Eine Busfahrt in Cali

Nach einer Nacht in einem Gästehaus im Norden Calis bekam ich doch noch eine Möglichkeit privat unterzukommen. Die Gegend hat mir ohnehin nicht gefallen. Wie auch schon in Medellín lag das Hostel inmitten einer aseptischen, gesichtslosen, beinahe menschenleeren Ecke, deren einzige Daseinsberechtigung der Konsum darzustellen schien. Immerhin war es dort sauber und sicher. Die Parkwächter, gewöhnliche Leute von der Straße, winkten und wiesen ein, immerzu mit roten Tüchern. An Kreuzungen boten Scheibenputzer ihre Dienste an. Die Türen der Discotheken standen offen: Putzkräfte scheuerten die Erinnerungen der Nacht weg.

Da Elinas Haus gerade einmal 5 km Luftlinie entfernt war und Cali – wie Bogotá – ein Busnetz hat, hatte ich die Idee die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Nach einem kleinen fidelen Spaziergang mit 25 kg Gepäck kam ich an der Busstation an. Da ein Mitarbeiter gleich auf mich zukam, fragte ich ihn nach meiner Zielstation: Primitivo Crespo. Sein Blick verriet mir schon jetzt: Junge, da hast’e dich wieder auf was eingelassen. Er kannte die Station nicht. Und, wohlgemerkt, seine Weste, sein Namensschild und Funkgerät verrieten, dass er Mitarbeiter war! Er fragte die Kassiererin. Ihre Kompetenz beschränkte sich aber lediglich auf das charakterlos-freundliche Herauslugen aus ihrer Kabine. Er fragte die Polizisten, welche aber auch nicht so recht wussten. Schließlich fragte er über Funk nach, telefonierte, konnte mir aber nur sagen, dass ich doch einfach in den Bus steigen und an der nächsten Station fragen soll. Nur, wohin fährt dieser Bus? Eine Mappe befand sich in der Station nicht. Glücklicherweise hörte ein englisch sprechender Kolumbianer sich diese Schose an und nahm sich meiner an. Wir fuhren los, in einem völlig überfüllten Gelenkbus. Die Klimaanlage gab alles. Die Straßen glichen verstopften Arterien. Nach wenigen Blocks nahm er meine Hand und stieg mit mir aus. Das Aussteigen hier aber ist so einer Sache. Das dabei an den Tag gelegte Sozialverhalten gleicht dem der Spermien auf dem Weg in die Eileiter. Als wir uns durchgeboxt haben fragte er in die Menge, wer in Richtung Primitivo Crespo fährt. Eine ergraute Dame mit Brille ergriff mich. Ich fühlte mich wie eine Staffel beim 4 mal 400 Meter Lauf. Also, wieder rein in den zum bersten überfüllten Bus. Ein junge Mutter stille ihr Baby. Pubertierende Mädchen stierten mich an. So schauen Mädchen auf einem Tokio-Hotel-Konzert auch. Die Augen der Männer mit schlechten Tattoos trippelten über meine Arme. Nach einiger Fahrt stieg ich wieder aus. Von dort sollten es nur noch zwei Stationen sein – ich dachte an Neil Armstrongs Worte, als er den Mond betrat. Eine Mappe hatte diese Station aber auch nicht. Und wieder kam ein hilfsbereiter Kolumbianer, der Verständnis für meine Laune aufbrachte, auf mich zu. Er erklärte welchen Bus ich zu nehmen hätte. „Du bist nicht der einzige der hier so ratlos rumsteht. Die meisten Leute hier, wissen nicht wo sie sind und wie so von a nach b kommen.“ Ich bedankte mich und wartete auf den T47. Nach wenigen Minuten kam er. Ich lies ihn passieren. Es wäre einfacher ein Kamel durch ein Nadelöhr zu schieben. Dann kam der nächste. Auch ihn lies ich passieren. Dann kam der nächste. Und auch der glich einem Guinness-Buch-der-Rekorde-Versuch: Wie viel Menschen passen in ein Bus. Ich war genervt, ging zum Ausgang. Dort fragte ich wie ich am besten zu Fuß zu Elianas Haus komme, schließlich wollte ich noch vor Weihnachten bei ihr eintreffen. Sie aber reagierten als hätte ich eine rhetorische Frage gestellt. Ich wurde wütend. Und wie das Leben so spielt fand sich wieder ein hilfsbereiter Kolumbianer. Ich erklärte ihm meine Situation, fragte nach der ungefähren Richtung. Er schlug vor ein Taxi zu nehmen. Ich winkte ab, „nein das wird zu teuer“ und ging gerade los, als er mich festhielt. „Nein, da gehst du nicht hin!“ – „Warum?“ – „Du gehst nicht über diese Brücke!“ Er glitt, betont langsam, mit einem steifen Zeigefinger, von rechts nach links über seinen Hals. „Pass auf Junge, ich ruf ein Taxi und begleite dich zum Treffpunkt.“ – „O… ok.“ Er rief an, lies sich die Bestellung bestätigen und ging mit mir vor den hell beleuchteten Eingang einer Bank. „Lass uns weg vom Gehsteig, hier, komm unter die Traufe!“ Wir warteten. Er hatte seinen Schlüssel im Büro vergessen, deswegen war er noch so spät unterwegs. Und dabei wäre er heute so gerne zum Fußball gegangen. Er ist Verteidiger. „Ich bin schlecht, sehr schlecht – aber ich fühle mich gut, wenn ich spiele.“ „Wo ich wohne? Na, hier in Cali, aber ich will in die Nähe meines Büros ziehen. Ich bin jeden Tag zwei Stunden unterwegs. Der Verkehr hier … ein Desaster.“ Das Taxi kam. Es hupte. Er nahm Zettel und Stift. „Hier, wenn Du Probleme hast.“ Auf dem Zettel standen „Roy“ und eine Telefonnummer.

Nach zwei Stunden kam ich bei Eliana an. In Deutschland habe ich Schilder und Mappen. Hier muss man mit den Menschen reden.



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