Noch knapp zwei Wochen bleiben, bis die Schweizer Bevölkerung über das Referendum zur Asylgesetzrevision abstimmt. Schon wieder, ist man versucht zu sagen. Das Asylgesetz durchlebt bereits seine zwölfte (!) Revision in den letzten Jahrzehnten. Andere, viel dringlichere Revisionen, wie die AHV/IV Revision, lassen seit ebenso lange auf sich warten. Aber das ist ein anderes Thema.
Gefällt wurde der Entscheid zur Revision unter dem Deckmantel der „Dringlichkeit“. Deswegen traten die neuen Gesetztestexte auch sofort in Kraft. Artikel 165 der Bundesverfassung besagt: „Ein Bundesgesetz, dessen Inkrafttreten keinen Aufschub duldet, kann von der Mehrheit der Mitglieder jedes Rates dringlich erklärt und sofort in Kraft gesetzt werden. Es ist zu befristen.“
Diese Revision scheint so dringend, dass sie keinen Aufschub duldet! Dies lässt vermuten, dass sich die Schweiz in einem „Asylnotstand“ befindet und sich vor Asylbewerbern kaum retten kann. Überfüllte Zentren führen zu sozialen Spannungen innerhalb der Bevölkerung, Kriminalitätsraten verdoppeln, nein verdreifachen sich innert kürzester Zeit und ein erträgliches Zusammenleben scheint nicht mehr gewährleistet, ohne ein solch dringendes Gesetz. Die FDP spricht von einem Asylchaos und selbst die CVP als christliche Partei reicht absurde Vorstösse, wie eine DNA Analyse ein.
So weit die Theorie. Die Praxis sieht leider etwas anders aus. Um die mit Emotionen aufgestaute Diskussion etwas zu versachlichen, greife ich zu einem Mittel, welches in meinem täglichen Arbeitsalltag weit verbreitet ist: Zu sogenannten Charts. Schauen wir uns zuerst ein Mal die Entwicklung der Asylgesuche in den letzten Jahren an. Beschränkt man die Zeitachse auf fünf Jahre, erhält man tatsächlich ein stark steigendes Bild:
So hat sich die Zahl der Asylgesuche innert dieser kurzen Zeit fast verdreifacht. Dieses Bild bemüht die SVP gerne, um ihre schärferen Asylgesetze durchzubringen. Relativeren lassen sich die Zahlen mit zwei anderen Charts.
Erstens muss man die Zeit etwas mehr zurück drehen, um ein besseres Bild der Gesamtsituation zu erhalten. Ergänzt man die Statistik mit den Zahlen seit 1997, ergibt sich ein weniger verzerrtes Bild der neuen Asylgesuche:
Wie wir sehen können, sind wir immer noch weit entfernt vom Höhepunkt zu Zeiten des Kosovo-Krieges mit fast 48’000 neuen Asylgesuchen in einem Jahr. Wir befinden uns momentan mit 28’000 neuen Gesuchen pro Jahr in der selben Höhe wie zu Zeiten des Irak-Krieges nach der Jahrtausendwende. Ergänzt man die Statistik mit dem Mittelwert, ergibt sich folgendes Bild:
Wir befanden uns seit 2003 lange Jahre unter dem Mittelwert der Asylgesuche (knapp 22’000 Gesuche pro Jahr, blaue Linie), in den letzten zwei Jahren wurde dieser Mittelwert übertroffen, ist dies allerdings schon genug um eine solche Panikmache zu veranstalten?
Der zweite Grund betrifft die Anzahl Personen, welche sich im Asylprozess befinden. Landauf, landab hört man, dass die Asylprozesse zu lange gehen und daher die gesamte Anzahl der Personen zu hoch sei. Doch stimmt dies wirklich? Betrachten wir auch hier die Anzahl Personen im Asylprozess:
Durchschnittlich befanden sich seit 1997 jährlich 57’000 Personen in einem laufenden Asylprozess, sie erhielten also eine vorläufige, befristete Aufenthaltsgenehmigung, bis ihr Gesuch bearbeitet und ein Entscheid gefällt wurde. Seit 2003 befindet sich die jährliche Anzahl der Personen im Asylprozess deutlich unter dieser Marke. Im letzten Jahr befanden sich 44’000 Personen im Asylprozess, ein Plus von zehn Prozent im Vergleich zu 2011, also keine abartige Zunahme.
