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Es hätte die Krönung seiner Karriere sein sollen. Fatih Akin, international renommierter deutsch-türkischer Regisseur, wollte mit „The Cut“ auf eines der größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts aufmerksam machen. Der Völkermord an den Armeniern, begangen von der türkischen Regierung im Jahre 1915/16. Noch heute ist dieses Thema ein rotes Tuch in der Türkei. Die offizielle Geschichtsschreibung dort leugnet den Genozid, viele Landsleute glauben an diese Version und Kritiker müssen mit Strafverfolgung rechnen. Es ist also auch ein sehr persönliches, wichtiges Thema, dass sich Akin ausgesucht hat. In Interviews betonte er stets, wie ihn der armenische Genozid seit Jahrzehnten begleitet, wie er jedes Buch las, das sich damit beschäftigte. „The Cut“ ist sein Mittel um der Welt zu zeigen, was damals Unvorstellbares passiert ist. Er soll ein Denkanstoß sein, sich zu informieren und – was er in der Türkei mit Sicherheit tut – zu provozieren.
Akin beschreibt in seinem Film das Leben des armenischen Schmieds Nazaret (Tahar Rahim). Dieser wird im Zuge des ersten Weltkriegs von der türkischen Armee zwangsrekrutiert und von seiner Familie getrennt. Niemand ahnt in diesem Moment, dass das Vorgehen der Türken nur eine Finte ist, die ein grausames Ziel hat: Die völlige Auslöschung des armenischen Volkes.
Harter Tobak also, der nicht einfach nebenbei konsumierbar ist. Die Tour de Force Nazarets nimmt den Zuschauer mit. Die unvorstellbare Grausamkeit tut weh, die Ungerechtigkeit dessen ist allgegenwärtig. Schmerzvoll fühlt sich der deutsche Zuschauer an Bilder der Judenverfolgung erinnert. Menschen, die in improvisierten Lagern qualvoll zugrunde gehen. Fliegen, die sich auf von Wassermangel aufgesprungene Lippen niederlassen. Menschen, die zu schwach sind, sie zu vertreiben. Massaker an unschuldigen Männern, Frauen und Kindern, deren einziges „Verbrechen“ es ist, zu einer Minderheit zu gehören. Sogenannte Todesmärsche ohne Ziel, die erst enden, sobald der Letzte tot umfällt. Das ist ein Stoff, der schon von selbst dramatisches Potenzial entfaltet. Und tatsächlich: Das Publikum nimmt Anteil am Schicksal Nazarets. Dank des grandiosen Hauptdarstellers Tahar Rahim ist es einfach, sich in die Gefühlswelt der Figur hineinzuversetzen. Die Erschütterung in seinem Glauben, die winzige Hoffnung, die ihn noch am Leben hält – all das ist menschlich und zutiefst nachvollziehbar. Dazu gelingen Akin und seinem Kameramann Rainer Klausmann fantastische Bilder, die all das Leid fast schon fühlbar machen. Die Kamera fungiert in Verbindung mit dem atmosphärischen Score als weiterer Hauptdarsteller, da sie in gewaltigen Landschaftsimpressionen schwelgt und die angepeilte Stimmung des Films stets unterstützt.
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Doch leider hält Regisseur Fatih Akin diese Linie nicht durch. Im letzten Drittel verzettelt sich das Drehbuch gehörig und wirkt ein wenig ziellos. Immer wieder verlängert sich Nazarets Odyssee, bis sich die Laufzeit auf satte 140 Minuten ausstreckt um auch in puncto Minutenanzahl einem Epos gleichzukommen. Schade, denn solange „The Cut“ noch in der Türkei spielt, ist das Interesse groß. Ein weiterer Knackpunkt ist das vorausgesetzte Vorwissen. Natürlich sieht sich Akin (zurecht) nicht als Informant, sondern als Künstler. Er möchte keine Geschichtsstunde abhalten, sondern eine zu Herzen gehende Geschichte erzählen. Doch haben in der westlichen Welt nur Wenige vom armenischen Völkermord gehört, weshalb einiges an emotionaler Durchschlagkraft auf der Strecke bleibt. Zumindest solange, bis man sich nach Ansicht von „The Cut“ im Internet ein wenig informiert hat. So gesehen hat Akin sein Ziel erreicht, doch während dem Film fühlt sich der Zuschauer hin und wieder im Stich gelassen.„The Cut“ geht auf den letzten Metern ein wenig die Luft aus, obwohl er eine kontrovers diskutierte Thematik aufgreift, die so noch nie erzählt wurde. Bei aller Kritik hat Akin jedoch nicht das Auge fürs Detail verloren. Immer wieder brechen kleine Szenen durch das überambitionierte Skript. Etwa, wenn Nazaret zum ersten Mal ein Kino besucht und sich in der Geschichte von „The Kid“ mit Charlie Chaplin wieder erkennt. Es sind die kleinen, stillen Aufnahmen, die vom länderübergreifenden „The Cut“ in Erinnerung bleiben. So mag der Abschluss von Fatih Akins „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie nicht sein stärkster Film sein. Wichtig ist er dennoch.