von der Ukas des Zaren gehört. Vollbärte wies der annähernd glattrasierte Monarch als rückständig zurück. Irgendwann brachten den Pelzhändler die Geschäfte ins Land der Polen. Er lernte das Töchterlein eines freien Bauern kennen, vernarrte sich Hals über Kopf in sie, heiratete die dreizehnjährige gute Partie, wurde nach kaum einem Jahr erstmals Vater und übernahm die spärliche Scholle, als der Schwiegervater langsam am Wodka verschied. Aber das sesshafte Leben war nicht das, was sich ein leidenschaftlicher Pelzhändler als lebenslängliche Aufgabe vorstellte. Und so türmte er bei Nacht und Nebel und starb Jahre später irgendwo bei den Tungusen kurz vor der Mongolei.
Dessen Vater war ein osmanischer Kaufmann, der den Dnjestr hinaufsegelte und dort mit einer ukrainischen Zofe anbandelte. Die war beileibe nicht schön, aber der Allerbarmer hatte ihr hübsche Wülste und üppige Brüste geschenkt und den Kaufmann segnete er mit einem Auge für Frauen, die genau so aussahen. Wohllüstige Formen hatte der Kaufmann in seiner Heimat eher selten erspäht. Diese Rarität wollte er sich nicht entgehen lassen. Zumal er sich fast kindlich am rötlichen Schimmer ihres Haares erfreute. Und so umgarnte er sie mit allen orientalischen Ehren. Ihr Herr gewährte dem Kaufmann für ein wenig Zimt und noch weniger Safran mehrere Stelldichein. Ihr gemeinsamer Sohn hatte schwarzes Haar und glühende Augen. Er sah aus wie sein Vater, der schon lange wieder seinen Krummsäbel in Istanbul wetzen mochte. Sie verabscheute den Knaben, fand er sähe teuflisch aus und gab ihn in die Obhut ihrer Schwester, der Frau eines dicken Pelzhändlers, der den Bankert behandelte wie sein eigen Fleisch und Blut und ihm später die Geschäfte übertrug.
Der Vater des Osmanen war ein Goldschmied. So wie dessen Vater und der Vaters seines Vaters und eigentlich alle, die davor kamen. Sämtliche Vorfahren hatten Kettchen punziert und Becher genietet, Gravuren gesetzt und Reifchen getrieben. Als die Osmanen vor den Toren Konstantinopels standen, war ein ferner Urahn des osmanischen Kaufmanns gerade dabei, eine Menora zu verzieren. Schon zogen die ersten Türken mit einem lauten »Is tim bolin!« durch die engen Straßen und pflügten Christen nieder. Sie drangen auch in sein Haus ein und sahen den siebenarmigen Leuchter und glaubten irrtümlich, im Haus eines Juden zu sein, den sie als Schutzbefohlenen ansahen. Sie gingen rückwärts zur Türe hinaus und machten entschuldigende Gebärden. Hätte der Goldschmied nicht dem Auftrag des jüdischen Arztes angenommen, Pestinger hätte heute garantiert keine patriotischen Sorgen. Jemand anderes würde seine Stelle auf den Straßen Dresdens einnehmen. Der Zufall hat ihn dort hingestellt und der Zufall hätte ihn gleichwohl ganz woanders hinstellen können.
&button;