Fügt man diese beiden Statistiken zusammen, ergibt sich folgendes Bild:
Es zeigt sich also, dass die beiden Faktoren eine leicht steigende Tendenz haben, jedoch deutlich unter (Personen im Asylprozess), bzw. leicht über dem Durchschnitt (Anzahl neue Asylanträge) liegen.
Vielfach wird auch die Mär bemüht, die Schweiz sei zu „nett“ und würde (zu)viele Asylanträge genehmigen. Obwohl mit einer Statistik an dieser Stelle keinerlei Aussage über die Gründe eines Asylantrages gemacht werden kann, ist es möglich aufzuzeigen, dass die Schweiz einer der restriktivsten Asylpolitik der EU hat:
So wurden im Jahr 2012 nur knapp 15 % aller Asylgesuche mit einem positiven Entscheid beendet, in Belgien lag die Quote im selben Jahr bei 87 %, in Schweden bei 71 %. EU-weit lag die Quote bei 26 %, also auch hier liegt die Schweiz deutlich drunter. Wie gesagt, kann mit diesen Zahlen keine Aussage über die Inhalte der Anträge gemacht werden. Schaut man sich die Entwicklung der Entscheide über mehrere Jahre an, ergibt sich folgendes Bild:
(Anmerkung: Für die Niederlande lagen für das Jahr 2012 keine Zahlen vor, daher den Schwenker nach unten ignorieren).
Es ist klar zu erkennen, dass die Schweiz in den letzten Jahren deutlich weniger positive Entscheide fällte, als ihre Nachbar- sowie ausgewählte andere EU-Länder. Nach der SVP Logik, sollte eine „harte“ Asylpolitik zu weniger Missbrauch und zu weniger Anträgen führen. Über den Missbrauch lässt sich schwierig eine Statistik führen. Über die Aufnahme von Asylbewerbern im Verhältnis zur Bevölkerung hingegen schon. Dieses Verhältnis sieht für EU-Länder und die Schweiz wie folgt aus:
Auch hier lässt sich erkennen, dass die Schweiz im Verhältnis zu ihrer eigenen Bevölkerung sehr wenig Asylbewerber definitiv aufnimmt und zwar im 4-Jahres Durchschnitt 0.09 % (sprich auf 10‘000 Schweizer, was einer Stadt entspricht, kommen neun aufgenommene Asylbewerber). Zwar etwas mehr als in Ländern wie Deutschland oder Frankreich (4-Jahresschnitt bei 0.01 %), aber immer noch deutlich weniger als Länder wie Schweden oder Belgien. Zudem ist auch hier die Tendenz sinkend. Dass die Anzahl der Asylanträge in den letzten Jahren steigend war, konnten wir bereits weiter oben feststellen. Doch wie sieht es im europäischen Vergleich aus? Darüber gibt folgende Grafik Auskunft, welche die Anzahl der Asylanträge im Verhältnis zur Bevölkerung setzt:
Hier zeigt sich, dass mit der Ausnahme von Zypern und den Niederlanden, jedes Land in den letzten Jahren steigende Asylanträge zu verzeichnen hatte. Der Vergleich mit den Niederlanden erscheint besonders interessant. Obwohl die Anerkennungsquote mit knapp 50 % sehr hoch ist, verharrt die Anzahl neuer Asylanträge pro Jahr auf tiefem Niveau. Ein völlig anderes Bild bei der Schweiz: Obwohl das Asylgesetzt praktisch im 2-Jahresrhytmus verschärft wird und die Anerkennungsquote fällt, steigen die Asylanträge an. Eine Bilanz zur Chartanalyse lautet daher:
- Eine verschärfte Asylpolitik hat keinerlei Einfluss auf die Anzahl der Asylanträge.
