Was wäre die Weltpolitik ohne das Boulevard! Zuverlässig besitzt es seit vielen Jahren die Chuzpe, die Machtverhältnisse im Gefüge der Menschheit zu erklären und zu bewerten. Und spätestens seit der Mutation der Bezeichnung eines Menschen, den man Analytiker nennt hin zu einem, bei dem das artifizielle Wort Analyst vollkommen ausreicht, sind die seichten Gewässer der Kolportage zu Hoheitsgewässern auf hoher See erklärt worden. Einer der Tümpel in der Region der modrigen Weltendeutung ist das Magazin Forbes. Letzteres ist ein in den USA konzipiertes und mit Regionalausgaben überall auf der Welt vertriebenes Magazin für Politik, Wirtschaft, Technologie, Kultur, Lifestyle und eben alles, worüber der gebildete Weltbürger so gerne schwadroniert, wenn er am Buffet oder auf dem Golfplatz steht.
Das “Forbes Building” in New York – Foto: © Leif Knutsen, Creative Commons 2.5
Und als handele es sich um eine Casting-Show im Unterschichtenfernsehen, so werden jährlich die jeweils mächtigsten Männer und Frauen gekürt. Weltweit, versteht sich. Angesichts derer, die in den letzten Jahren ausgedeutet wurden, wird immer wieder deutlich, dass das, was Forbes unter Macht versteht, etwas mit Marketingwerten und positivistischen Einschätzungen zu tun hat, aber nichts mit Verfügungsgewalt im politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Sinne.
Lassen wir einmal den Machtwechsel bei den Frauen beiseite, nämlich von Angela Merkel zu Christine Madeleine Odette Lagarde, von der Kanzlerin einer militärisch schwachen, aber wirtschaftlich starken Republik zur Chefin der Weltbank, die Leitlinien für die Implementierung des Kapitalismus in den wenig entwickelten Ländern festlegt. Gehen wir zum Wechsel in der Männerriege, nämlich von Obama zu Putin. Der Präsident Russlands, ausgerechnet Russlands, soll nun der mächtigste Mann der Welt sein?
Der Anschein, dass auf der reinen Erscheinungsebene gehandelt wird ist allzu groß und bestätigt den Verdacht, dass dem Urteil keine substanzielle Analyse zugrunde liegt. Allein eine historische Betrachtung Russlands, vom Zarismus über die Sowjetunion bis heute bescheinigt zwar die Bedeutung dieses Reiches, spricht spricht ihm aber auch imperiale Macht von Bestand ab. Zwar war es nie angebracht, Russland zu unterschätzen und alle, die dieses taten, sammelten bittere Erfahrungen. Andererseits haben weder das Zarenreich, noch die UdSSR und noch das heutige Russland den wirtschaftlichen Unterbau besessen, um es zur Weltmacht Nummer I zu bringen. Darin lag immer der Makel dieser Reiche, sie wiesen quasi als Charakteristikum immer wieder etwas auf, das die politische Analyse heute als strategische Überdehnung bezeichnet.
Der ehemalige Geheimdienstfunktionär Wladimir Putin hat es sicherlich durch viel Geschick und wenig Skrupel weit gebracht. Er repräsentiert ein politisches System, das die Transition von der monolithischen Staatsauffassung zu einer pluralistischen nicht vollzogen hat und das noch basiert auf den von der alten Sowjetunion geerbten Staatsmonopolen. Der Besitz von Gas und Öl sind die Garanten des heutigen russischen Einflusses. Die Veräußerung von Rohstoffen und die damit verbundene Geldakkumulation ermöglichten die Akquisition eines beträchtlichen Söldnerheeres, sowohl mit als auch ohne Uniform. Relikte eines imperialen Militärapparates, Petrodollars und die eine oder andere geheimdienstliche Finte allein machen aber noch lange keine Hegemonie aus, und schon gar keine, die Bestand hätte. Insofern sind die Auslassungen der Forbes-Redakteure wieder einmal ein ziemlicher Mummenschanz.
Wahrhaftiger hingegen sind die epischen Weisheiten des Landes, um das es geht. In einem der schönen Bilder, die sich die Russen zur Erklärung der Welt liefern heißt es: Tausend Rubel sind kein Geld, eine Flasche Wodka ist kein Getränk und ein Jahr ist keine Zeit. Wie klug, wie einzigartig und wie wenig positivistisch!
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Quellen – weiterführende Links
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Video: Putin fordert mehr Patriotismus, von Euronewsde auf youtube.de
Gerhard Mersmann schreibt auf seinem Blog “M7″ regelmäßig Buchvorstellungen, eigene Kurzgeschichten und “Daily stuff” – Betrachtungen von Themen aus dem Alltag.