Von Michaela Preiner
Der Besuch der alten Dame (Foto: Reinhard Werner/Burgtheater) 27. Mai 2018 Theater Ist es die Rache einer alten Frau, sind es die Verlockungen des Turbokapitalismus, oder ist es eine Kombination von beidem, die eine Dorfgemeinschaft in den moralischen Abgrund zieht? Frank Hoffmann, Leiter der Ruhrfestpiele Recklinghausen, bei welchen das Stück unter seiner Regie Anfang Mai uraufgeführt wurde, erarbeitete gemeinsam mit dem Burg-Dramaturgen Florian Hirsch die Fassung von Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“. Dabei blieben sie zwar ganz nah an Dürrenmatts Text. Wenn man möchte, kann man jedoch die Figurenführung als bewusst übersteigert bezeichnen, denn die Regie lässt darin die Charaktere wie durch ein Brennglas beobachten. Dürrenmatts Dorfgemeinschaft, Claires Ehemänner, ihr Butler aber auch sie selbst sind sowohl in ihrer Ausstattung (Kostüme Susann Bieling) als auch Spielweise Prototypen. Dadurch werden sie beinahe schon zu Commedia dell´arte Figuren, deren schwarze und weiße Denkmuster sie so interessant erscheinen lässt.Hoffmann lässt jedoch zwei Ausnahmen zu: Es sind die Figuren von Alfred Ill und Claire Zachanassian. Die Wandlung Alfred Ills, jenem Mann, der Claire – einst Klara Wäscher – schwängerte und dies dann in einem Prozess verleumdete, wird mit Burghart Klaußner in sehr feinen schauspielerischen Untertönen sicht- und spürbar. Wie er die drohende Gefahr seiner Ermordung sich zuspitzen sieht, wie die Angst in ihm dabei ständig zunimmt, bis hin zu jenem Punkt, an dem er sich seinem Schicksal fügt und einem Erlöser gleich sich für die finanzielle Prosperität des Dorfes aufopfert, macht seine innere Wandlung psychologisch gut nachvollziehbar.
Maria Happel darf als starke Frau auftreten, die das Leben gehärtet hat und nun in der Lage ist, zurückzuschlagen.
Für die charakterliche Pointierung der anderen setzt Hoffmann ein höchst expressives Spiel ein, das sich zuweilen übertrieben komödiantisch, meist jedoch im positiven Sinne, zeigt.
Daniel Jesch in der Rolle des Dorfpolizisten im Feinrippleibchen darf dabei seine gestählten Muskeln bei gekonnten, gymnastischen Fallmanövern mehrfach präsentieren.
Hans Dieter Knebel gibt sich als einstiger Oberrichter, nunmehr Claires Butler, in modischen Zehenschuhen zurückhaltend und nobel, wie es sich für einen Domestiken der alten Schule gehört.
Der großartige Roland Koch verhaspelt sich in seinen bürgermeisterlichen Ansprachen bis in die tiefsten Fettnäpfchen und bekommt dafür Zwischenapplaus.
Dietmar König trägt einen ausgefransten, dünnen Lehrerzopf und doziert über Moral und Gerechtigkeit ausgerechnet in jenem Moment, als das Güllener Volk, zu dem das Publikum in dieser Szene mutiert, sich für die Ermordung von Alfred Ill entscheidet. Dass die Hände bei der Abstimmung unten bleiben und dies von den Mächtigen am Verhandlungstisch ignoriert wird, darf als subtiler Hinweis für jene Usance gelesen werden, die sich durch eine demokratische Verfassung legitimiert.
Rolf Mautz ist mit Kostümwechseln ausgelastet, begleitet er Claire doch gleich in den Rollen ihrer vertrottelten Gatten VII-IX und mimt auch noch den nach gestellten Fotos gierenden Pressemenschen. Als dieser feuert er aus dem Zuschauerraum Blitzlichtsalven auf die Bühne und gibt dabei zugleich lächerliche Regieanweisungen. Petra Morzé macht zu Beginn als verschüchtere Kaufmannsgattin gute Miene zum bösen Spiel und findet sich zu jener Begrüssung der Milliardärin hinter einem vergitterten Fenster ein, in welcher klar wird, dass die Freiheit, die Claire besitzt und von der die anderen nur träumen, nur durch Geld zu erlangen ist.