- Die Schweiz hat Europaweit einer der schärfsten Asylgesetze, was sich ebenfalls auf die Anzahl der aufgenommen Asylbewerber auswirkt.
- Die Schweiz nimmt, auch im Vergleich zu den der EU, sehr wenig Asylbewerber auf und ist weit von den Höchstständen zu Zeit des Kosovokrieges entfernt.
- Die Niederlande scheint mit ihrem effizienten System auf dem richtigen Weg (mehr Infos hier).
Was hat dies nun alles mit der Abstimmung vom 9. Juni zu tun? Die Abstimmung beinhaltet. Nebst einigen guten Punkten, wie die „Bewilligungslose Nutzung
von Anlagen und Bauten des Bundes zur Unterbringung von Asylsuchenden“ und „Finanzierung von Beschäftigungsprogrammen für Personen in Bundeszentren“, enthält die Vorlage zwei absolut unnötige und gefährliche Punkte. Nebst der Abschaffung des „Flüchtlingsgrunds wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion“ wird auch die Möglichkeit, über eine Botschaft im Ausland ein Asylgesuch zu stellen, abgeschafft.
Hierzu sind vor allem zwei Punkte störend. Obwohl die Schweiz praktisch weltweit das einzige Land ist, welches noch eine solche Möglichkeit kennt, war die Anzahl der Asylanträge über eine Botschaft im Ausland relativ klein. In 33 Jahren gingen 46’369 solcher Anträge ein, dies ergibt pro Jahr 1405 Anträge. Man könnte meinen, eine Streichung dieser Möglichkeit wäre folgenlos, da sie doch unbedeutend ist. Dies wäre aber eine tragische und gefährliche Schlussfolgerung. Einerseits stammten über 95 % der Botschaftsgesuche aus klassischen (Bürger)Kriegsgebieten und über 40 % dieser Gesuche wurden von Frauen gestellt, welche in diesen Gebieten besonders oft verfolgt, vergewaltigt und teilweise auch ermordet werden.
Von diesen 46‘369 Personen, welche einen Antrag stellten, erhielten 4‘386 eine Einreisebewilligung, wovon die meisten auch Gebrauch machten. Anschliessend wurde das Gesuch besser begutachtet und die Schutzquote (also die Summe der definitiv und vorläufig aufgenommen Bewerber) lag bei 96 %!
Das Botschaftsasyl gibt den Personen vor Ort die Möglichkeit ein Gesuch zu stellen, damit sie ohne Umwege (und etwaige Schlepper) in die Schweiz gelangen können. Die Schweiz hatte so die Möglichkeit die Anträge vor Ort zu prüfen und erteilte trotz allem nur restriktive Einreisebewilligungen, also wenn ein echter Flüchtliungsgrund vorlag! Die Anerkennungsquote von 96 % spricht für sich. Das Botschaftsasyl beinhaltet eine geniale Methodik, um den echten Flüchtlingen (v.a. Frauen und Kinder!) Schutz zu gewähren und soll nun abgeschafft werden? Auf keinen Fall!
Dass die beschriebenen Möglichkeiten auch ohne die Abschaffung des Botschaftsasyls möglich wären, zeigen die nächsten beiden Revisionen des Asylgesetzes, welche bereits anstehen und weitere gute Punkte beinhalten wie „Punktuelle Verbesserungen beim “Rechtsschutz“ oder „Beschleunigtes Verfahren“.
Darum stimme ich am 9. Juni NEIN zur Asylgesetzrevision. Eine verschärfte Asylpolitik hat null Einfluss auf die Anträge von Asylbewerbern und die Abschaffung des Botschaftsasyls trifft die verfolgten und schwachen Flüchtlinge!
Quellen:
- http://www.asyl.ch/darum-gehts/botschaftsverfahren/
- Eurostat
- Bundesamt für Migration
- http://www.parlament.ch/d/dokumentation/dossiers/asylgesetz/Seiten/asylgesetz-dokumente.aspx