Mitte Jänner empfing das OPS, das Orchéstre philharmonique de Strasbourg, den tschechischen Dirigenten Jiří Bělohlávek. Unter seiner Stabführung erklang eines der schönsten Konzerte dieser Saison und das, obwohl das Programm kein leichtgewichtiges, sondern eher das Gegenteil davon war. Mit der Suite von Katja Kabanowa gelang dem OPS ein wahrer konzeptioneller Meisterstreich. Die gleichnamige Oper von Leoš Janáček wurde vom Komponisten und Musikwissenschaftler Jaroslav Smolka vor nicht allzu langer Zeit erst zu einer Suite arrangiert. Diese erlebte im vergangenen Februar in London mit dem BBC Symphony Orchestra ebenfalls unter Jiří Bělohlávek ihre Uraufführung und dürfte somit in Straßburg für die allermeisten Zuhörerinnen und Zuhörer Neuland gewesen sein.
Janáčeks Musikdrama, rund um eine junge Frau, die an den Regeln einer kleingeistigen Gesellschaft zerbricht und den Freitod wählt, kann in der fünfsätzigen Suite mit großem Orchester klanglich intensiv nachempfunden werden. Die Dramatik der Lebensgeschichte wird in dunklen Molltönen beschrieben, immer wieder jedoch bricht aber auch Lebenslust, ausgedrückt durch folkloristische Einsprengsel, hervor. Die Expressivität gewisser Passagen wird spätromantischen Klangerfahrungen gegenübergesetzt und gerade dieser Spannungsbogen macht diese Suite so aufregend und schön. Dramatik und Lyrik wechseln permanent. Liebliche Melodienführungen, die sich wie Samt und Seide ins Ohr einschmeicheln, stehen neben hoch dramatischen Finalaufbauten, die, wie im letzten Satz, völlig abrupt und unerwartet enden. Eine baldige Einspielung dieses Werkes wäre mehr als wünschenswert.
Im Anschluss an diese so geglückte Interpretation kam der deutsche Bariton Detlef Roth zum Einsatz. Er sang die Rückert-Lieder von Gustav Mahler, die zu den schönsten spätromantischen Liedinterpretationen überhaupt zu zählen sind. Dass sie an diesem Abend atemberaubend, herzergreifend und beinahe überirdisch schön interpretiert wurden, ist allen beteiligten Künstlerinnen und Künstlern gleichermaßen zuzuschreiben. Dem OPS gelang unter Jiří Bělohlávek eine so feinfühlige Auslegung, dass man mit Fug und Recht behaupten kann: Darüber hinaus gibt es keine Steigerungsstufe mehr. Die für kleines Orchester gesetzten Lieder verlangen gerade ob der sparsamen Instrumentierung nicht nur Präzision von jedem Einzelnen, sondern vor allem eine einheitliche, schon kammermusikalische Vorgangsweise. Die diesbezügliche Harmonie, die sich in der Interpretation schon von Beginn an einstellte, war einzigartig. Die Spannung und Stille im Publikum, nicht nur in den leisen Passagen, sondern auch durchgängig in den Pausen zwischen den Liedern, machte fühlbar, dass der künstlerische Funke dieses Werkes bis in die letzte Reihe übergesprungen war. Detlef Roths Bariton erklang dazu klar und brillant und, was besonders hervorzuheben ist: er präsentierte sich als Meister einer extrem feinen Dynamik, die er innerhalb von zwei Takten überzeugend auf- und abbauen kann, ohne dass sie auch nur den Hauch des Künstlichen oder Unnatürlichen in sich trägt. Auch in den hohen Passagen zeigte er keinerlei Unschärfen oder Schwächen. Ganz besonders beeindruckte seine analytische Herangehensweise an die Liedinterpretation, die jegliches auch noch so kurze, sentimentale Abgleiten vermied und dennoch unglaublich berührend wirkte. Wunderbar zart und ausdrucksstark zugleich sang er „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ oder „Liebst du um Schönheit“, diese Mahler´schen Kleinode, für die man, einmal gehört, sein Leben lang dankbar sein darf. Roths Auslegung kann ohne Übertreibung als Referenz für die Rückert-Lieder gelten.
Den Abschluss dieses gelungenen Konzertabends bildete Bohuslav Martinus 1. Symphonie aus dem Jahr 1942, an der zwar die Neuerungen der Musikgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts nicht völlig spurlos vorübergenangen waren, die aber dennoch nichts an Wohlklang vermissen lässt. Der Tscheche, der lange in Paris und danach in Amerika lebte, verfasste dieses Werk in einer bewegenden Zeit und verwies darin in seinem Largo in dunkelsten Farben auf die Auslöschung der Dörfer Ležáky und Lidice, die als Vergeltung eines Anschlages auf den damaligen stellvertretenden Reichsprotektors Reinhard Heydrich vorgenommen worden waren. Nicht nur die Kontrabässe, sondern auch die Harfe spielen in diesem Satz eine herausragende Rolle. Dabei zeigte sich wieder einmal, dass gerade das tiefe Streichregister des OPS in seiner Homogenität eine wahre Klasse für sich darstellt. Pierre-Michel Vigneau an der Harfe hatte an diesem Abend schon in den anderen Werken sein Können unter Beweis gestellt, wiesen doch alle gespielten Stücke für dieses schöne Instrument herausragende Stellen auf. Betörend und verstörend, aber auch hoffnungsfroh und mit überschäumender Freude ausgestattet lässt Martinu in seiner Symphonie das Publikum in tiefste Trauer und hellste frohe Vorahnung eintauchen. Eine freudvolle Vorahnung, die Martinu in seiner Musik das Kriegsende vorausspüren ließ und zu einer Zeit Hoffnung verbreitete, als diese den meisten Menschen wohl noch nicht gerechtfertigt erschien.
Unbestritten, dass Jiří Bělohlávek allergrößter Verdienst für diesen wunderbaren Konzertabend zuzuschreiben ist. Sein ökonomisches Dirigat, welches auf große Gesten völlig verzichtet, dennoch aber in jeder Sekunde präsent ist, kann für manchen Dirigenten, der Schwierigkeiten hat seine Energie am Pult einzuteilen, als Vorbild gelten. Ein vorzeigereifer Konzertabend in Straßburg, dessen Philharmonisches Orchester damit eine Sternstunde verbuchen durfte.