Susann Bieling spannt mit ihrem stilistischen Kostümmix einen Bogen vom 19. Jahrhundert in die späten 1950-er Jahre, der Entstehungszeit des Stückes. Sie lässt aber auch mit langen schwarzen Mänteln und breitkrempigen Hüten den „Wilden Westen“ Amerikas unterschwellig mit einfließen. Denn egal ob ein europäisches oder amerikanisches Dorf – die Mechanismen von Schuld und Sühne, von Borniertheit, Unterdrückung und Bestechung sind da wie dort exakt dieselben.
Was Hoffmann und Hirsch in diese Inszenierung einfügen, ist eine zusätzliche Interpretationsebene, in welcher Claire Zachanassians Reichtum und ihre Skrupellosigkeit mit den Mechanismen des Turbokapitalismus gleichgesetzt werden, dessen Credo die absolute Geldvermehrung um jeden Preis ist und in dem das Leben von Menschen eine untergeordnete Rolle zu spielen beginnt.
In diese Denkmöglichkeit fügt sich auch das Panther-Gebrüll, das über Lautsprecher eingespielt wird. Steht es doch weitaus weniger für das Instinkthafte, Tierische im Menschen, als das es für gewöhnlich interpretiert wird. Vielmehr kann es auch als Symbol einer bedrohlichen, wirtschaftlichen Entwicklung gedeutet werden, die alles verschlingt, was sich ihr in den Weg stellt.
Dennoch ist die Kapitalismuskritik nicht nur einseitig angelegt. Die Freude der Menschen an einem gesteigerten Wohlstand, auch an Luxus, ist nachvollziehbar. Genauso wie das Ignorieren der dadurch aufgenommenen Schuld und Schulden. Hier wird exemplarisch das Dilemma aufgezeigt, in dem sich unsere globale Ökonomie befindet.
Die Ausbeutung, die der Westen an den Tag legt, das Aufschreiben von Krediten – im Theater an einer überdimensionalen, schwarzen Tafel-Wand sichtbar – geschieht in unserem Wirtschaftsgebaren tag- täglich durch einen Konsum, der die einen reicher und die anderen noch ärmer macht, als sie es ohnehin schon sind.
Maria Happel als Claire, die ihren ersten Ehemann, einen Ölmagnaten, im Bordell kennenlernte und von da an an nichts anderem mehr interessiert war, als ihr Geld ständig zu vermehren und sich an ihrer ersten Liebe zu rächen, schreit ihren Zorn und ihre Unbarmherzigkeit ganz nah am Publikum in den Saal.
Als Personifizierung des akkumulierten Kapitals, das durch ihre Person die Weltherrschaft übernimmt, braucht sie nicht mehr zu tun, als zu kommandieren und zu warten. Denn das Geld arbeitet für sie, auch wenn sie keinen Finger mehr rührt.
Es verbiegt und verführt die Menschen des Dorfes, es drängt sie in die Rolle von Mördern, während die alte Dame in der Zwischenzeit nichts anderes tut, als sich einen neuen Ehemann nach dem anderen zu gönnen, um ihn sofort wieder fallenzulassen und im Hotel zuzuwarten.
Den großen, grauen, kalten Bühnenraum (Ben Willikens) ziert zu Beginn einzig eine Uhr, die im Rückwärtsgang läuft. Ein Hinweis darauf, dass das Dorf mit dem Eintreffen der alten Dame plötzlich einen Sprung in die Vergangenheit macht.
In einer anderen Szene ist der Raum mit einem bedrohlichen, riesigen Metallhaken ausgestattet, der von der Decke hängt. Er wird schließlich in jenem Moment mit Getöse zu Boden fallen, in dem sich die rückwärtige Wand unter infernalischem Weltuntergangs-Sound (Renée Nuß) vor an den Bühnenrand bewegt. Blutrot zeugt sie nun von der kommenden Verurteilung von Alfons Ill, die nicht mehr aufgehalten werden kann.
Die interessanteste Erkenntnis des Abends ist banal und dennoch erwähnenswert: Ein Klassiker, der vom Bühnenkanon der westlichen Bühnen nicht mehr wegzudenken ist, kann in jeder Generation anders oder mit zumindest mit erweiterten Interpretationen gelesen werden.
So gesehen brauchte es nicht mehr als einige Textstriche und kluge Regie-Ideen, um die Aktualität des Textes von Dürrenmatt drastisch erkennen zu können. Ein Abend, an dem das Theater zwar nicht, wie heute üblich, über sich selbst referiert, dennoch aber höchst viril und zeitgeistig erscheint.
Weitere Termine auf der Seite des Burgtheaters.
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